Hat ein Vermieter nach Ablauf der Abrechnungsfrist noch einen Anspruch auf nicht geleistete Vorauszahlungen, wenn er in die Betriebskostenabrechnung statt der tatsächlich geleisteten Vorschüsse die Sollvorauszahlungen einstellt, ohne dies deutlich zu machen?
Die Antwort des Landgerichts Aachen (LG Aachen – 2 S 245/15, Urteil vom 10.03.2016) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das LG Aachen in seiner vorgenannten Entscheidung unter 1. wie folgt aus: “1. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf unterzahlte Betriebskostenvorauszahlungen für das Jahr 2011 in Höhe von 484,00 Euro (11 x 44,00 Euro für die Monate Februar bis Dezember 2011) und für das Jahr 2012 in Höhe von 864,00 Euro (12 x 72,00 Euro) zu.
Denn die Klägerin hat bereits über die Betriebskosten für die Jahre 2011 und 2012 abgerechnet. Ferner ist auch die Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 S. 2 BGB bereits abgelaufen.
In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung schließt sich die Kammer – wie auch das Amtsgericht – jedenfalls für den hier vorliegenden Fall der im Vordringen befindlichen Auffassung an, dass der Vermieter nach Ablauf der Abrechnungsfrist keinen Anspruch auf die nicht geleisteten Vorauszahlungen hat, wenn er – wie hier – in die Betriebskostenabrechnung statt der tatsächlich geleisteten Vorschüsse die Sollvorauszahlungen einstellt, ohne dies deutlich zu machen (ebenso KG, Hinweisbeschluss vom 16.06.2014, 8 U 29/14; LG Bonn, Urteil vom 16.01.2014, 6 S 43/13, zit. nach NZM 2014, 387; LG Krefeld, Beschluss vom 10.11.2010, 2 S 34/10; Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 12. Auflage 2015, § 556 S2. 473; Langenberg/Langenberg, Betriebskosten- und Heizkostenrecht, 7. Auflage 2014, J Betriebskostenprozess S2. 47).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Vermieter Betriebskostenvorauszahlungen nur so lange geltend machen, als eine Abrechnung noch nicht erteilt und die Abrechnungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Nach dem Eintritt der Abrechnungsreife richtet sich der Anspruch des Vermieters dagegen nur noch auf einen möglicherweise zu seinen Gunsten ergebenden Saldo aus der Betriebskostenabrechnung (BGH, Urteil vom 26.09.2012, XII ZR 112/10, zit. nach NZM 2013, 85, 88; Urteil vom 30.03.2011, VIII ZR 133/10, zit. nach NZM 2011, 478, 479).
Ist dieser Saldo falsch errechnet worden, indem der Vermieter (versehentlich) zu hohe (Soll-)Vorauszahlungen in die Abrechnung eingestellt hat, kann der Vermieter die Betriebskostenabrechnung nach Ablauf der Frist aus § 556 Abs. 3 S. 2 BGB nicht mehr zum Nachteil des Mieters korrigieren (BGH, Urteil vom 30.03.2011, VIII ZR 133/10, zit. nach NZM 2011, 478, 479).
Dies gilt erst recht für den Fall, dass der Vermieter – wie hier – bewusst zu hohe Vorauszahlungen in die Abrechnung eingestellt hat in dem Wissen, dass die tatsächlich geleisteten Vorauszahlungen des Mieters geringer waren.
Denn nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat der Vermieter in der Betriebskostenabrechnung die Vorauszahlungen anzusetzen, die der Mieter für den Abrechnungszeitraum tatsächlich geleistet hat. Stellt er statt der Ist-Vorauszahlungen die Soll-Vorauszahlungen in die Abrechnung ein, ist die Betriebskostenabrechnung nicht materiell ordnungsgemäß erstellt worden, sondern weist einen inhaltlichen Fehler auf (BGH, Urteil vom 18.05.2011, VIII ZR 240/10, zit. nach NZM 2011, 627, 628; Beschluss vom 23.09.2009, VIII ZA 2/08, zit. nach NZM 2009, 906, 906).
Der Vermieter, der die Betriebskostenabrechnung – wie hier – auf Basis der Soll-Vorauszahlungen erstellt in dem Wissen, dass diese gar nicht (vollständig) geleistet worden sind, erstellt damit bewusst eine inhaltlich falsche Abrechnung. Mangels Schutzwürdigkeit darf er sodann nicht besser behandelt werden, als der Vermieter, der versehentlich – wie in dem Ausgangsfall des Bundesgerichtshofes – zu hohe Vorauszahlungen in die Abrechnung einstellt.
Dies entspricht auch dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Regelung des § 556 Abs. 3 S. 2 + 3 BGB. Der Wortlaut des § 556 Abs. 3 S. 3 BGB bezieht sich auf sämtliche Nachforderungen des Vermieters aus der Betriebskostenabrechnung. Es ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen, dass die Vorschrift nicht den Fall umfasst, dass zu hohe Betriebskosten in die Abrechnung eingestellt wurden und nunmehr die unterzahlten Betriebskosten geltend gemacht werden.
Die Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 S. 2 BGB und der durch § 556 Abs. 3 S. 3 BGB angeordnete Ausschluss von Nachforderungen nach Fristablauf dienen der Abrechnungssicherheit und sollen Streit vermeiden. Sie gewährleisten eine zeitnahe Abrechnung, damit der Mieter in einem überschaubaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Abrechnungszeitraum entweder über ein sich bei der Abrechnung zu seinen Gunsten ergebendes Guthaben verfügen kann oder Gewissheit darüber erlangt, ob und in welcher Höhe er mit einer Nachforderung des Vermieters rechnen muss (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2011, VIII ZR 296/09, zit. nach NZM 2011, 241, 242 f.; Urteil vom 12.12.2007, VIII ZR 190/06, zit. nach NZM 2008, 204, 204, jeweils m.w.N). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn der Vermieter entweder die in der Betriebskostenabrechnung fälschlicherweise in Ansatz gebrachten Soll-Vorauszahlungen korrigieren könnte oder die unterzahlten Vorauszahlungen neben dem Saldo der Betriebskostenabrechnung geltend machen könnte.
Dem Beklagten ist es hier auch nicht gemäß § 242 BGB verwehrt, die Klägerin an dem zu Unrecht erfolgten Einstellen der Soll-Vorauszahlungen in die Betriebskostenabrechnungen festzuhalten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30.03.2011, VIII ZR 133/10, zit. nach NZM 2011, 478, 479). Zum einen hat die Klägerin die eingestellten Vorauszahlungen nicht als Soll-Vorauszahlungen bezeichnet, so dass der unterlaufene Fehler für den Beklagten – anders als bei der zuvor zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes – nicht offensichtlich war. Zum anderen kann die Kenntnis der BGH-Rechtsprechung, dass anstelle der Soll-Vorauszahlungen die tatsächlich geleisteten Vorauszahlungen in eine Betriebskostenabrechnung einzustellen sind, bei der Klägerin als gewerblicher Großvermieterin vorausgesetzt werden.”