Aus der Rubrik “Wissenswertes”: 

Stellt eine Überbelegung einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache und damit einen Kündigungsgrund gemäß § 573 Abs. 1 BGB dar?

Die Antwort des Amtsgerichts München (AG München – 415 C 3152/15, Urteil vom 20.05.2015) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das AG München in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1) wie folgt aus: “Dem Kläger steht ein Anspruch gemäß § 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gegen den Beklagten zu, da das Mietverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17.11.2014 zum 28.02.2015 beendet wurde.
Die Kündigung vom 17.11.2014 war wirksam und hat deshalb das Mietverhältnis zum 28.02.2015 beendet. Nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB darf der Vermieter kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters insbesondere vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Hiervon ist nicht nur dann auszugehen, wenn Gründe vorliegen, die den Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigen, sondern auch bei schuldhaften Vertragsverletzungen geringeren Gewichts, mit Ausnahme solcher, die unerheblich sind (vgl. Blank/Börstinghaus, Miete, 4. Aufl., § 573 BGB Rn. 12). Die fristlose Kündigung und die ordentliche Kündigung stehen in einem Stufenverhältnis.

Eine Überbelegung stellt nach ständiger Rechtsprechung einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache und damit einen Kündigungsgrund gemäß § 573 Abs. 1 BGB dar. Wann eine solche Überbelegung vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, feste Grenzwerte gibt es nicht (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. § 573 BGB, Rn. 200). In erster Linie ist das Verhältnis der Anzahl der Zimmer und der Größe der Räume zu der Anzahl der Bewohner maßgebend. Als Faustregel kann insoweit gelten, dass keine Überbelegung vorliegt, wenn auf jede erwachsene Person oder auf je zwei Kinder bis zum 13. Lebensjahr ein Raum von jeweils ca. 12 qm entfällt (Blank/Börstinghaus, a. a. O., § 540 BGB Rn. 33) oder durchschnittlich 10 qm pro Person bei der Unterbringung von Familien gegeben sind (Schmidt-Futterer, a. a. O., § 535 BGB Rn. 581).

Vorliegend leben der Beklagte, dessen Ehefrau und zwei Kinder auf einer Gesamtwohnfläche von ca. 25,88 qm. Der einzige Wohnraum beträgt 16 qm. Die genannten Richtwerte sind damit weit überschritten, da auf eine Person gerade einmal rund 4,0 qm Wohnraumfläche zukommen und es sich um eine Ein-Zimmer-Wohnung handelt. Es kann im vorliegenden Fall deshalb offenbleiben, ob tatsächlich eine fünfte Person die streitgegenständliche Wohnung bewohnt.

Zwar darf ein Mieter grundsätzlich seine Kinder und seinen Ehegatten in die Wohnung aufnehmen. Allerdings darf auch durch die Aufnahme dieser Personen keine Überbelegung eintreten. Eine Überbelegung liegt auch dann vor, wenn eine ursprünglich vertragsgemäß belegte Wohnung durch die Geburt von Kindern überbelegt wird, denn das Recht des Mieters, nahe Familienangehörige in seine Wohnung aufzunehmen, gilt nur innerhalb der Grenzen einer vertragsgemäßen Nutzung (vgl. BGH v. 14.07.1993, Az. VIII ARZ 1/93) Der Beklagte hatte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits ein Kind, welches in die Wohnung mit einzog. Bereits zu diesem Zeitpunkt lag eine Überbelegung vor, welche sich durch die Aufnahme des zweiten Kindes noch erhöhte.

Soweit der Beklagtenvertreter die Auffassung vertritt, dass neben der Überbelegung als solcher eine konkrete und erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Vermieters bestehen müsse, ist folgendes auszuführen: Die vom Beklagtenvertreter zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG v. 18.10.1993, Az. 1 BvR 1335/93) und des Bundesgerichtshofes (BGH v. 14.07.1993, Az. VIII ARZ 1/93) betreffen die Anforderungen an die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung wegen Überbelegung. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten, dass es nicht möglich sei, einen bestimmten Grad der Überbelegung zu definieren, von dem ab die Annahme zwingend ist, die Abnutzung führe ohne weiteres zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Vermieterinteressen und erfordere die sofortige Auflösung des Mietverhältnisses (vgl. BGH v. 14.07.1993, a. a. O.).

Diese Entscheidungen können nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden, da hier die Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung zu beurteilen ist. Wie bereits ausgeführt, ist eine ordentliche Kündigung auch dann zulässig, wenn keine erhebliche Pflichtverletzung des Mieters vorliegt, sondern auch bei schuldhaften Vertragsverletzungen geringeren Gewichts, mit Ausnahme solcher, die unerheblich sind.

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Wohnung nur einen Wohnraum umfasst, welcher von allen Bewohnern genutzt muss. Es liegt, wie bereits ausgeführt, eine schwerwiegende Überbelegung vor, da pro Person nur 4 qm Wohnraumfläche zur Verfügung stehen.

Hinzukommt, dass sich der Beklagte durch die Überbelegung vertragswidrig verhält. Gemäß Nr. 6 der Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag wurde zwischen den Parteien vereinbart, dass keine weiteren Personen in die Wohnung mit aufgenommen werden können, sofern es sich bei diesen nicht um den Ehegatten handelt. Hierdurch gab der Kläger bereits bei Vertragsschluss bekannt, dass die Wohnung für max. zwei Personen nutzbar sein soll. Dieser Mietvertrag samt Zusatzvereinbarung wurde vom Beklagten selbst unterschrieben. Überdies ist in der im Termin vorgelegten Mieterselbstauskunft vom 27.01.2011 in der Spalte Kinder ein Stricht verzeichnet (vgl. Bl. 30 d. A.). Da die Urkunde im Termin vorgelegt werden konnte, liegt insoweit auch keine Verzögerung des Rechtsstreits und keine Verspätung i. S. des § 296 ZPO vor. Soweit der Beklagtenvertreter vorträgt, der Beklagte sei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, kann ihn dies nicht von der Einhaltung vertraglich eingegangener Verpflichtungen befreien. Da das erste Kind des Beklagten bereits geboren war, musste der Beklagte wissen, dass er bereits bei Einzug gegen die vertraglich eingegangene Verpflichtung verstoßen würde. Auch wenn seitens des Beklagten ein hohes Interesse an der Aufnahme seiner Ehefrau und der Kinder in die streitgegenständliche Wohnung besteht, ist bei Abwägung der Interessen und Wertung der Umstände des Einzelfalls hier festzustellen, dass keine unerhebliche Pflichtverletzung des Beklagten besteht. Damit bestand ein Kündigungsrecht des Klägers. Eine vorherige Abmahnung seitens des Klägers ist auch erfolgt.

Zwar liegt ein rechtzeitiger Widerspruch des Beklagten gegen die ordentliche Kündigung vom 17.11.20114 vor, da mangels Widerspruchsbelehrung gem. § 574 b Abs. 2 S. 2 BGB der Widerspruch bis zum ersten Termin im Räumungsrechtsstreit erklärt werden konnte. Der Beklagte hat der Kündigung vor dem ersten Termin mit Schriftsatz vom 15.04.2015 widersprochen. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 BGB sind jedoch nicht gegeben. Auch unter Berücksichtigung des Interesses des Beklagten an einem Fortbestand des Mietverhältnisses ist im Hinblick auf die erhebliche Überbelegung der Wohnung und das vertragswidrige Verhalten im Rahmen der Interessenbewertung nicht von unzumutbarer Härte auszugehen. Über die kündigungstypischen Belastungen hinausgehende Nachteile, mit Ausnahme der Schwierigkeiten bei der Suche nach Ersatzwohnraum, sind nicht vorgetragen. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 BGB liegen nicht vor. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Suche nach Ersatzwohnraum ist zum einen festzustellen, dass der Antrag beim Wohnungsamt erst am 12.02.2015, d. h. erst kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist gestellt wurde. Nach herrschender Meinung beginnt die Obliegenheit zur Suche nach Ersatzraum grundsätzlich mit dem Zugang der Kündigung (Blank/Börstinghaus, a. a. O., § 574 BGB Rn. 32). Die Behauptung, der Beklagte bemühe sich bereits seit Mitte des letzten Jahres um neuen Wohnraum, ist nicht ausreichend substantiiert, es wurde nicht vorgetragen, dass der Mieter alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Erlangung einer Ersatzwohnung ergriffen hat. Auch bei Wahrunterstellung der Angaben des Beklagten sind keine Schwierigkeiten vorgetragen, die über die normalen Schwierigkeiten bei der Suche nach Ersatzwohnraum beim Münchner Mietmarkt auftreten.

Dem Beklagten ist gemäß § 721 ZPO eine Räumungsfrist zu gewähren. Grundsätzlich sind im Rahmen der Entscheidung nach § 721 ZPO die Interessen des Mieters und Vermieters gegeneinander abzuwägen. Dabei sind insbesondere das Alter und Bedürfnis des Mieters, die Dauer des Mietverhältnisses, der Bedarf des Vermieters, das Bereitstehen von Ersatzwohnraum sowie die Art und Weise der Pflichtverletzung und das Verschulden der Parteien gegeneinander abzuwägen. Zugunsten des Vermieters ist im vorliegenden Fall die relativ kurze Mietdauer sowie das vertragswidrige Verhalten des Beklagten zu berücksichtigen. Da der Beklagte in der Wohnung mit seiner Ehefrau und zwei kleinen Kindern lebt und jedenfalls im Hinblick auf das erst nach Mietvertragsabschluss geborene Kind eine nicht schuldhafte Überbelegung vorliegt, hält es das Gericht daher für angezeigt, eine Räumungsfrist bis zum 30.09.2015 zu gewähren.”