Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Löst eine berechtigte Eigenbedarfskündigung die Nebenpflicht aus, dem Mieter unter bestimmten Umständen zur Abmilderung der hierdurch eintretenden Auswirkungen eine verfügbare Alternativwohnung anzubieten?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 64 S 197/18, Urteil vom 11.03.2020) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. a) bis c) wie folgt aus: „Die Klägerin war verpflichtet, der Beklagten die zur Verfügung stehende 2-Zimmer-Wohnung anzubieten, obwohl diese mit 44 qm nur etwa halb so groß war wie die streitgegenständliche Wohnung mit 87,58 qm (nach Aufmaß, Bi. 88, Bd. I d.A.) bzw. 88,67 qm (nach Betriebskostenabrechnung) bzw. ca. 95qm (nach Mietvertrag, Anlage K 1, BI. 7 I d.A.). Die 2-Zimmer-Wohnung ist unstreitig während der Kündigungsfrist frei geworden.

Das Bundesverfassungsgericht hat die eigenverantwortliche Entscheidung des Mieters hervorgehoben, wie er sein Leben gestalten will und dabei darauf abgestellt, dass es zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gehöre, “seinen Wohnbedarf nach seinen eigenen Vorstellungen zu bestimmen, also auch einzuschränken” (BVerfG, Beschluss vom 28.01.1992 –1 BvR 1054/91, NJW 1992, 1220 f.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs löst eine berechtigte Eigenbedarfskündigung die Nebenpflicht aus, dem Mieter unter bestimmten Umständen zur Abmilderung der hierdurch eintretenden Auswirkungen eine verfügbare Alternativwohnung anzubieten (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, NJW 2017, 547, 555). Diese Nebenpflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB entspringt einer gesteigerten Pflicht zur Rücksichtnahme für den Vermieter, die Folgen einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung für den Mieter so gering wie möglich zu halten. Danach ist der Vermieter nach Auffassung der Kammer verpflichtet, dem Mieter zur Vermietung frei stehende oder im Kündigungszeitraum frei werdende Wohnungen im selben Haus oder in derselben Wohnanlage grundsätzlich anzubieten. Eine Entscheidung darüber, was für den Mieter angemessen oder interessengerecht ist, hat der Vermieter dabei nicht zu treffen. Denn sonst hätte er es auch allein in der Hand, über den Umfang der vertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB zu entscheiden.

Überdies sind dem Vermieter regelmäßig die Interessen des Mieters weder im Einzelnen noch in ihren möglichen Wandlungen bekannt, so dass es sachgerecht erscheint, ihm die Pflicht aufzuerlegen, dem Mieter der Wohnung, auf die sich die Eigenbedarfskündigung bezieht, die ihm zur Verfügung stehenden Wohnungen anzubieten. Die Berücksichtigung allein der durch die Anmietung konkretisierten und erkennbar gewordenen individuellen Bedürfnissen des Mieters versetzt den Vermieter gerade bei jahrzehntelangen Mietverhältnissen nicht in die Lage, sich ein Bild der aktuellen Interessen und Bedürfnissen des Mieters zu machen. So ist – wie hier auch vorgetragen – durchaus denkbar, dass Kinder ausziehen und damit eine geringere Wohnfläche benötigt wird.

Der Bundesgerichtshof verweist zwar auf die frühere Rechtsprechung des Senats, in der bei der Anbietpflicht unter anderem auf eine vergleichbare Wohnung abgestellt wurde; gleichzeitig lässt er in seinem Urteil vom 14.12.2016 ausdrücklich offen, ob eine deutliche Größenabweichung (166 qm versus 76 qm) eine ansonsten bestehende Anbietpflicht entfallen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, NJW 2017, 547, 555 und 556). Insofern stehen obige Ausführungen auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Soweit die Kammer in dem zitierten Landgerichtsverfahren 18 S 159/16 (vgl. Anlage K 6, Bl. 64ff., Bd. I d.A.) noch eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält sie daran nicht mehr fest. Die Beendung eines langjährigen Mietverhältnisses bedeutet für den Mieter eine Zäsur, die eine erhebliche Veränderung der Lebens- und Wohnverhältnisse mit sich bringen kann. So wird einem Mieter gerade in Zeiten beengter Mietmärkte, die steigende Mieten und ein geringes Angebot freier Wohnungen mit sich bringen, angesonnen, bei der Suche nach Ersatzwohnraum seine Wohnbedürfnisse einzuschränken und auch kleinere, teurere und in weniger nachgefragten Stadtbezirken gelegene Wohnungen in den Blick zu nehmen (vgl. Beck-Online Großkommentar, BGB, Stand: 01.07.2019, § 574, Rn. 24ff. mit weiteren Nach-weisen). Der Vermieter darf daher nicht voraussetzen, dass sich das Interesse des zur Räumung einer Wohnung verpflichteten Mieters von vornhinein auf Ersatzwohnungen beschränken wird, die nach Zimmerzahl, Wohnfläche und Ausstattung der bisherigen Wohnung entsprechen.

b) Die unter anderem mit Schriftsatz vom 02.10.2019 vorgetragenen Gründe der Klägerin, die 44 qm-Wohnung nicht anzubieten, vermögen die Anbietpflicht nicht zu Fall zu bringen. Insbesondere sind im Zeitpunkt, zu dem die Anbietpflicht bestand, keine Gründe gegeben, die die Klägerin im vorliegenden Fall von der Anbietpflicht befreien würden. Im Einzelnen:

Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie nicht erkennen konnte, dass die kleinere Wohnung als Alternativwohnung überhaupt in Betracht kam, ist dem entgegenzuhalten, dass eine Anbietpflicht gerade deshalb angenommen wird, weil die Vermieterseite regelmäßig nicht wissen kann, was den mieterseitigen Interessen oder Plänen entspricht. Folglich durfte die Klägerin auch nicht einfach davon ausgehen, dass die Beklagte eine Wohnung für sich und ihren Sohn benötigen würde.

Der Einwand, dass die Wohnung im 3. OG keine Alternative gewesen wäre, da das Instrument der Beklagten nach Auffassung der Klägerseite wegen des Grundrisses der Wohnung und der Lage im Hinterhaus nicht in die Wohnung hätte verbracht werden können, greift nicht. Im Rahmen der Anbietpflicht konnte die Klägerin am 15.04.2015 aber nicht davon ausgehen, dass das Instrument der Beklagten in keinem Fall (auch nicht durch die Fenster) in die Wohnung verbracht werden könnte und die Beklagte deshalb unter keinen Umständen in die Wohnung ziehen würde. Die Klägerin hatte solche Überlegungen nicht für die Beklagte anzustellen und ihr die Wohnung dennoch anzubieten.

Dass das Klavierspielen im Hinterhaus eine viel größere Lärmbelästigung für die Nachbarn dargestellt hätte als im Vorderhaus, vermag die Anbietpflicht ebenso wenig zu Fall zu bringen, zumal die Beklagte darauf hinweist, dass die Zimmer der Wohnung nicht an eine andere Wohnung des Hauses angrenzen. Sind also primär die darunter und darüber liegende Wohnung betroffen, ergibt sich grundsätzlich keine stärkere Beeinträchtigung als im Vorderhaus. Der Hinweis darauf, dass im Vorderhaus Gewerbe überwiegen, deutet für sich genommen weder auf eine geringere noch eine erhöhte Beeinträchtigung einzelner Nachbarn bzw. ihrer Kunden durch das Klavierspiel.

Soweit die Klägerin einwendet, dass die Beklagte im August 2015 einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung mitgeteilt habe, dass sie wegen einer Erkrankung eine Wohnung mit Badewanne benötige, und die Alternativwohnung nur über eine Dusche verfüge, ist auch hier auf den Stand zum Zeitpunkt der Neuvermietung der Alternativwohnung abzustellen (15.04.2015), so dass die Alternativwohnung auch in Ermangelung einer Badewanne hätte angeboten werden müssen.

c) Diese Anbietpflicht hat die Klägerin verletzt, indem sie ihr der Beklagten die im Kündigungszeitraum frei gewordene Hinterhaus-Wohnung nicht angeboten hat. Mit den drei nach Ablauf der Kündigungsfrist angebotenen Wohnungen hat die Klägerin ihre Anbietpflicht nicht erfüllt. Sie hätte der Beklagten die 44 qm-Wohnung anbieten müssen (siehe oben).

Die Anbietpflicht beinhaltet dabei nicht, dass eine Alternativwohnung zu denselben Konditionen wie die bisherige Wohnung angeboten wird. Insofern hätte die Klägerin der Anbietpflicht Genüge getan, wenn sie die Hinterhauswohnung angeboten hätte, ohne der Beklagten die Möglichkeit einer teilgewerblichen Nutzung einzuräumen. Die Klägerin hat nachvollziehbar vorgetragen, dass sie keine Erlaubnis für eine teilgewerbliche Nutzung erteilt hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin anderen Mietern eine solche Erlaubnis erteilt hätte, eine Pflicht der Vermieterin der Beklagten eine solche Nutzung zu ermöglichen, bestand nicht.”