Kann der Berliner Mietspiegel 2015 als einfacher Mietspiegel im Sinne von § 555c BGB herangezogen werden, um die ortsübliche Vergleichsmiete im Wege der Schätzung nach § 287ZPO zu ermitteln?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 18 S 295/15, Urteil vom 28.04.2016) lautet: Ja!
Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. wie folgt aus: “Zutreffend hat das Amtsgericht die auf Zustimmung zur Mieterhöhung gerichtete Klage abgewiesen und sich dabei auf den Berliner Mietspiegel 2015 gestützt.
Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin hinreichende Einwände gegen den Mietspiegel 2015 vorgebracht hat, so dass dieser nicht als qualifiziert im Sinne von § 555d BGB anzusehen wäre. Denn jedenfalls kann der Mietspiegel 2015 als einfacher Mietspiegel im Sinne von § 555c BGB herangezogen werden, um die ortsübliche Vergleichsmiete im Wege der Schätzung nach § 287ZPO zu ermitteln (vgl. auch Urteil der Kammer vom 2. Dezember 2015, Az. 18 S 108/15 zum Berliner Mietspiegel 2013).
Zwar kommt einem einfachen Mietspiegel nicht die dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung des § 555d BGB zu. Der einfache Mietspiegel stellt aber ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben (BGH, Urteil vom 3. Juli 2013 – VIII ZR 267/12, Urteil vom 21. November 2012 – VIII ZR 46/12, NJW 2013, 775; Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946; LG Berlin, Urteil vom 16. Juli 2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Dies gilt selbst dann, wenn der Mietspiegel – anders als der Berliner Mietspiegel 2013 – nicht von der Gemeinde, sondern nur von den Interessenvertretern der Mieter und Vermieter erstellt wurde (BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946; LG Berlin, Urteil vom 16. Juli 2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Dass der Mietspiegel vom Land Berlin erstellt und von den Interessenvertretern sowohl der Mieter- als auch der Vermieterseite anerkannt worden ist, spricht nach der Lebenserfahrung bereits dafür, dass er die örtliche Mietsituation nicht einseitig, sondern objektiv zutreffend abbildet (LG Berlin, Urteil vom 16. Juli 2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626; BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946für den Mietspiegel der Stadt Schorndorf).
Diese Indizwirkung des Mietspiegels 2015 hat die Klägerin nicht hinreichend zu erschüttern vermocht.
Ob die Indizwirkung im Einzelfall zum Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete ausreicht, hängt von der Qualität des Mietspiegels ab. Wendet etwa eine Partei substantiiert ein, den Verfassern habe es an der nötigen Sachkunde gefehlt, sie hätten sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder der Mietspiegel beruhe auf unrichtigem oder unzureichendem Datenmaterial, ist dem grundsätzlich nachzugehen (BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946; LG Berlin, Urteil vom 16. Juli 2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Verbleiben danach Zweifel an der Verlässlichkeit des Mietspiegels, ist die Indizwirkung erschüttert (BGH, a.a.O.).
Die pauschale Bezugnahme der Klägerin auf das Verfahren AG Charlottenburg 235 C 133/13genügt hierfür ebenso wenig wie die Feststellung, entgegen dem Miettrend weise der Mietspiegel 2015 teilweise rückgängige Miethöhen auf. Selbst wenn der Berliner Mietspiegel 2015, wie die Klägerin meint, nicht nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt sein sollte, entfiele nicht schon deshalb die Möglichkeit, ihn als Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO heranzuziehen, denn diese Frage ist von der Vermutungswirkung nach § 555d Abs. 3 BGB zu unterscheiden (LG Berlin, a.a.O. m. w. Nachw.). Andernfalls bliebe das Beweismaß des § 287 ZPO unberücksichtigt. Im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO sind die Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Gerichts dahingehend reduziert, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung ausreicht (BeckOK ZPO Vorwerk/Wolf, 18. Edition 2015, § 287 Rn. 17 m.w.Nachw., LG Berlin, a.a.O.). Dass das Ergebnis der Schätzung möglicherweise nicht vollständig mit den Tatsachen übereinstimmt, ist der gesetzlichen Möglichkeit der Schätzung immanent und grundsätzlich hinzunehmen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 84/10; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 287 Rn. 2).
Nach diesem Maßstab schließen die von der Klägerin behaupteten Mängel – deren Vorliegen unterstellt – eine Verwendung des Mietspiegels als Grundlage einer Schätzung nicht aus. Für diese Auffassung spricht schon, dass der Mietspiegel durch seine Verfasser veröffentlicht worden und von den Interessenvertretern der mieter- und vermieterseits anerkannt worden ist (ebenso LG Berlin, a.a.O). Dass dies geschehen wäre, wenn das zugrundeliegende Datenmaterial und die verwendeten methodischen Ansätze so unzureichend wäre, dass der Mietspiegel nicht einmal dem Beweismaß des § 287 ZPO genügen würde, widerspricht der Lebenserfahrung.
Einwände betreffend die erforderlichen Sachkunde der Mietspiegelersteller hat die Klägerin nicht erhoben.
Soweit sich die Klägerin auf ein in dem Verfahren LG Berlin 18 S 183/15 (AG Charlottenburg 235 C 133/13) erstattetes Sachverständigengutachten bezogen hat, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Gutachten – unabhängig davon, ob es inhaltlich überzeugt – zu der Frage erstattet worden ist, ob der Berliner Mietspiegel 2013 nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden und damit ein qualifizierter Mietspiegel ist, nicht aber zu der Frage, ob er hinreichende Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO sein kann.
Auch die weiteren Voraussetzungen, die ortsübliche Vergleichsmiete nach § 287 ZPO zu schätzen, sind gegeben. Anders als die Klägerin in der Berufung ausgeführt hat, ist eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Schätzung nicht vorzuziehen; es besteht auch kein Anspruch der beweisbelasteten Partei darauf, dass das Gericht das angebotene Beweismittel – hier: Sachverständigengutachten – nutzt. Eine derartige Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete widerstreitet auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Auch wenn einfache Mietspiegel in der ZPO nicht als Beweismittel vorgesehen sind und ihre Grundlagendaten niemals vollständig zweifelsfrei sein werden (vgl. LG Berlin, Urt. v. 3. Juli 2014 – 67 S 121/14, ZMR 2014, 885 Tz. 26 (zu § 558 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB)), stellt ihre Verwendung im Zivilprozess im Spannungsfeld der widerstreitenden Interessen der Parteien die Belange des Vermieters nicht unverhältnismäßig hintan. Die Verwendung einfacher Mietspiegel im gerichtlichen Erkenntnisverfahren liegt vielmehr auch in dessen Interesse und wird vom BVerfG ausdrücklich gebilligt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3. April 1990 – 1 BvR 268/90, NJW 1992, 1377). Sie garantiert nicht nur eine rasche Entscheidung. Sie erleichtert dem Vermieter auch in ganz erheblichem Maße die ihm obliegende prozessuale Darlegungslast. Ihr Vorzug besteht aber vor allem darin, dass auch einfache Mietspiegel in der Regel auf einer erheblich breiteren Tatsachenbasis beruhen, als sie ein gerichtlich bestellter Sachverständiger mit einem Kosten- und Zeitaufwand ermitteln könnte, der zum Streitwert des gerichtlichen Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis stünde. Ihre Verwendung vermeidet daher die Entstehung von Rechtsverfolgungskosten, die im Falle eines Teilunterliegens den erstrittenen Erhöhungsbetrag leicht erheblich schmälern oder sogar vollständig aufzehren können (vgl. BVerfG, a.a.O.). Es kommt hinzu, dass auch der Beweiswert von Sachverständigengutachten zur ortsüblichen Vergleichsmiete über die vergleichsweise begrenzte Befundgrundlage hinaus von statistischen Bedenken bereits deshalb nicht frei ist, weil ihre Datenerhebung und -ermittlung ähnlichen Einwänden ausgesetzt ist wie die von (einfachen) Mietspiegeln. Davon abgesehen ist es wegen der in der gutachterlichen Praxis üblichen Anonymisierung der herangezogenen Vergleichswohnungen bereits grundsätzlich zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen entsprechend erstellte Sachverständigengutachten überhaupt verfahrensfehlerfrei verwertet werden können (vgl. dazu BGH, Urt. v. 3. Juli 2013 – VIII ZR 354/12, NJW 2013, 2963 Tz. 22 a.E.). Dass ein Sachverständiger mit vertretbarem Aufwand eine nur annähernd ebenso umfangreiche und repräsentative Datengrundlage verwerten könnte, ist nicht erkennbar. Unabhängig davon, dass er kaum eine vergleichbare Menge an Daten verarbeiten könnte, wäre auch er auf Informationen angewiesen, die ihm Dritte freiwillig zur Verfügung stellen. Dass diese repräsentativer wären als die dem Mietspiegel zugrunde liegenden Daten, ist nicht ersichtlich (so LG Berlin a.a.O.). Das Argument der Berufung, der Sachverständige könne die ortsübliche Vergleichsmiete bei vertretbarem Aufwand genauer feststellen, weil er ein Gutachten speziell für die streitgegenständliche Wohnung erstellen würde, überzeugt deshalb nicht. Aus diesen Gründen ist auch eine Beweisaufnahme zu den von der Klägerin erhobenen Einwänden nicht geboten.
Die Spanneneinordnung hat das Amtsgericht zutreffend vorgenommen. Sie wird mit der Berufung auch nicht angegriffen.”