Berliner Zeitung am 01.07.2022 – Legionellen-Alarm in Wohnkomplex in Westend: Gefahr noch nicht gebannt
Weiterhin zu hohe Legionellen-Konzentration. Erste Meldungen zu Grenzwertüberschreitungen schon im Jahr 2013. Mieterschützer fordern schnellere Instandsetzung.
Für die Mieter war es ein Schock. „Für dieses Objekt besteht bis auf Weiteres ein Duschverbot“, stand auf einem Aushang im Wohnhaus Angerburger Allee 53 in Westend. Bei einer Untersuchung der Wasserversorgungsanlage auf Legionellen sei „eine extrem hohe Kontamination“ festgestellt worden. Der höchste analysierte Wert habe bei 14.100 koloniebildenden Einheiten (KBE) pro 100 Milliliter Wasser gelegen – damit wurde der zulässige Grenzwert der Trinkwasserverordnung um das 141-Fache überschritten. Das war im Juli vergangenen Jahres.
Heute, elf Monate später, ist zwar das Duschverbot aufgehoben, doch die Legionellen-Belastung in dem Wohnkomplex ist noch immer nicht beseitigt. Zum Ärger der Mieter. „Das ist doch kein Zustand“, sagt ein Bewohner. Der Vermieter, die Adler Group, habe zwar eine Mietminderung gewährt und stelle Duschköpfe mit Filter gegen die Legionellen-Gefahr zur Verfügung, doch ansonsten habe sich nichts getan.
„Unsere bisherigen Reparaturversuche konnten leider nicht erfolgreich abgeschlossen werden“, heißt es bedauernd in einem Schreiben der Adler Group, das im Mai dieses Jahres an Mieter verschickt wurde. „Im Zuge der vorgenommenen Maßnahmen“ sei festgestellt worden, „dass erhebliche Aufwendungen erforderlich sind, um den Mangel dauerhaft zu beseitigen“. Man bitte daher „noch um etwas Geduld“. Dem Mieter aus der Hausnummer 53 reicht das nicht aus. Er wolle wieder duschen, ohne Angst haben zu müssen, dass sich sein gesundheitlicher Zustand verschlechtere. „Das ist eine bedrohliche Sache“, sagt er.
Legionellen können schwere Lungenentzündung verursachen
Die Trinkwasserverordnung schreibt Eigentümern vor, Wasserversorgungsanlagen in Wohnhäusern regelmäßig auf den Befall von Legionellen zu überprüfen. Laut Trinkwasserverordnung gilt, dass ein Wert von 100 KBE pro 100 Milliliter Wasser nicht überschritten werden darf. Im Fachjargon wird dieser Wert als Maßnahmewert bezeichnet. Falls eine Überschreitung des Werts festgestellt wird, wie im vorliegenden Fall, muss eingeschritten werden. Der Vermieter muss dann unverzüglich Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen durchführen, eine Gefährdungsanalyse erstellen, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher durchführen, das bezirkliche Gesundheitsamt unterrichten und die betroffenen Verbraucher informieren, heißt es in einer Information des Landesamtes für Gesundheit und Soziales.
Viele Mieter aus der Angerburger Allee sehen sich indes alles andere als gut informiert – vom Vermieter wie vom Bezirk. Nach dem ersten Aushang in der Hausnummer 53, in dem auf die hohe Legionellen-Belastung und das Duschverbot hingewiesen wurde, hätten sie mehr Informationen erwartet, sagen sie. Mieterberater Marcel Eupen, Chef des Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbundes (AMV), berichtet, dass es Bewohner anderer Hausaufgänge im Wohnkomplex an der Angerburger Allee gebe, die noch vor kurzem bei ihm nachgefragt haben, ob sie ebenfalls betroffen seien. Auch für diese Mieter habe er bei der Adler Group aber anschließend eine Mietminderung durchsetzen können, die „aufgrund erhöhter Legionellenbelastung“ gewährt wurde.
Bezirksverordnetenversammlung macht Druck
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Charlottenburg-Wilmersdorf macht unterdessen politisch Druck. In einem Beschluss der BVV auf Antrag der Linken vom März dieses Jahres wird das Bezirksamt aufgefordert, in der Angerburger Allee 35–55 (ungerade Hausnummern) „unverzüglich zu kontrollieren, ob und welche Maßnahmen der Hauseigentümer Adler Group durchführt, um den bereits seit dem 22. Juli bekannten Legionellen-Befall zu beseitigen“. Sollte der Hauseigentümer keine beziehungsweise unzureichende Maßnahmen ergreifen, solle „das Gesundheitsamt diese anordnen“ und bei Nichtbefolgen der Anordnung per Ersatzvornahme durchführen, also selbst veranlassen und dem Eigentümer in Rechnung stellen.
Die Adler Group muss die Trinkwasseranlage jetzt schnellstmöglich instand setzen, um die Gesundheitsgefahren für die Mieter zu beseitigen.AMV-Chef Marcel Eupen
Mit den Bewohnern sei zudem ein „dichtes Kommunikationsnetz zu entwickeln, über das sie regelmäßig und zeitnah über die geplanten Maßnahmen und erfolgten Schritte zur Beseitigung der gesundheitsbedrohlichen Situation informiert werden“. Die zuständigen Fachausschüsse der BVV seien in jeder Sitzung über die Umsetzung des Beschlusses zu informieren, bis das Problem beseitigt wurde.
Wir wollten wissen, was der Bezirk getan hat – und befragten dazu Gesundheitsstadt Detlef Wagner (CDU). Seine Auskunft enthält sogleich eine Überraschung. Die erste Mitteilung über eine Grenzwertüberschreitung in der Angerburger Allee sei „bereits im Jahr 2013“ erfolgt, berichtet er. „Seit diesem Zeitpunkt wird in diesem großen Wohngebäudekomplex schrittweise die Sanierung der teilweise über mehrere Wohnhäuser erstreckenden Leitungssysteme durchgeführt.“ Aber offenkundig mit begrenztem Erfolg. In den letzten Nachproben vom 23./24. Mai 2022 seien „weiterhin an verschiedenen Stellen Legionellen-Konzentrationen oberhalb des Maßnahmewertes der Trinkwasserverordnung nachgewiesen“ worden, so der Stadtrat.
Stadtrat: Gesundheitsamt berät Mieter bei Bedarf
Der Vermieter sei bisher „der Informationspflicht nachgekommen“, das Gesundheitsamt habe jedoch die Beauftragung von Maßnahmen regelmäßig abfragen müssen, so der Stadtrat. Die Informationspflicht über Grenzwertüberschreitungen liege beim Betreiber der Trinkwasseranlage, also beim Vermieter. Dieser habe sowohl das Gesundheitsamt als auch die Mieter zu informieren. Das Gesundheitsamt berate aber besorgte Bürger „auf Anfrage“ und es überwache die Maßnahmen zur Trinkwasserverbesserung.
Der Sanierungsaufwand ist groß und wurde schrittweise geplantStadtrat Charlottenburg-Wilmersdorf
Dass der Mangel noch immer nicht beseitigt wurde, ist nach Angaben des Stadtrats bekannt. „Der Sanierungsaufwand ist groß und wurde schrittweise geplant“, berichtet er. Das Gesundheitsamt überwache die Abarbeitung der Maßnahmen und habe, da Schritte zur Sanierung auch erfolgt seien, bislang keine Konsequenzen eingeleitet.
Und die Ausschüsse? Der Gesundheitsausschuss der BVV sei regelmäßig informiert worden, so der Stadtrat. Darüber hinaus habe das Bezirksamt die BVV im Rahmen einer mündlichen Anfrage am 23. Juni 2022 über den aktuellen Stand in Kenntnis gesetzt. Der Fachausschuss für Stadtentwicklung sei wegen der fehlenden Zuständigkeit nicht informiert worden. Legionellen-Erkrankungen, die gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtig sind, seien bislang in der Angerburger Allee nicht gemeldet worden.
Adler Group: beauftrage Fachfirma seit zwei Wochen vor Ort tätig
Die Adler Group bestätigt, dass im Juli vergangenen Jahres in drei Wohnungen in der Angerburger Allee 53 eine Belastung mit Legionellen festgestellt wurde. In einer Wohnung sei der Wert von 14.100 KBE erreicht worden. An den beiden anderen Stellen hätten die Messwerte „erheblich darunter“ gelegen, so eine Sprecherin. Die entsprechenden Protokolle seien der Adler Group ab dem 20. Juli 2021 zugegangen. „Wir haben daraufhin die Mieter umgehend mittels Aushängen im Gebäude informiert und über die einzuhaltenden Sicherheitsmaßnahmen aufgeklärt“. Zudem seien „diverse betroffene Entnahmestellen“, also Armaturen und Perlatoren, kurzfristig erneuert worden. „Darüber hinaus wurden in Wohnungen Duschfilter installiert; teilweise auch vorbeugend, ohne dass an der entsprechenden Stelle eine Belastung nachgewiesen wurde“, berichtet die Sprecherin.
Mit der Installation der Duschfilter seien die zwischenzeitlich verhängten Duschverbote, die ausschließlich in der Angerburger Allee 53 verhängt wurden, wieder aufgehoben worden. „Seitdem nimmt eine von uns beauftragte Fachfirma regelmäßig Kontrolluntersuchungen über ein installiertes digitales System vor“, so die Sprecherin. Im November 2021 habe es eine umfassende Nachuntersuchung gegeben, bei der „eine deutlich geringere Belastung festgestellt wurde, die aber nach wie vor über dem Normbereich“ liege. Die Mieter seien „daher weiterhin angehalten, regelmäßige Spülungen und Reinigungsmaßnahmen vorzunehmen“, worüber sie informiert worden seien.
Die Adler Group hat nach Angaben der Sprecherin „auf Basis der Ergebnisse einer extern erstellten Gefährdungsanalyse“ verschiedene Maßnahmen im Gebäude und in den Wohnungen veranlasst. „Die von uns beauftragte Fachfirma ist bereits seit zwei Wochen vor Ort tätig, um diverse Installationen zu überprüfen und bei Bedarf instand zu setzen“, so die Sprecherin. Der Fortgang der Arbeiten hänge „von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem auch von der Zugänglichkeit der Wohnungen“. Somit lasse sich „derzeit noch nicht absehen, wann die Arbeiten abgeschlossen“ seien. Die Unternehmenssprecherin verspricht aber: „Wir halten die Mieterinnen und Mieter im Gebäude auf dem Laufenden und stehen ihnen bei Fragen zur Verfügung.“ Wichtigste Erkenntnis aus ihrer Stellungnahme: Die beauftragte Fachfirma ist seit zwei Wochen vor Ort tätig, also gut zehn Monate nach Verhängung des Duschverbots im Juli 2021.
Alternativer Mieter- und Verbraucherschutzbund verlangt mehr Tempo
Der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund, der viele Mieter in dem Wohnkomplex vertritt, zeigt sich wenig zufrieden. „Es ist nicht akzeptabel, dass die Reparatur so lange dauert“, sagt AMV-Chef Marcel Eupen. „Erst recht nicht, wenn wir jetzt erfahren, dass die erste Mitteilung an das Gesundheitsamt über eine Grenzwertüberschreitung bereits im Jahr 2013 erfolgt ist.“ Es sei „erklärungsbedürftig, warum es seitdem nicht gelungen sein soll, das Problem zu beseitigen“, so Eupen. „Die Adler Group muss die Trinkwasseranlage jetzt schnellstmöglich instand setzen, um die Gesundheitsgefahren für die Mieter zu beseitigen.“
Zugleich müssten die Mieter „von der Adler Group endlich umfassend über den Stand der Arbeiten und die Messergebnisse informiert“ werden. „Auch und erst recht, wenn die Messergebnisse noch immer über dem zulässigen Grenzwert liegen“, so Eupen. Wenn der Bezirk darauf verweise, dass das Gesundheitsamt besorgte Bürger auf Anfrage berate, werde er dem Auftrag der BVV nicht gerecht. Deren Beschluss verlange, mit den Bewohnern „ein dichtes Kommunikationsnetz zu entwickeln, über das sie regelmäßig und zeitnah über die geplanten Maßnahmen und erfolgten Schritte“ informiert werden. Davon könne bisher keine Rede sein, so Eupen. „Der zuständige Stadtrat sollte diesem Auftrag endlich nachkommen.“