Ist ein Vermieter verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um das Eindringen von Wildschweinen auf ein Grundstück zu verhindern?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 67 S 65/14, Urteil vom 21.12.2015) lautet: Ja!
Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. wie folgt aus: “Die Beklagte ist gem. § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB als Minus zu dem weitergehenden Antrag zu 1.a) zur Beseitigung der von den Klägern geltend gemachten Mängel an dem die Wohnanlage umgebenden Zaun und darüber hinaus verpflichtet geeignete Maßnahmen vorzunehmen, um das Eindringen von Wildschweinen auf das Grundstück zu verhindern.
Nach dieser Vorschrift ist der Vermieter verpflichtet, die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen.
Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, da der das gesamte Anwesen umgebende Maschendrahtzaun nicht mehr den bei Vertragsschluss vorhandenen vertraglich vereinbarten Zustand aufweist. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 22. August 2015 die Mängel im Einzelnen überzeugend angeführt und genau erläutert, an welchen Stellen der vorhandene Zaun an zahlreichen Stellen defekt, löchrig oder untergraben ist.
Darüber hinaus ist die Beklagte nach dieser Vorschrift verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um das Eindringen von Wildschweinen auf das Grundstück zu verhindern. Entgegen der Ansicht des Amtsgericht erfassen die den Vermieter grundsätzlich treffenden Schutzpflichten vorliegend nicht nur den räumlichen Bereich der Mietsache, also der gemieteten Wohnung mitsamt der Terrasse als solche, sondern darüber hinaus ist er auch verpflichtet, Schutzvorkehrungen gegen eine darüber hinausgehende Gefährdung und Beeinträchtigung hinsichtlich der allgemein den Mietern zugänglichen Wohnanlage insbesondere der Gemeinschaftsflächen (Grünflächen, Bestandsflächen, Eingangsbereiche, etc.) zu ergreifen. Auch diese sind gegen das bei gewöhnlichen, der örtlichen Lage entsprechenden Verhältnissen nicht nur vereinzelt vorkommende wiederholten Eindringen von Wildschweinen zu schützen, um einen gefahrlosen Zugang zu den mit gemieteten Gemeinschaftsflächen zu gewährleisten.
Der von den Klägern substantiiert dargelegte Zustand entspricht nicht mehr dem allgemeinen Lebensrisiko – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um eine Wohnanlage am Waldrand handelt. Zum einen befindet sich die Anlage in einem Wohngebiet und nicht unmittelbar im Tegeler Forst. Ferner ist von dem sich wiederholenden Auftreten von Wildschweinen auf der Anlage auch außerhalb des Biotops auszugehen. Der diesbezügliche Klägervortrag ist ausreichend, um auch ohne Beweisaufnahme annehmen zu können, dass eine ausreichend konkrete Gefahr in dem räumlichen Bereich der Mietsache droht. Denn eine Mietsache mit Beziehung zu einer Gefahrenquelle gilt nicht erst dann als mangelhaft, wenn der Mieter wirklich Schaden erleidet, sondern schon dann und deshalb, wenn und weil er sie nur in der Befürchtung der Gefahrverwirklichung benutzen kann (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 13. Februar 2002 – 30 U 20/01, Tz. 20 m. w. N.). Die Kläger haben zum einen durch Fotos belegt, dass Wildschweine bis an ihr Wohnhaus heran kommen. Zudem besteht nach dem konkreten, von der Beklagten nicht erheblich bestrittenen Vorfall vom 16. Juli 2015, bei dem eine Mieterin auf der Höhe der Müllstandsflächen von einer Bache angegriffen wurde, auch noch gegenwärtig eine konkrete Gefahr der Übergriffen von Wildschweinen. Es ist gerichtsbekannt, dass insbesondere Wildschweine mit Frischlingen eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit von Menschen darstellen. Zwar ist dem Amtsgericht darin zuzustimmen, dass Wildschweine als solche in der Regel nicht ohne Veranlassung Menschen angreifen. Aber es reicht vorliegend aus, dass nicht auszuschließen ist, dass durch falsches Verhalten von Menschen bei den Tieren ein aggressives Abwehrverhalten ausgelöst wird. Hieraus ergibt sich bereits eine begründete Gefahr-Besorgnis, die den ungestörten Gebrauch der Mietsache beeinträchtigt. Hierbei ist zudem zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer konkreten Gefahr auch an die Schwere des zu befürchtenden Schadens für das geschützte Rechtsgut zu knüpfen sind. Je höher der drohende Schaden, desto niedriger ist die Schwelle für das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Hinzu kommt schließlich die nicht unbedeutende psychische Belastung durch die allein im Hinblick auf die obigen Vorkommnisse begründete Angst, sich auf der Anlage frei zu bewegen.
Die Geltendmachung des sich daraus ergebenden Mangelbeseitigungsanspruchs ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar ist der Mangelbeseitigungsanspruch durch Treu und Glauben (§ 242) begrenzt. Insbesondere ist der Vermieter gemäß § 275 Abs. 2 BGB von der Verpflichtung zur Mangelbeseitigung befreit, wenn der dazu erforderliche Reparaturaufwand die “Opfergrenze” überschreitet (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2010 – VIII ZR 131/09, zit. nach ibr-online). Wann diese Zumutbarkeitsgrenze überschritten ist, ist von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der beiderseitigen Parteiinteressen wertend zu ermitteln. Angesichts des Umstandes, dass das gesamte Mietobjekt gefährdet ist, kann ein ausnahmsweise bestehendes Missverhältnis zwischen Gläubigerinteresse und Aufwand des Schuldners unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nicht festgestellt werden. Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse der Mieter an einer gefahrlosen Nutzung der gesamten öffentlichen Anlage gegenüber den drohenden Vermögenseinbußen des Vermieters. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die drohenden körperlichen Schäden aufgrund der körperlichen Beschaffenheit und der Schnelligkeit von Wildschweinen im Fall eines Angriffs besonders hoch sein können und daher die Vermögenseinbußen hinter dem hohen Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit zurücktreten müssen. Hinzu kommt, dass es im Ermessen der Beklagten liegt, welche Maßnahmen sie ergreift. Nach den Ausführungen des Sachverständigen wäre insbesondere das Bodengitter im Bereich der ohnehin offenen Grundstückseinfahrt zu vergrößern (siehe Seite 11 des Gutachtens).
Mithin ist die Beklagte verpflichtet Schutzmaßnahmen entsprechend dem Urteilstenor zu 1) zu treffen. Da es im Ermessen des Vermieters liegt, welche konkreten Maßnahmen er hierfür ergreift, waren die weitergehenden, auf das Vornehmen konkreter Instandsetzungsmaßnahmen gerichteten Haupt- und Hilfsanträge als unbegründet abzuweisen.”