Muss ein Vermieter – sofern kein Notfall vorliegt – seine Mieter rechtzeitig von einer anstehenden Stromunterbrechung in Kenntnis setzen, damit diese ihr Verhalten darauf einstellen können?
Die Antwort des Amtsgerichts Bremen (AG Bremen – 9 C 290/15, Urteil vom 01.10.2015) lautet: Ja!
Zur Begründung führt das AG Bremen in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Es besteht gemäß § 1004 BGB i.V.m. §§ 535, 280 BGB ein Verfügungsanspruch.
Zwar stellt die zum Nachteil des Mieters erfolgte Unterbrechung der Stromversorgung durch den Vermieter keine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 862 BGB dar (Palandt, 73. A., § 862, Rn. 4; BGH NJW 2009, 1947 für beendetes Gewerbemietverhältnis); gleichwohl wird der berechtigte Besitz des Mieters durch die Unterbrechung der Stromzufuhr beeinträchtigt.
Der berechtigte Besitz ist ein nach § 1004 BGB (analog) geschütztes absolutes Rechtsgut (Palandt, 73. A., § 1004, Rn. 4; 823, Rn. 13). Die Unterbrechung der Stromzufuhr durch den Vermieter ist eine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB; aus § 535 1 BGB folgt ein Anspruch des Mieters auf Unterlassung künftiger Unterbrechungen (KG MDR 2015, 19). Wiederholungsgefahr besteht bereits bei einmaliger – pflichtwidriger bzw. rechtswidriger – Unterbrechung der Stromzufuhr (vgl. Palandt, 73. A., § 1004, Rn. 32).
Aus dem Mietverhältnis folgt die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Zwar ist der Mieter verpflichtet, erforderliche Bauarbeiten im Hause zu dulden (vgl. § 8 des Mietvertrags). Kurzzeitige Unterbrechungen der Stromversorgung sind insofern vom Mieter unter Umständen hinzunehmen.
Der Vermieter ist jedoch verpflichtet, die Beeinträchtigungen so gering als möglich zu halten. die der Stromunterbrechung zugrunde liegende Erhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahme ist vorab anzukündigen (§§ 555a II, 555c BGB); dies gilt auch, sofern die Mietsache lediglich mittelbar betroffen ist (vgl. Palandt, 73. A., § 555a, Rn. 2; § 555b, Rn. 2: Gebäude und dessen Einrichtungen und Anlagetechnik). Sofern kein Notfall vorliegt, muss der Vermieter seine Mieter rechtzeitig von der anstehenden Stromunterbrechung in Kenntnis setzen, damit diese ihr Verhalten darauf einstellen können. Dies gilt auch für die Unterbrechung des Gemeinschaftsstroms, da in diesem Fall die Klingelanlage der Haustür nicht mehr funktioniert und der Mieter also für Besucher nur noch eingeschränkt erreichbar ist. Erforderlich ist eine Interessensabwägung im Einzelfall (KG, MDR 2015, 19 für Gewerberaummiete):
Zugunsten des Verfügungsbeklagten ist zu berücksichtigen, dass die Stromunterbrechung infolge des Austausches bzw. der Modernisierung der elektrischen Leitungen des Hauses … erfolgte; der Beklagte verfolgte also grundsätzlich berechtigte Interessen, die den Interessen der Mieter an sich nicht entgegenstehen. Andererseits ist in die Abwägung einzustellen, dass die Klägerin als freie Journalistin in besonderer Weise auf eine durchgängige Stromversorgung angewiesen ist (Telefon, EDV, WLAN); bei Ausfall des Treppenhausstroms bzw. der Klingelanlage können Pakete unter Umständen nicht zugestellt werden.
Es kann dahinstehen, ob die der Stromunterbrechung zugrunde liegenden Baumaßnahmen der Klägerin rechtzeitig angezeigt wurden. Auch muss nicht vertieft werden, ob der Beklagte gehalten gewesen wäre, die Arbeiten durch Fachfirmen ausführen zu lassen, um hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigungen ggf. zu reduzieren.
Denn unstreitig kam es zu mehreren, vorsätzlich durch den Beklagten herbeigeführten, Stromausfällen. Der Beklagte trägt lediglich vor, die Unterbrechung vom 30.03.2015 mit Mail vom 23.03.2015 angekündigt zu haben. Da er hinsichtlich der Erforderlichkeit und der rechtzeitigen Anzeige der Unterbrechungen ohnehin die Darlegungs- und Beweislast trägt, war antragsgemäß zu entscheiden. Denn im hiesigen Verfahren erfolgte keine hinreichende Glaubhaftmachung des Beklagtenvortrags (§§ 920 II, 935, 294 ZPO); lediglich die Antragstellerin führte in das hiesige Verfahren ihre Eidesstattliche Erklärung vom 24.04.2015 ein.
Es besteht ein Verfügungsgrund. Dass der Antrag erst 3 Monate nach dem ersten Vorfall beim erkennenden Gericht einging, ist unschädlich, zumal die erste Antragsschrift offenbar bereits am 04.05.2015 – und also 2 Wochen nach dem letzten Vorfall vom 21.04.2015 – beim Amtsgericht Bremen eingereicht wurde. Die Wiederholungsgefahr entfällt nicht bereits durch die Ankündigung des Beklagten, dass zukünftig keine weiteren Installationsarbeiten geplant seien.
Selbst wenn das Mietverhältnis zwischenzeitlich beendet worden wäre, bestünde bis zum Auszug der Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. KG, MDR 2015, 19).”