Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des Eigenbedarfs der des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung und dürfen diese Voraussetzungen nach Kündigungsausspruch bis zum Kündigungstermin nicht wegfallen?

 

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 65 S 174/19, Beschluss vom 25.09.2019) lautet: Ja!

 

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter 1. wie folgt aus: „Die ebenfalls unter dem 17.01.2019 erklärte ordentliche Kündigung hat das Mietverhältnis ebenfalls nicht beendet.

Nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat; ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.

Würde die schuldhafte Pflichtverletzung bejaht, stünde die vorzunehmende Gesamtabwägung der Interessen der Parteien der Wirksamkeit der Kündigung entgegen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Mietwohnung seit 38 Jahren inne hat, ohne dass vermieterseitig vorgetragen wird, dass es zuvor jemals zu Vertragspflichtverletzungen gekommen wäre. Der Umstand, dass der Beklagte über eine weitere Wohnung in Hamburg verfügt, ist für die hier vorzunehmende Abwägung ohne Relevanz, weil den Mieter grundsätzlich keine Gebrauchspflicht bezogen auf die Mietsache trifft (Umkehrschluss: § 537 Abs. 1 BGB, vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2010 – VIII ZR 93/10).

Soweit die Berufung meint, der Kläger sei – gestützt auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.10.1971 (- VIII ZR 164/70 – ) – verpflichtet, dem Vermieter eine längere Abwesenheit anzuzeigen oder für eine ausreichende Kontrolle der Wohnung zu sorgen, kann aus dem hier relevanten Verhalten des Beklagten nicht darauf geschlossen werden, dass er während seiner Abwesenheit nicht für eine ausreichende Kontrolle der Wohnung sorgte. Der Kläger trägt nicht vor, dass es in der Vergangenheit während der Abwesenheit des Beklagten zu Schäden in dessen Wohnung gekommen wäre. Anders als der Kläger in der Berufung vorträgt, ist eine Pflichtverletzung des Beklagten in diesem Sinne weder vorgetragen noch ersichtlich. Die behauptete Gefährdung der Mietsache wird nicht konkretisiert.

Zu berücksichtigen ist auch, dass, – anders als vom Kläger mit der Berufung vorgetragen – eine Abmahnung, die das Verhalten des Beklagten in einem anderen Licht erscheinen lassen könnte, zwar behauptet wird, aber nicht zur Akte gelangt ist. Das in der Berufung bezeichnete Anwaltsschreiben vom 15.01.2019 ist eine Information über den Titelerhalt und eine (erneute) Aufforderung zur Zutrittsgewährung. Eine Abmahnung enthält das Schreiben nicht.

3. Frei von Rechtsfehlern hat das Amtsgericht die Räumungsklage abgewiesen, weil auch die Eigenbedarfskündigung des Klägers vom 31.01.2017 das Mietverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

Zwar liegt das gemäß § 573 Abs. 1 BGB i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BGB erforderliche berechtigte Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Kläger – wie hier behauptet – die Räume im Sinne der Nr. 2 der Norm für sich benötigt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 4. März 2015 – VIII ZR 166/14NJW 2015, 1590 Rn. 14 ff. mwN) haben die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch den – eng gezogenen – Kreis privilegierter Dritter nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten und ihrer Rechtsfindung zu Grunde zu legen. Insbesondere haben sie zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen ansieht, und sind daher auch nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen (bestätigt in der Entscheidung vom 15.03.2017 – VIII ZR 270/15 – ).

Soweit sich die Berufung gegen die Würdigung der Angaben des Klägers und der Zeugenaussage seiner Lebensgefährtin wendet, ist dies ohne Erfolg.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges – wie hier – bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. etwa KG, Urteil vom 3. November 2003 – 22 U 136/03, KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533, sowie KG, Urteil vom 8. Januar 2004 – 12 U 184/02, KGR 2004, 269). § 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und (ausnahmsweise; vgl. § 286 Abs. 2 ZPO) gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf (und muss). Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen, wobei es allerdings nicht erforderlich ist, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen. Es genügt vielmehr, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (vgl. z.B. Musielak, ZPO, 12. Aufl., § 286 Rn. 67).

An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Amtsgericht sich in dem angefochtenen Urteil gehalten. Die Kläger setzen in der Berufungsbegründung ihre eigene Bewertung an die Stelle der Wertung des Amtsgerichts, ohne durchgreifende Fehler der erstinstanzlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

Dabei geht die Berufung (noch) zutreffend davon aus, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des Eigenbedarfs der des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung ist. Wobei die Voraussetzungen nach Kündigungsausspruch bis zum Kündigungstermin (Ablauf der Kündigungsfrist) nicht wegfallen dürfen (vgl. Siegmund in: BeckOK Mietrecht, zu § 573 BGB, Rn. 36, 16. Ed. Stand: 01.06.2019).

Der Einwand, es habe keine “richtige Befragung” des Klägers stattgefunden, lässt offen, was bezogen auf dessen Anhörung im Termin gefehlt habe. So ist der Kläger ausweislich des Protokolls persönlich gehört worden. Zudem bestand Gelegenheit, Fragen an den Kläger zu richten, wie dies der Klägervertreter im Termin am 28.05.2019 auch wahrgenommen hat.

So hat der Klägervertreter den Kläger, der zuvor erklärte, in die Wohnungen in der im Zusammenhang mit einer Familiengründung einziehen zu wollen, konkret befragt, ob diese Pläne bereits seit Januar 2017 bestanden hätten. Hierauf antwortete der Kläger, dass er daran seit 2014 gedacht habe, aber erst 2017 begonnen habe, richtige Pläne zu machen, ohne dass er angeben könne, wann dies gewesen sei.

Dass das Amtsgericht in der Gesamtbewertung eine Selbstnutzungsabsicht für den Kündigungszeitpunkt im Januar 2017 nicht festzustellen vermochte, ist vor dem Hintergrund dieser Bekundung nachvollziehbar. Das Amtsgericht hat unter Heranziehung der höchstrichterlichen Entscheidung aus dem Jahr 2015 (BGH, Urteil vom 23.09.2015 – VIII ZR 297/14 – zitiert nach beck-online = NJW 2015, 3368) einen konkreten und alsbaldigen Eigennutzungswunsch mit zutreffender Begründung verneint.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine sog. “Vorratskündigung” nicht wirksam (vgl. BGH Beschluss vom 11.01.2016 – VIII ZR 300/15 – ). Vielmehr muss der Kündigung wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein Nutzungswunsch zugrunde liegen, der sich soweit “verdichtet” hat, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht (BGH, Urt. vom 23. September 2015 – VIII ZR 297/14, aaO). Eine sogenannte Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, reicht nicht aus (vgl. BGH, Urt. vom 23. September 2015 –VIII ZR 297/14NJW 2015, 3368 WuM 2015, 6771 Rn. 22; Urt. vom 18. Mai 2005 – VIII ZR 368/03NJW 2005, 2395 unter II 2; BVerfG, WuM 2002, 21, 22; jeweils mwN).

Ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung hat das Amtsgericht – ohne dass insoweit Fehler erkennbar sind – den Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung nicht entnehmen können. Es ist auch wenig plausibel, dass ein Eigentümer, sofern er einen Entschluss gefasst hat, in sein Eigentum einzuziehen, sich nicht an konkrete Pläne zu erinnern vermag, sondern anführt, “2017 begonnen zu haben, richtige Pläne zu machen“, ohne dass er einen zeitlichen Zusammenhang mit der ausgesprochenen Kündigung nachvollziehbar anzugeben vermag. Insofern hat das Amtsgericht diese Angaben zutreffend als vage und noch unbestimmt bewertet, ohne dass sich dieses Interesse auf eine konkrete und alsbaldige Nutzung verdichtet hätte.

Dies ist auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussage der Lebensgefährtin des Klägers nicht anders zu bewerten.

Die Kammer folgt der Bewertung der Zeugenaussage durch das Amtsgericht. Fehler in der Beweiswürdigung sind weder aufgezeigt noch ersichtlich. Vielmehr hat die Zeugin bekundet, dass der Kläger über mehrere Gebäude verfüge und sie im März 2018 – mithin zu einem Zeitpunkt als die Eigenbedarfskündigung bereits über ein Jahr zuvor erklärt worden war – darüber gesprochen hätten, für die Pläne zu machen. Zwar war im Hinblick auf den Ablauf der Kündigungsfrist am 14.04.2018 vor diesem Zeitpunkt ein Rückerhalt der Mietsache nicht zu erwarten. Die Zeugin hat aber bekundet, dass das Paar zuvor noch nach anderen Wohnungen, auch aus dem Bestand des Klägers geschaut hätte, was ebenfalls gegen eine Verdichtung des Eigennutzungswunsches auf eben die vom Beklagten inne gehaltene Wohnung spricht. Die Zeugin hat in diesem Kontext, konkret geäußert, dass die Idee, die Wohnung des Beklagten zu nutzen, erst im April 2018 gekommen sei. Die Zeugin hat zudem bekundet, dass nie beabsichtigt gewesen sei, dass der Kläger allein in die Wohnung einzieht. Den Bekundungen der Zeugin hat das Amtsgericht insgesamt zutreffend entnommen, dass der Eigennutzungswunsch erst nach ihrem Einzug beim Kläger – welcher im August 2017 erfolgte – entstand, weshalb er bei Ausspruch der Kündigung jedenfalls nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit bestanden hat.”