Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Unterfällt ein nach dem 18.06.2020 zugegangenes Mieterhöhungsverlangen im Falle der Verfassungsgemäßheit des MietenWoG Bln dem in § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln angeordneten “Mietenstopp” auch dann zur Gänze, wenn der Vermieter die Zustimmung zur Erhöhung des Mietzinses bereits ab einem Zeitpunkt verlangt, der noch vor dem Inkraftreten des MietenWoG Bln am 23.02.2020 liegt?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 67 S 109/20, Beschluss vom 06.08.2020) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1. wie folgt aus: „Gemessen daran ist der zeitliche Anwendungsrahmen von Art. 1 § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln eröffnet, da der Kläger nicht nur die Erhöhung des Mietzinses zu einem erst nach dem gesetzlichen Stichtag liegenden Zeitpunkt geltend gemacht, sondern er das Erhöhungsverlangen den Beklagten auch erstmals nach diesem Stichtag zugestellt hat. Soweit nunmehr vereinzelt vertreten wird, Art. 1 § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln könne erst ab dem Zeitpunkt seines Inkraftretens Rechtswirkungen entfalten (so LG Berlin, Urt. v. 31. Juli 2020 – 66 S 95/20, n.v.), rechtfertigt das keine abweichende Beurteilung. Denn der Landesgesetzgeber hat dem in Art. 1 § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln angeordneten “Mietenstopp” ausweislich des Wortlauts und der Begründung des Gesetzes eine ausdrückliche Rückwirkung beigemessen. Eine Auslegung der Norm, die Rechtswirkungen vor dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ausschließt, kommt deshalb nicht in Betracht. Gesetze sind einer – verfassungskonformen – Auslegung nicht zugänglich, wenn der Wortlaut und der klar gegensätzliche Wille des Gesetzgebers entgegen stehen (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. März 2017 – 2 BvL 6/11, ZIP 2017, 1009, Tz. 152 m.w.N.). Genau so aber liegt der Fall hier, in dem sich der Landesgesetzgeber bewusst und unmissverständlich für eine unechte Rückwirkung des “Mietenstopps” entschieden hat. Aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens folgt nicht anderes. Zwar heißt es im Fraktionsantrag vom 21. Januar 2020 “Sie regelt nicht das Verbot, bereits ab dem Stichtag eine höhere Miete als die Stichtagsmiete zu verlangen. Ein solches Verbot gilt, da im Gesetz nichts anderes geregelt ist, erst ab Inkrafttreten des Gesetzes” (vgl. Fraktionsantrag zur Änderung der Beschlussvorlage zur Drucks. 18/2347 vom 21. Januar 2020, S. 6). Diese Ausführungen betreffen allerdings nicht den zeitlichen Anwendungsrahmen von Art. 1 § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln. Sie grenzen allein die vom Gesetz nicht im Wege einer echten Rückwirkung erfassten abgeschlossenen Sachverhalte von unabgeschlossenen Sachverhalten ab, die über eine unechte Rückwirkung dem Anwendungsbereich des Art. 1 § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln ausdrücklich unterfallen sollten (“Die Vorschrift entfaltet dadurch unechte Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalten und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Die Stichtagsregelung betrifft Mietverhältnisse, die zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit abgeschlossen worden sind und bei Inkrafttreten des Gesetzes weiterhin bestehen” (vgl. Abgeordnetenhaus Berlin, Beschlussvorlage vom 28. November 2019 zur Drucks. 18/2347, S. 6). Welche Sachverhalte der Landesgesetzgeber als abgeschlossen erachtet und welche nicht, hat er ebenso unmissverständlich zum Ausdruck gebracht (“Die Regelung stellt auf eine wirksame Vereinbarung über die Miethöhe ab. Hierdurch wird grundsätzlich ein Eingriff in bereits vor dem Stichtag zustande gekommene vertragliche Vereinbarungen vermieden und somit der Vertrauensschutz gewährleistet. Als Vereinbarungen in diesem Sinne sind insbesondere solche zu verstehen, die durch Zustimmung der Mieterin oder des Mieters zu einem Mieterhöhungsverlangen zustande kommen. Vereinbarungen über die Miethöhe, die erst nach dem Stichtag zustande gekommen sind, finden für die Bestimmungen der nach diesem Gesetz zulässigen Miethöhe keine Berücksichtigung.”, vgl. Abgeordnetenhaus Berlin, Beschlussvorlage vom 28. November 2019 zur Drucks. 18/2347, S. 25, 3. Absatz). Damit zählen zu den abgeschlossenen Sachverhalten lediglich solche, in denen vor dem Stichtag eine Vereinbarung der Mietvertragsparteien über die Erhöhung der Miete wirksam zustande gekommen ist, nach Auffassung des VIII. Zivilsenates des BGH zudem solche, in denen das Erhöhungsverlangen bis zum Stichtag zugegangen ist und mit ihm die Erhöhung der Miete zu einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt verlangt wird (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 2020 – VIII ZR 355/18, NJW 2020, 1947, beckonline Tz. 75). Der vom Kläger geltend gemachte Zustimmungsanspruch hingegen unterfällt keinem der genannten Sachverhalte.”