Aus der Rubrik “Mieterinformationen”:

Berliner Zeitung am 04.05.2022: Zwangsräumung ausgesetzt – Neunköpfige Familie vor Obdachlosigkeit gerettet
Mieter können in Wohnung der Gewobag bleiben. Vermieter verbindet Entscheidung damit, dass nachbarschaftliche Regeln eingehalten werden.
Es ist eine Lösung in letzter Minute. Die für Donnerstag angesetzte Zwangsräumung der Wohnung einer neunköpfigen Familie in Staaken wegen Mietschulden ist abgewendet worden. Der Vermieter, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, teilte am Mittwochabend mit, dass die geplante Räumung „vorerst“ ausgesetzt werde.  Zuvor hatte es eine breite Unterstützung für die Familie gegeben. Das Bündnis Zwangsräumungen verhindern protestierte am Morgen in der Unternehmenszentrale der Gewobag gegen die Räumung. Auch die Abgeordneten Katrin Schmidberger (Grüne) und Niklas Schenker (Linke) hatten sich zuvor für die Familie starkgemacht.

Mietschuldenberater machte keinen Hausbesuch

Erledigt hat sich der Fall nach Ansicht des Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbundes (AMV) damit allerdings nicht. AMV-Chef Marcel Eupen kritisierte, dass die Gewobag nicht genug getan habe, um eine solche Situation von vornherein abzuwenden. „Auch wenn die Gewobag vorliegend schriftlich und telefonisch versucht hat, über ihre Mietschuldenberater Kontakt zu der betroffenen Familie aufzunehmen, und sogar schriftlich Ersatzwohnraum angeboten hat, hat sie dennoch nicht alles ihr Zumutbare unternommen“, so Eupen. „Bei einer Familie mit Migrationshintergrund, bei der unter Umständen die Sprachkenntnisse nur unzureichend sind, müssen die Mietschuldenberater zwingend einen Hausbesuch vornehmen.“ Dieser habe nach Kenntnis des AMV „nicht stattgefunden“. Damit sei das Verhalten der Gewobag unzureichend gewesen, so Eupen.
Die neunköpfige Familie lebt seit 2017 in einer Sechszimmerwohnung der Gewobag in Staaken. Die Warmmiete beläuft sich auf 1355,84 Euro. Die Gewobag hatte der Familie gekündigt und dies mit einem Zahlungsrückstand begründet. Gewobag-Sprecherin Anne Grubert bezifferte die Rückstände auf „insgesamt 2089,05 Euro“. Wie es zu dem Rückstand kam, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Klar ist: Die Miete wird normalerweise vom Jobcenter direkt an die Gewobag gezahlt. Offenbar gab es aber im Oktober vergangenen Jahres eine Ausnahme.

Miete sei unregelmäßig und zu wenig gezahlt worden

„Das Jobcenter sagt, es habe die Miete an uns überwiesen“, sagt Familienmutter Fatima B. „Aber das stimmt nicht. Der Betrag, den wir erhalten haben, kommt jedenfalls nicht hin.“ Gewobag-Sprecherin Anne Grubert sagt, dass das Jobcenter „die Miete unregelmäßig gezahlt und unterzahlt“ habe, teilweise habe es „auch Mietzahlungen ausgesetzt“. Grubert: „Dadurch kamen die Mietrückstände zustande.“ Die Gründe seien „beim Jobcenter zu erfragen“. Das wollte die Berliner Zeitung gern tun. Doch das Jobcenter verlangte vor einer Stellungnahme „eine ausgefüllte Vollmacht zur Datenfreigabe“ durch die betroffene Familie. Diese war bis Redaktionsschluss nicht zu erhalten.
Die Gewobag erhob gegen die Familie nicht nur Vorwürfe wegen des Zahlungsrückstandes, sondern verwies zugleich auf „erhebliche Vertragsstörungen“. So seien die Mieter mehrfach wegen Verstoßes gegen die Hausordnung abgemahnt worden. Auch habe es von anderen Bewohnern Beschwerden gegeben. Die Familie weist die Vorwürfe zurück. Sie sieht sich als Opfer falscher Behauptungen aus der Nachbarschaft. Fatima B. zeigt sich zugleich offen für Gespräche. Sie habe kein Problem, sich für einen Neustart mit den Nachbarn zusammenzusetzen, sagt sie. „Mit mir kann man über alles reden.“
Gespräche mit dem Versuch, zwischen den Mietern zu vermitteln, hat es offenbar nicht gegeben. Sozialarbeiter Tom Liebelt sagt: „Man kann Mieter kaum schneller kündigen, als es die Gewobag in diesem Fall getan hat.“ Hinter der Kündigung wegen Mietschulden stecke offenbar ein Nachbarschaftsstreit im Haus, der auf Kosten der Familie B. habe gelöst werden sollen. „Eine Mediation hat es leider nicht gegeben“, so Liebelt. „Wir haben versucht zu schlichten, doch ist uns das nicht gelungen.“

Kritik vom Mieterberater: Zwei offene Miete führen zu Wohnungsverlust

Was den Fall politisch brisant macht: Eigentlich sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Kündigungen vermeiden – durch Informationen, Beratung, Mediation und ähnliche Maßnahmen. Dieser Auftrag ergebe sich aus der Kooperationsvereinbarung „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnungsbaugesellschaften“, auf die sich die Unternehmen mit dem Senat verständigt haben, so AMV-Chef Eupen. Es sei im vorliegenden Fall „nicht zu erkennen, dass die Gewobag diesem Präventivauftrag im ausreichenden Maße nachgekommen ist“. Es sei „ein Unding, dass es bei nicht einmal zwei offenen Mieten zum Wohnungsverlust kommen sollte“.
Die Gewobag sagte am Mittwochabend Hilfe zu. „Wir werden die Familie auch weiterhin mit unseren Angeboten und entsprechend unserer Möglichkeiten unterstützen“, so eine Unternehmenssprecherin. Dabei werde es aber auch an der Familie liegen, „entsprechend zu handeln und sich im Sinne eines nachbarschaftlichen Zusammenlebens an geltende Regeln und Gesetze zu halten und so ihren Beitrag zur Lebensqualität aller MitmieterInnen zu leisten“.