Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist der Grundgedanke der “Baulückenrechtsprechung” anwendbar, wenn der Vermieter die Belästigung selbst herbeigeführt hat?

Die Antwort des Verfassungsgerichtshofs Berlin (VerfGH Berlin – VerfGH 151/14, Beschluss vom 18.02.2015) lautet: Nein!

Zur Begründung führt der VerfGH Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. a) bis b) wie folgt aus: “2. Gemessen daran verletzt die angegriffene Entscheidung den in Art. 15 Abs. 1 VvB verbürgten Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör.

a) Sie rügt zu Recht, dass das Landgericht ihren Vortrag, die Beteiligte zu 2 als Vermieterin habe den Baulärm selbst verursacht, nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht hinreichend erwogen hat.

Das Urteil geht auf dieses zentrale Vorbringen weder ausdrücklich noch der Sache nach ein. Anders als das Landgericht in der Entscheidung über die Anhörungsrüge meint, war dies hier auch nicht entbehrlich. Allerdings darf das Gericht Parteivortrag unberücksichtigt lassen, den es rechtlich für unerheblich hält (Beschluss vom 19. März 2013 – VerfGH 114/11 – Rn. 21). Das entbindet es jedoch nicht von der Verpflichtung, die Ausführungen zunächst zur Kenntnis zu nehmen und auf ihre rechtliche Erheblichkeit zu überprüfen.

Dem ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Im Anhörungsrügebeschluss führt es aus, von wem die Baumaßnahme durchgeführt worden sei, sei “für die Frage der Erkennbarkeit von zukünftigen Baumaßnahmen in der Umgebung” nicht entscheidungserheblich gewesen. Danach hat das Landgericht das Argument der Beschwerdeführerin im Kern nicht zur Kenntnis genommen. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2013 hatte die Beschwerdeführerin ausgeführt, der Grundgedanke der Baulückenrechtsprechung sei “schlicht nicht anwendbar”, wenn der Vermieter die Belästigung selbst herbeigeführt habe. Sie machte damit nicht etwa geltend, dass eine vom Vermieter durchgeführte Baumaßnahme nicht “erkennbar” sei. Sie war vielmehr der Ansicht, dass das Kriterium der Erkennbarkeit in einem solchen Fall nicht zu einer angemessenen Risikoverteilung führe und es auf dieses deshalb nicht entscheidend ankomme. Mit diesem jedenfalls nicht offensichtlich verfehlten Ansatz hätte das Landgericht sich substantiiert befassen müssen, zumal die Differenzierung nach der Beherrschbarkeit für den Vermieter dem Mietmängelrecht nicht grundsätzlich fremd ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2006 – XII ZR 23/04; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 74. Auflage 2015, § 536 Rn. 20 m. w. N.).

Das Urteil beruht auf dem Verfassungsverstoß. Es lässt sich nicht ausschließen (vgl. zu diesem Maßstab: Beschluss vom 14. November 2012 – VerfGH 127/10 – Rn. 22 m. w. N.; st. Rspr.), dass die Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.

b) Das Landgericht hat sich bei seinen Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der Bebauung auch nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise mit dem Vortrag zu den Besonderheiten des Eckgrundstücks befasst. Das Urteil geht weder auf die Fenster in den Giebelseiten der Nachbarhäuser noch auf die Lage des Hauseingangs auf der Hofseite ein, obwohl es sich dabei um zentrale, nicht offensichtlich unerhebliche und damit zwingend in den Entscheidungsgründen zu verarbeitende Punkte handelte.

Die Entscheidung beruht auf dem Verfassungsverstoß. Die im Anhörungsrügebeschluss nachgeholte Begründung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dabei kann dahin stehen, ob und unter welchen Voraussetzungen das rechtliche Gehör grundsätzlich nachgeholt werden kann. Eine Nachholung scheidet jedenfalls dann aus, wenn die Entscheidung über die Anhörungsrüge ihrerseits Verfassungsrecht verletzt (Beschluss vom 13. August 2013 –VerfGH 147/12 – Rn. 24; vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, Beschlüsse vom 25. März 2010 – 1 BvR 2446/09 und vom 26. Juni 2012 – 2 BvR 1013/11).

So liegt es hier. Die Ausführungen des Landgerichts, ein Hauszugang “könne” verlegt werden und der Abschluss von Vereinbarungen über das Verschließen der Fenster sei “nicht von vornherein ausgeschlossen”, verletzen erneut den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör. Das Landgericht gibt dem Rechtsstreit damit eine Wendung, mit der auch ein kundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretbaren Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. zu diesem Maßstab: Beschluss vom 14. November 2012 – VerfGH 127/10 – Rn. 24 m. w. N.).

Die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zu der Baulücke konnten in Verbindung mit der Begründung für die Nichtzulassung der Revision nur so verstanden werden, dass das Landgericht für die Frage der Erkennbarkeit der Beeinträchtigung bei Vertragsschluss auf konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall abstellt. Mit diesem Ansatz ist es nicht zu vereinbaren, dass nach dem Anhörungsrügebeschluss die Minderung nunmehr schon bei einer nur (abstrakt) “möglichen” bzw. “nicht ausgeschlossenen” Beeinträchtigung entfallen soll, zumal diese Kriterien für die Mehrzahl der bislang in der Rechtsprechung anerkannten Mietmängel – etwa einen Ausfall der Heizung – zutreffen würden. Anlass für auf den konkreten Einzelfall bezogene Ausführungen insbesondere zu den Giebelfenstern der Nachbarhäuser hätte auch im Hinblick auf die vom Landgericht nicht angezweifelten Feststellungen des Amtsgerichts zur Baugeschichte des Gebäudeensembles M.- und C.-Straße bestanden. Danach handelte es sich um einen nach dem Krieg neu errichteten einheitlichen Gebäudekomplex, bei dem zur Vermeidung einer “Hinterhofsituation” durch eine “großzügigere” Bebauung und Freilassen des Eckgrundstücks die ursprüngliche gründerzeitliche Blockrandbebauung bewusst durchbrochen wurde. Warum die Beschwerdeführerin damit rechnen musste, dass dieses architektonische Konzept grundlegend verändert und durch die Rückkehr zur gründerzeitlichen Blockrandbebauung in sein Gegenteil verkehrt wurde, wäre näher zu begründen gewesen.

Soweit der Anhörungsrügebeschluss außerdem ausführt, die Lärmbeeinträchtigungen seien nicht gerade auf das Verschließen der Fenster zurückzuführen, hat diese Überlegung keinen Bezug zur Frage der Vorhersehbarkeit der Bebauung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und beinhaltet damit ebenfalls keine nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs.”