Kann ein Mieter davon ausgehen, dass der Vermieter auf die Geldendmachung von Mietrückständen verzichtet, wenn der Vermieter eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung ausstellt, obwohl er zuvor aus “Rechtsgründen” einer Mietminderung widersprochen hat?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 18 S 65/14, Urteil vom 11.06.2015) lautet: Ja!
Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1. wie folgt aus: “1. Der Klägerin stehen Ansprüche auf Zahlung von Mietzins aus § 535 Abs. 2 BGB für die Zeit bis zur Erstellung der Mietschuldenfreiheitsbestätigung vom 13.04.2013 nicht zu.
Es ist anerkannt, dass eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung über ein bloßes Empfangsbekenntnis hinsichtlich der erhaltenen Mieten hinausgeht, wie auch das Amtsgericht im angegriffenen Urteil unter Verweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.09.2009 – VIII ZR 238/08, NZM 2009, 853, ausgeführt hat. Es kann auch im vorliegenden Fall offen bleiben, ob einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung generell die Wirkung eines negativen Schuldanerkenntnisses beigelegt werden kann, wie der Bundesgerichtshof im zitierten Fall erwägt, dies dann aber letztlich nicht abschließend entscheidet.
Jedenfalls im vorliegenden Fall führt das Schreiben vom 13.04.2013 dazu, dass die Klägerin mit Nachforderungen von Mietzins wegen bereits bekannter Sachverhalte ausgeschlossen ist. Die Erklärung konnte nach ihrer Formulierung von den Beklagten nach dem objektiven Empfängerhorizont nur im Sinne eines negativen Schuldanerkenntnisses verstanden werden, woran sich die Klägerin festhalten lassen muss. Denn die Klägerin bestätigt darin abschließend, dass die Beklagten ihren mietvertraglichen Verpflichtungen immer nachgekommen, die Mietzahlungen in voller Höhe geleistet worden seien und das Mieterkonto per 09.04.2013 keine Rückstände aufweise und dass man mit dieser Erklärung nicht auf noch fällig werdende Nachforderungen aus der noch zu erstellenden Umlagenabrechnung verzichtet. Die Klägerin fühlte sich also selbst veranlasst mitzuteilen, dass die Erklärung keinen Verzicht auf eine erst noch künftig entstehende etwaige Nachforderung aufgrund einer Betriebskostenabrechnung bedeuten solle. Vernünftigerweise konnten die Beklagten die Erklärung dann nur so verstehen, dass jedenfalls wegen anderer bekannte Sachverhalte keine weiteren Forderungen für die Vergangenheit mehr erhoben würden.
Dem steht auch nicht das Schreiben der Klägerin vom 11.04.2011 entgegen. Darin hatte sie erklärt, aus “Rechtsgründen” einer Mietminderung zu widersprechen. Welche Rechtsgründe dies waren bzw. in welcher Weise sie den Sachverhalt gegebenenfalls anders einschätzte als die Beklagten, ergibt sich aus dem Schreiben nicht. Gerade weil die Klägerin vor Abgabe der Bestätigung vom 13.04.2013 erklärt hat, die Mietminderung nicht zu akzeptieren, dann aber doch die Bestätigung ohne jeden Vorbehalt insoweit abgegeben hat, konnte die Erklärung nur so verstanden werden, dass sie insoweit eben keine Rechte mehr geltend gemacht wird. Dies gilt um so mehr angesichts des Umstands, dass die Erklärung, mit der die Klägerin der Minderung widersprochen hatte, zur Zeit der Mietschuldenfreiheitsbestätigung bereits mehr als zwei Jahre zurücklag und bis dahin auch keine Rechte auf Zahlung des Mietzinses geltend gemacht, insbesondere keine Klage erhoben worden war. Hinzu kommt, dass das Schreiben vom 11.04.2011 in einer Weise formuliert war, die die Empfänger annehmen lassen konnte, dass die Klägerin selbst die Minderung möglicherweise für berechtigt hält und eben nur aus “Rechtsgründen” widersprechen und sich vorbehalten müsse, geminderte Mietzinsbeträge “möglicherweise” und “zu einem späteren Zeitpunkt” geltend zu machen, was dann bis zur Herausgabe des Schreibens vom 13.04.2013 nicht geschah. Dies ließ es aus Sicht der Beklagten um so mehr naheliegend erscheinen, dass die Klägerin ihren Widerspruch “aus Rechtsgründen” gegenüber der Minderung nun nicht mehr aufrechterhielt.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Hausverwaltung keine Vollmacht für einer derartige Erklärung gehabt habe. Denn die Hausverwaltung handelte insoweit jedenfalls aufgrund einer Anscheinsvollmacht. Aus Sicht der Beklagten musste es sich so darstellen, dass die Hausverwaltung minderungs- und mietzinsrelevante Erklärungen für die Klägerin mit deren Wissen und Wollen abgibt. So stammt auch das Schreiben vom 07.04.2011 von der Hausverwaltung, mit dem der Minderung “aus Rechtsgründen” widersprochen wird. Die Klägerin hat auch nicht etwa vorgetragen, dass die Hausverwaltung nicht auch sonst minderungsrelevante Erklärungen üblicherweise abgibt oder Mietschuldenfreiheitsbescheinigungen herausgibt. Es bestand daher ein zurechenbar gesetzter Rechtsschein einer entsprechenden Bevollmächtigung.”