Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kann einem psychisch erkrankten Mieter, der den Hausfrieden der Hausgemeinschaft durch Weinen, Schreien, Herumpoltern zu allen Tageszeiten, insbesondere auch nachts, seit Jahren nachhaltig stört, außerordentlich gekündigt werden?

Die Antwort des Landgerichts Frankfurt am Main (LG Frankfurt a.M. – 2-11 S 192/17, Urteil vom 26.04.2018) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Frankfurt a.M. in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: “Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB, da das Mietverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 20.04.2016 beendet wurde.

Die Kündigung war, wie durch das Amtsgericht zutreffend festgestellt, formell wirksam.

Sie war auch materiell wirksam. Die außerordentliche Kündigung der Klägerin war wegen Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB berechtigt. Gemäß § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zu den Umständen des Einzelfalls, die im Rahmen des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB zu berücksichtigen sind, gehören auch etwaige Härtegründe auf Seiten des Mieters (BGH Urteil vom 09.11.2016, VIIIZR 73/16). Im vorliegenden Fall ist auch unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung der Beklagten und der von ihr vorgebrachten Härtegründe die Zumutbarkeitsgrenze überschritten.

Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme festgestellt, dass die Beklagte den Hausfrieden der Hausgemeinschaft durch Weinen, Schreien, Herumpoltern zu allen Tageszeiten, insbesondere auch nachts, seit Jahren nachhaltig stört und sich diese Verhaltensweisen auch in dem Zeitraum Januar 2016 bis April 2016 ereignet haben, auf den sich die außerordentliche Kündigung stützt. Ferner war das Amtsgericht nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass sich das Verhalten der Beklagten bedrohlich auf die anderen Mitglieder der Hausgemeinschaft auswirkt und diese verängstig. Die diesbezügliche Beweiswürdigung des Amtsgerichtes lässt keine berufungsrelevanten Fehler erkennen. Danach steht fest, dass die Störungen ein Ausmaß haben, welches auch bei der gebotenen Rücksichtnahme auf psychisch erkrankte Menschen nicht mehr hingenommen werden kann. Die Mitbewohner im Haus werden durch das Verhalten der Beklagten ganz erheblich in ihrem Ruhebedürfnis gestört. Insbesondere wird auch ihre Nachtruhe massiv gestört. Zudem verängstigt das Verhalten der Beklagten die Mitbewohner.

Vorliegend stehen auch schwerwiegende persönliche Härtegründe, die bereits bei der Abwägung im Rahmen des § 543 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen sind und nicht erst im Vollstreckungsverfahren, auf Seiten der Beklagten der Annahme eines wichtigen Grunds im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB letztlich nicht entgegen. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte als Härtegrund vorgetragen, dass im Falle eines Räumungsurteils die Gefahr eines Suizids nicht ausgeschlossen werden könne und ein Umzug für sie eine Veränderung ihrer Lebenssituation darstelle, die für sie einer existentiellen Bedrohung gleichkäme. Sie beruft sich somit auf ihr Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Aufgrund des Gutachtens des Sachverständige Dr. U. steht zwar zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Beklagten ein hohes Suizidrisiko in dem Moment besteht, wenn die Räumung konkret wird. So hat er ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass er das Suizidrisiko der Beklagten, nachdem er es aus Sicht August 2017 noch gemäß der von ihm verwendeten NGASR Skala als niedrig an der Grenze zu mäßig eingestuft hat, nunmehr nach den Schilderungen der Betreuerin der Beklagten P. im Termin vom 10.04.2018 und von Dr. R. im Bericht vom 04.04.2018 als hoch einschätzt. Er hat ausgeführt, dass aufgrund von Suizidäußerungen, eines Suizidversuchs in der Vergangenheit nach der NGSAR Skala weitere Punkte hinzuzurechnen seien. Hinzu käme dann aber weiterhin noch die Notsituation in Form der bevorstehenden Räumung und insbesondere die Bedrohung, die die Beklagte mittlerweile empfinde (Seite 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2018).

Somit steht zwar einerseits fest, dass bei der Beklagten im Fall der Räumungsvollstreckung eine hohe Suizidgefahr und somit eine Gefahr für Leib und Leben der Beklagten besteht. Die Klägerin als Gläubigerin kann jedoch andererseits geltend machen, dass ihr Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) und ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt wird, wenn ihr Räumungstitel nicht durchgesetzt werden kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ihr als Gläubigerin keine Aufgaben überbürdet werden dürfen, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Von daher ist nach der Rechtsprechung des BGH auch dann, wenn bei der Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann (BGH, Beschluss vom 21.09.2017,1ZB 125/16; BGH Beschluss vom 04.05.2005,1 ZB 10/05, WuM 2005,407; BGH Beschluss vom 28.01.2016, V ZB 115/15NJW-RR 2016,336). Dabei kann vom Schuldner erwartet werden, dass er alles Mögliche und Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leib oder Gesundheit auszuschließen. Insbesondere ist es ihm, soweit er dazu in der Lage ist, zuzumuten, fachliche Hilfe, erforderlichenfalls auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern (BGH Beschluss vom 21.09.2017 a.a.O.; BGH, NJWRR 2010,1649). Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass vorliegend der Selbsttötungsgefahr in der konkreten Situation der Räumung begegnet werden kann. So hat der Sachverständige Dr. U. in seiner mündlichen Anhörung ausgeführt, dass es zur Realisierung der Räumung erforderlich ist, dass der Tag der Räumung unter Einschaltung des Gesundheitsamtes und des Ordnungsamtes vorbereitet wird und dass am Tag der Räumung der Gerichtsvollzieher nicht alleine mit seiner Mannschaft vor der Tür steht, sondern in Begleitung von ärztlicher Betreuung und des Ordnungsamtes. Der dann vor Ort eingesetzte Arzt müsse dann entscheiden, ob nicht sogar auch eine Einweisung in eine Klinik erforderlich ist (Seite 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2016, Bl. 388 der Akte). Nach den entsprechenden Ausführungen des Sachverständigen U. sind die vorgenannten Maßnahmen erforderlich, aber auch ausreichend, um der Suizidgefahr, die bei der Beklagten besteht, entgegenzuwirken. Es sind vorliegend auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, auch nicht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. U., dass es der Beklagten nicht zumutbar ist, die vom Sachverständigen als erforderlich erachtete fachliche Hilfe in Anspruch zur Realisierung der Räumung in Anspruch zu nehmen. Da somit feststeht, dass der Suizidgefahr durch die vorgenannten Maßnahmen begegnet werden kann und die Beklagte diese Maßnahmen auch hinnehmen muss, überwiegen im Rahmen der Abwägung gemäß § 543 Abs. 1 BGB vorliegend letztlich die Interessen der Klägerin.

Es kann vorliegend auch dahingestellt bleiben, ob die Beklagten Abmahnungen erhalten hat oder nicht, da es vorliegend gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB einer solchen Abmahnung wegen der Schwere der Pflichtverletzung nicht bedurfte.”