Haben publizistisch tätige Medien (hier: “gemeinnütziges Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum”) bei Vorliegen eines presserechtlichen Interesses einen Anspruch auf Einsicht in das Grundbuch?
Die Antwort des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG Düsseldorf – 3 Wx 179/15, Beschluss vom 07.10.2015) lautet: Ja!
Zur Begründung führt das OLG Düsseldorf in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1. wie folgt aus: “Der Antragstellerin ist die begehrte Grundbucheinsicht nach § 12 GBO Abs. 1 i. V. m. § 46 GBV zu gewähren.
Über den ursprünglichen, dem allgemeinen Rechtsverkehr mit Grundstücken dienenden Regelungszweck hinaus, vermag auch ein schutzwürdiges Interesse der Presse und vergleichbarer publizistisch tätiger Medien daran, von den für ein bestimmtes Grundstück vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu erlangen, das nach § 12 Abs. 1 GBO für die Gestattung der Einsicht erforderliche berechtigte Interesse zu begründen (vgl. BVerfG, 28.08.2000, NJW 2001, 503; BGHNJW-RR 2011, 1651 m. w. N.; OLG Stuttgart, 27.06.2012 – 8 W 228/12 = BeckRS 2013, 07597).
Ein solches presserechtliches Interesse hat die Antragstellerin geltend gemacht.
Die Antragstellerin wirkt – auch in Zusammenarbeit mit überregionalen Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern – an der öffentlichen Meinungsbildung mit und ist damit der Presse zuzuordnen (vgl. zu § 3 PresseG NW und zu der auch dort notwendigen Abgrenzung zu anderen Unternehmen VG Köln, 20.05.2015 – 6 L 476/15). Aufgrund ihrer Funktion bei der Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung untersteht die Antragstellerin dem besonderen Schutz des Art. 5 GG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt das Grundrecht der Pressefreiheit auch den Bereich der Informationsbeschaffung (vgl. BVerfG a. a. O.).
Begehrt ein Pressevertreter unter Berufung auf die Pressefreiheit zu Recherchezwecken Grundbucheinsicht, hat das Grundbuchamt zu prüfen, ob die Einsichtnahme geeignet ist, um dem Informationsanliegen Rechnung zu tragen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob das Informationsinteresse sich auf Rechte der im Grundbuch Eingetragenen bezieht und sich die Presse bei der Einsichtnahme auf das zur Recherche Erforderliche begrenzt. Schließlich ist zu prüfen, ob die gewünschten Informationen in unproblematischer Weise unter geringerer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes des Eingetragenen erlangt werden können. Dabei hat das Grundbuchamt stets das Gebot staatlicher Inhaltsneutralität zu beachten (vgl. zum Ganzen BVerfG, a. a. O.).
Eine Abwägung mit dem Interesse der Eingetragenen an der Nichtzugänglichkeit der Daten kommt im Zuge der Prüfung der Eignung und Erforderlichkeit nicht in Betracht. Wohl aber kann der Verwertungszweck von Bedeutung sein. Bei der Abwägung der Pressefreiheit mit den kollidierenden Persönlichkeitsinteressen kann es darauf ankommen, ob die Fragen die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden (BVerfG a. a. O. unter Hinweis aus BVerfGE 101, 361 ff., 391). Das Zugangsinteresse hat Vorrang, wenn es um Fragen geht, welche die Öffentlichkeit wesentlich angehen (BVerfG, a. a. O.).
Die Antragstellerin hat vorgebracht, es sei beabsichtigt, eine Reportage über eine Beteiligung der Stadtsparkasse D.-V.-H. an Gesellschaften mit – möglicherweise überbewerteten – Grundvermögen und Immobiliengeschäften und den sich daraus ergebenden Risiken zu veröffentlichen. Erläuternd hat sie ausgeführt, die Sparkasse besitze zu 100% eine Gesellschaft (die “C. GmbH”), die an der “S. GmbH” als Gesellschafterin beteiligt (gewesen) sei. Der Gegenstand dieses Unternehmens sei der Besitz, der Erwerb, das Errichten und Betreiben von Sondereigentumseinheiten an einem Wohn- und Geschäftskomplex der Stadt. Für die geplante Reportage müssten die Vermögenswerte der beiden zuvor genannten Gesellschaften überprüft werden.
Das Einsichtsgesuch zielt somit auf die Beschaffung journalistisch verwertbarer Informationen und unterliegt als Teil der publizistischen Vorbereitungstätigkeit dem Schutzbereich der Pressefreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG (BVerfGE 50, 234, 249; OLG Stuttgart, 27.06.2012 – 8 W 228/12).
Schutzwürdige Belange der im Grundbuch eingetragenen Gesellschaften stehen einer Einsichtnahme im Ergebnis nicht entgegen.
Die eingetragenen Gesellschaften haben einen Bezug zu der Sparkasse, über deren unternehmerische Betätigung die Reportage erstellt werden soll.
Das Interesse der Antragstellerin an den begehrten Informationen erweist sich gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der eingetragenen Gesellschaften als vorrangig. Denn die zu recherchierende Frage, ob die Sparkasse sich durch ihre (mittelbare) Beteiligung an Geschäften mit möglicherweise überbewerteten Immobilien Risiken unterworfen hat, die mit ihrer Aufgabe nicht zu vereinbaren sind, geht die Öffentlichkeit wesentlich an. Dabei ist zu respektieren, dass die Presse regelmäßig auch auf einen bloßen Verdacht hin recherchiert (vgl. BVerfG, a. a. O. und BGH NJW-RR 2011, 1651).
Die begehrte Einsicht in die Grundakten kann auch nicht mit dem Hinweis verwehrt werden, dass die Gesellschaft der Sparkasse aktuell nicht Eigentümerin von Grundbesitz und die andere Gesellschaft Eigentümerin von (nur) acht Wohnungen sei. Aufgrund des Gebots staatlicher Inhaltsneutralität darf der Presse nicht vorgeschrieben werden, wie ein bestimmter Vorgang im Grundbuch zu bewerten ist (BVerfG, a. a. O.).
Die Antragstellerin hat jedenfalls in der Beschwerdeschrift unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie im Rahmen ihrer Recherchen auch Vorgänge in der Vergangenheit überprüfen möchte, und daher erkunden will, welchen “Besitz die Tochterunternehmen tatsächlich hatten und haben und wie damit umgegangen” worden ist, welche Geschäfte und welche Risiken die Sparkasse (in der Vergangenheit) eingegangen ist.
Dafür, dass die Berichterstattung über die Ergebnisse der beabsichtigten Nachforschung lediglich dazu dienen könnte, eine in der Öffentlichkeit vorhandene Neugierde und Sensationslust zu befriedigen, bestehen keine Anhaltspunkte (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1651).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin in unproblematischer Weise andere Mittel nutzen könnte, um die erwünschten Informationen unter geringerer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes der Eingetragenen zu erhalten (vgl. hierzu BGH, a. a. O.).
Das Einsichtsrecht der Antragstellerin erstreckt sich auch auf den Inhalt der Grundakten. Die Kenntnisnahme der Grundakten durch Dritte ist nach § 46 Abs. 1 GBV unter denselben Voraussetzungen zulässig wie diejenige des Grundbuchinhalts. Dem Grundbuchamt ist eine eigene Bewertung der für das Informationsanliegen der Presse relevanten Angaben verwehrt (vgl. BGH,NJW-RR 2011, 1651 f.).
Vor der Entscheidung über das Einsichtsgesuch ist dem Grundstückeigentümer kein (rechtliches) Gehör zu gewähren (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O. und Demharter, GBO, 28. Aufl., § 12 Rn. 23 m. w. N.).”