Ist der Berliner Mietspiegel 2009 ein qualifizierter Mietspiegel?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 63 S 220/11, Urteil vom 17.07.2015) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: “Die ortübliche Miete war im vorliegenden Fall nicht aufgrund des Berliner Mietspiegels 2009 zu ermitteln. Dem Berliner Mietspiegel 2009 kommt die Vermutungswirkung gemäß § 558 d Abs. 3 BGB, dass die ausgewiesenen Entgelte die ortübliche Miete wiedergeben, nicht zu. Zwar ist der Berliner Mietspiegel 2009 als qualifizierter Mietspiegel im Sinne von § 558 d BGB bezeichnet und vom Land Berlin sowie jeweils mehreren Interessenverbänden sowohl der Mieter als auch der Vermieter anerkannt worden (Abl. 2009, S. 1409). Dass die hierfür gemäß § 558 d Abs. 1 BGB erforderlichen Voraussetzungen, nämlich die Erstellung nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen, eingehalten sind, hat der Beklagte jedoch nicht bewiesen.
Da an einen qualifizierten Mietspiegel bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind (Hinweispflicht im Rahmen des Mieterhöhungsverlangens nach § 558 a Abs. 3 BGB, Vermutungswirkung nach § 558 d Abs. 3 BGB), muss die Frage, ob es sich um einen – ordnungsgemäß erstellten und anerkannten – qualifizierte Mietspiegel handelt, für die betroffenen Parteien auch überprüfbar sein (vgl. BT-Drucks. 14/4553, S. 57). Auf die Prüfung, ob ein Mietspiegel die Anforderungen des § 558 d Abs. 1 BGB erfüllt, kann im Bestreitensfall nicht schon deswegen verzichtet werden, weil der Mietspiegel von seinem Ersteller als qualifizierter Mietspiegel bezeichnet oder von der Gemeinde und/oder von den Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter als solcher anerkannt und veröffentlicht worden ist. Denn diese Umstände beweisen noch nicht, dass die Voraussetzungen des § 558 d Abs. 1 BGB auch tatsächlich erfüllt sind, insbesondere der Mietspiegel nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden ist (BGH, Urteil vom 21. November 2012 – VIII ZR 46/12, GE 2013, 197).
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall die Grundlagen für die Annahme eines qualifizierten Mietspiegels hinreichend substantiiert bestritten, soweit ihr dies ohne besondere Fachkenntnisse – etwa auf dem Gebiet der Statistik – und unter Berücksichtigung der veröffentlichten Dokumentationen möglich ist.
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21. November 2012 – VIII ZR 46/12, GE 2013, 197) hat hierzu ausgeführt:
“Denn die Klägerin hat bestritten, dass der Mietspiegel 2009 der Stadt Berlin nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde. Dieses Bestreiten war … auch hinreichend substantiiert. Die Klägerin hat moniert, die Einordnung der Wohngebiete im Berliner Mietspiegel 2009 beruhe – anders als etwa beim Münchener Mietspiegel – nicht auf überprüfbaren anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erhebungen, sondern auf einer willkürlichen und realitätsfremden, nicht am tatsächlichen Mietniveau orientierten Einteilung einzelner Straßen und Gebiete in die drei Wohnlagen “einfach, “mittel” und “gut” wobei die im Münchener Mietspiegel vorgesehene Kategorie “beste Wohnlage” gar nicht vorgesehen sei. Hierbei hat sie insbesondere die im Straßenverzeichnis zum Mietspiegel 2009 vorgenommene Einordnung der streitgegenständlichen Wohnung in die Kategorie “einfache Wohnlage” bemängelt und dazu vorgetragen, die Wohnung liege in einem – vor allem wegen seiner Infrastruktur – besonders beliebten Innenstadtgebiet (Berlin-Mitte), in dem deutlich über dem einschlägigen Höchstwert des Berliner Mietspiegels 2009 liegende Mieten erzielt würden Dies werde exemplarisch dadurch belegt, dass von 30 Wohnungen im Bestand der Klägerin nur drei innerhalb der im einschlägigen Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne lägen. Die Klägerin hat damit die Richtigkeit und Repräsentativität des dem Mietspiegel zugrunde gelegten Datenmaterials substantiiert in Frage gestellt.”
Der Berliner Mietspiegel 2009 war auch nicht als “einfacher” Mietspiegel im Sinne von §558 c BGB zur Ermittlung der ortsüblichen Miete heranzuziehen.
Auch nach Einführung des qualifizierten Mietspiegels als eine von mehreren tauglichen Grundlagen für ein Mieterhöhungsverlangen kann ein einfacher Mietspiegel im Mieterhöhungsprozess zwar weiterhin geeignete Erkenntnisquelle bei der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Allerdings kommt dem einfachen Mietspiegel angesichts der Wertung des Gesetzgebers nicht die in § 558 d Abs. 3 BGB dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung zu. Er stellt jedoch ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben. Ob die Indiz Wirkung eines einfachen Mietspiegels im Einzelfall zum Nachweis der Ortsüblichkeit der verlangten Miete ausreicht, hängt davon ab, welche Einwendungen der auf Zustimmung zur Mieterhöhung in Anspruch genommene Mieter gegen den Erkenntniswert der Angaben des Mietspiegels erhebt (BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 – VIII ZR 99/09, GE 2010, 1049).
Die oben dargelegten Einwände der Klägerin betreffen indes nicht nur die Frage, ob das grundsätzliche Verfahren anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht. Sie beanstandet vielmehr konkret unter Angabe von Mieten für 30 andere vergleichbare Wohnungen, dass der Berliner Mietspiegel 2009 jedenfalls betreffend das hier einschlägige Rasterfeld auf unrichtigem oder nicht repräsentativem Datenmaterial beruhe. Dies betrifft auch die Grundlagen des einfachen Mietspiegels, begründet Zweifel an dessen Verlässlichkeit und erschüttert auch dessen Indiz Wirkung. Aus diesem Grund scheidet eine Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2009 für die Ermittlung der ortsüblichen Miete als Schätzgrundlage im Sinne eines einfachen Mietspiegels gemäß § 287 ZPO im vorliegenden Fall aus.
Da sich die von Seiten der Klägerin in Frage gestellte Einhaltung der wissenschaftlichen Grundsätze nicht aufgrund der veröffentlichten Dokumentationen als offenkundig darstellt und vom Gericht nicht aus eigener Sachkunde beurteilt werden konnte, war hierüber Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben.
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21. November 2012 – VIII ZR 46/12, GE 2013, 197) hat hierzu ausgeführt:
“Die Einhaltung/Nichteinhaltung anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze wird sich, sofern sie sich nicht bereits – etwa aufgrund der im Mietspiegel oder den hierzu veröffentlichten Erläuterungen enthaltenen (aussagekräftigen) Angaben zum Verfahren der Datengewinnung- und Auswertung sowie zu den einzelnen Bewertungsschritten – als offenkundig darstellt oder vom Gericht in eigener Sachkunde beurteilt werden kann, häufig nur durch ein Sachverständigengutachten klären lassen.
Die Notwendigkeit, bei Bestreiten des Vorliegens eines qualifizierten Mietspiegels hierüber Beweis zu erheben, birgt allerdings die Gefahr in sich, dass die in § 558d Abs. 3 BGB vorgesehene Vermutung ihre verfahrensvereinfachende Funktion (vgl. hierzu Senatsurteil vom 20. April 2005 – VIII ZR 110/04, aaO unter II 2 c cc) im Ergebnis weitgehend einbüßt. Denn die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob der Mietspiegel nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde, ist in aller Regel kosten- und zeitaufwändig. Diese Auswirkungen sind jedoch als unvermeidbar hinzunehmen.”
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Berliner Mietspiegel 2009 den Voraussetzungen eines qualifizierten Mietspiegels gemäß § 558 d Abs. 1 BGB genügt, obliegt dem Beklagten.
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21. November 2012 – VIII ZR 46/12, GE 2013, 197) hat hierzu ausgeführt:
“Sofern der Mieter diese gesteigerte Richtigkeitsgewähr (eines qualifizierten Mietspiegels) für sich in Anspruch nehmen und sich die Vermutungswirkung des § 558 d Abs. 3 BGB zu Nutze machen will, muss er … darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der verwendete Mietspiegel die Voraussetzungen des § 558 d Abs. 1 BGB erfüllt und es sich somit um einen qualifizierten Mietspiegel handelt.”
Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. K. sowohl im schriftlichen Gutachten vom 17. April 2014 als auch in der mündlichen Erläuterung im Verhandlungstermin am 5. August 2014 begründen in dieser Hinsicht mindestens erhebliche Zweifel, sodass der dem Beklagten obliegende Beweis danach als nicht geführt anzusehen ist.
Dabei können die von ihm getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Zu- und Abschläge für die Sondermerkmale ebenso dahinstehen wie die in Bezug auf die Ermittlung der Nettomiete im Falle einer vereinbarten Bruttokaltmiete erhobenen Bedenken des Sachverständigen. Erstere sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig, letztere wirken sich aufgrund der geringen Fallzahlen nicht maßgeblich aus.
Der Sachverständige hat aber auch im Übrigen – sowohl wegen der Repräsentanz der Daten aufgrund der geringen Rückläuferquote als auch angesichts der bei der Extremwertbereinigung angewandten Standardabweichung statt der Boxplot-Methode – maßgebliche Defizite bei der Einhaltung anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze dargetan, so reiche unter anderem die fehlende Dokumentation verschiedener zentraler Schritte, etwa die regressionsanalytische Ermittlung der Zu- und Abschläge zu den Tabellenwerten des Mietspiegels, bereits aus, von fehlender Qualifikation auszugehen, wobei sich der Sachverständige im Einzelnen hierzu auf statistikwissenschaftliche Literaturmeinungen bezieht. Ferner sei bei der Extremwertbereinigung die dort gewählte rein mechanisch-statistische Vorgangsweise, nämlich die Eliminierung aller Werte außerhalb eines 95 %-Vertrauensintervalls für den jeweiligen Zellenmittelwert, genauso wie die Charakterisierung von Ausreißern als Mietwerte, die signifikant von den anderen Messwerten eines Tabellenfeldes abweichen, für diese Zwecke ungeeignet, weil – wie im Detail erläutert wird – die Bedeutung des statistischen Signifikanzbegriffs missverstanden werde.
In der mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens hat der Sachverständige darüber hinaus darauf hingewiesen, dass eine Rücklaufquote von nur 10 % in der Sozialwissenschaft bereits als Disqualifikation zu werten sei, weil zwar das Ergebnis – unter anderem aus Zufallsgründen – repräsentativ sein könne, jedoch den Regelungen des Zustandekommens widerspreche.
Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf die von ihm eingeholte Stellungnahme des Herrn Dr. M. C. vom 2. Juni 2014 die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. K. als unzutreffend beanstandet, übersieht er offenbar die eingangs dargestellte Darlegungs- und Beweislast. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W. K. ist Beweismittel für die Beweisbehauptung des Beklagten, der Mietspiegel sei ein qualifizierter. Diese Beweisbehauptung ist nicht bereits dann als bewiesen anzusehen, wenn er die entgegenstehenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. K. als unzutreffend angreift.
Auch aus den vom Beklagten herangezogenen Angaben des Herrn Dr. M. C. ergibt sich nicht, dass bei der Erstellung des Berliner Mietspiegels 2009 die anerkannten wissenschaftlichen statistischen Grundsätze eingehalten sind, Er legt die danach anzuwendenden Grundsätze nämlich nicht dar, sondern beschränkt sich darauf, die Ansicht zu vertreten, die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. K. seien nicht zutreffend. Er räumt vielmehr auch ein, dass letztlich unklar sei, wie das beim Berliner Mietspiegel 2009 angewandte Verfahren der Extremwertbereinigung statistisch begründet werde. Der bloße Hinweis darauf, dass in gleicher Weise bei der Erstellung von Mietspiegeln in anderen Städten verfahren werde, trägt nicht bereits die Annahme, dass diese Verfahrensweise richtig ist und anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht.
Soweit sich der Beklagte auf die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung herausgegebenen “Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln” beruft, führt dies zu keinen anderen Ergebnis. Denn zum einen ist bereits nicht erkennbar, dass diese ihrerseits auf den wissenschaftlichen Grundsätzen beruhen, die für einen qualifizierten Mietspiegel einzuhalten sind. Zum anderen haben sie als lediglich unverbindliche Richtlinien nicht die Wirkung einer gemäß § 558 c Abs. 5 BGB möglichen, aber bislang nicht erlassenen Rechtsverordnung.
Die Einholung eines weiteren Gutachtens war nicht geboten, weil weder die Feststellungen des vorliegenden noch die hierzu erhobenen Einwendungen Anlass für eine neuerliche Begutachtung geben. Das Gutachten ist nicht ungenügend im Sinne von § 412ZPO. Es ist weder unvollständig noch widersprüchlich noch nicht überzeugend. Es sind auch keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Sachverständige von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist oder nicht die erforderliche Sachkunde hat oder es neue wissenschaftliche Erkenntnisse betreffend die Beweisfrage gibt (Zimmermann in MüKo, 4. Aufl. 2012, § 412 ZPO, Rn 2 m.w.N.).
Wenn danach aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. K. der vom Beklagten zu erbringende Beweis für die Qualifikation des Berliner Mietspiegels 2009 nicht geführt ist, so ist er beweisfällig für dessen Vermutungswirkung geblieben.”
