Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Liegt  eine Störung des Besitzes im Bereich des Wohnraummietrechts bei Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen sowi bei Einschränkungen insbesondere der Privatheit der Wohnung des Mieters durch das Aufstellen eines Baugerüstes vor?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 65 T 224/14, Beschluss vom 16.09.2014) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1. a) wie folgt aus: “II. 1. Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

a) Der Antragsteller und Beschwerdeführer (nachfolgend: der Antragsteller) hat gegen die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (nachfolgend: die Antragsgegnerin) aus § 862Abs. 1 BGB in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang einen Anspruch auf Unterlassung der weiteren Arbeiten zum Anbau der Balkone im 2. bis 4. Obergeschoss. Ein weiter gehender Anspruch besteht nicht.

Nach § 862 Abs. 1 BGB kann der Besitzer, der in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird, von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen; sind weitere Störungen zu erwarten, kann er auf Unterlassung klagen. Die Definition des Begriffs der verbotenen Eigenmacht knüpft bei Besitzentziehung und -störung nach § 858Abs. 1 BGB an den fehlenden Willen des Besitzers an. Die Widerrechtlichkeit ist in beiden Fällen ausgeschlossen, wenn das Gesetz die Entziehung oder Störung gestattet.

Eine Störung des Besitzes ist bei jeder Beeinträchtigung der Sachherrschaft unterhalb der Schwelle des Sachentzugs gegeben. Zu den möglichen Eingriffen gehören Störungen der Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten aller Art, im Bereich des Wohnraummietrechts etwa Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen, Einschränkungen insbesondere der Privatheit der Wohnung durch das Aufstellen eines Baugerüstes (Joost in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N.; Gutzeit in: Staudinger, BGB, 2012, § 858 Rn. 14, m. w. N.).

Anerkannt ist, dass unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 906 BGB nur erhebliche Beeinträchtigungen der Besitzausübung Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach den §§ 858ff. BGB auslösen können, während unerhebliche Beeinträchtigungen des Gebrauchs hinzunehmen sind (vgl. BGH Urteil v. 29.10.1954 – V ZR 53/53, in: NJW 1955, 19; LG Berlin Urteil v. 26.2.2013 – 63 S 429/12, in: MDR 2013, 643;MietRB 2013, 138; Beschluss v. 7.8.2012 – 63 T 118/12, in: ZMR 2013, 113; Beschluss v. 12.3.2012 – 63 T 29/12, in: ZMR 2012, 719; AG Charlottenburg Urteil v. 13.2.2013 – 214 C 234/12, in: Grundeigentum 2013, 625; AG Kassel Urteil v. 16.5.1994 – 432 C 1145/94, in WuM 1994, 610; Börstinghaus in: PR-MietR 15/2012 Anm. 1; Joost in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N.; Gutzeit in: Staudinger, 2012, § 862 Rn. 2, m. w. N.).

Nach diesen Maßstäben ist nach dem durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten Vortrag des Antragstellers eine Besitzstörung durch die bevorstehende “Anarbeitung” der Balkone an die Fassade vor den vom Antragsteller gemieteten Räumlichkeiten und den darüber befindlichen Geschossen gegeben.

Wenngleich der Vortrag des Antragstellers (auch) insoweit sehr knapp ist, so ist im Zusammenhang mit den eingereichten Fotos offenkundig (vgl. § 291 ZPO), dass die Befestigung der beiden Balkone im 2. OG, unmittelbar vor den Räumlichkeiten des Antragstellers und im 3. bis 4. Obergeschoss mit einer erheblichen Beeinträchtigung der im Besitz des Antragstellers stehenden Räumlichkeiten verbunden ist. Dies ergibt sich hier bereits aus dem Umstand, dass die unmittelbar nebeneinander liegenden Balkone zum Zwecke der Befestigung ebenso betreten werden müssen wie das vor den Fenstern der Wohnung des Beklagten stehende Baugerüst. Letzteres gilt weiter gehend für die Ausführung der Arbeiten im 3. und 4. Obergeschoss, nicht hingegen das 1. Geschoss. Die Möglichkeit des Einblicks in die Wohnung vom Baugerüst aus stört den Antragsteller in seinem Besitz an der Wohnung unter dem Gesichtspunkt ihrer Privatheit. Hinzu kommt, dass eine immissionsfreie “Anarbeitung” der Balkone an die Fassade (vgl. Modernisierungsankündigung v. 17. März 2014) nicht vorstellbar ist. Die Beeinträchtigung durch Immissionen betrifft mangels konkreten Vortrags des Antragstellers jedoch vordergründig Arbeiten, die unmittelbar vor seinen Räumlichkeiten, also im 2. Obergeschoss ausgeführt werden, nicht hingegen das 1. sowie das 3.- 4 Obergeschoss.

Die Widerrechtlichkeit einer Besitzstörung entfällt nach §§ 858 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nur dann, wenn das Gesetz die Störung gestattet, wobei gesetzliche Gestattungen sich aus jeder Rechtsnorm ergeben können, vgl. Art. 2 EGBGB; die Rechtsnorm muss allerdings die eigenmächtige Störung gestatten; Normen, die lediglich einen entsprechenden Anspruch gewähren, rechtfertigen nicht die eigenmächtige Durchsetzung. Sie sind – im Zweifel – durch Beschreiten des Rechtsweges durchzusetzen (vgl. Joost: in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 11; Gutzeit in: Staudinger, 2012, § 858 Rn. 22; BGH Urteil v. 27.04.1971 – VI ZR 191/69, in WM 1971, 943). § 555d BGB mag der Antragsgegnerin einen Anspruch auf Duldung der hier gegenständlichen Maßnahmen geben; der Regelung lässt sich hingegen nicht – weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck – die Gestattung einer eigenmächtigen Störung entnehmen. Eies ließe sich vielmehr nicht mit dem Zweck des Regelungsgefüges der §§ 555b ff. BGB vereinbaren.

Hier ist der Eintritt der vorgenannten weiteren Störungen auch tatsächlich zu besorgen, da die Antragsgegnerin auch die bisherigen Arbeiten ohne bzw. gegen den Willen des Antragstellers begonnen und durchgeführt hat; es ist daher von einer Fortführung der Arbeiten entsprechend der Modernisierungsankündigung vom 17. März 2014 auszugehen (vgl. noch weiter gehend: LG Berlin, Beschluss v. 1.3.2013 – 63 T 29/13, in: NZM 2013, 465).”