Kann ein Mieter seine Zustimmung zur Mieterhöhung nach den §§ 312 ff. BGB widerrufen?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (63 S 248/16, Urteil vom 10.03.2017) lautet: Ja! (anders LG Berlin – 18 S 357/15, Urteil vom 16.09.2016)
Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Rückzahlung der unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen des aufgrund der seit 01.10.2015 geleisteten Erhöhungsbeträge (§ 812 Abs. 1 BGB) noch auf Feststellung der um den jeweiligen Erhöhungsbetrag reduzierten monatlichen Nettokaltmiete zu (§ 256 ZPO), denn der Widerruf vom 27.08.2015 ist nicht wirksam.
Allerdings steht die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auf mietrechtliche, den Bestand des Mietverhältnisses berührende Verträge für die Kammer außer Frage. Aus § 312 Abs. 4 BGB folgt, dass der Abschluss des Mietvertrags selbst und/oder nachfolgende ihn berührende Veränderungen bei Vorliegen der nachfolgend dargestellten Voraussetzungen so genannte Haustürgeschäfte oder Fernabsatzverträge sein können, bei denen zugunsten des Verbrauchers (= Mieter) ein Widerrufsrecht besteht (a.A. AG Spandau v. 27.10.2015 – 5 C 267/15, GE 2015, 1463).
Die Ausnahmebestimmung in § 312 Abs. S. 2 BGB gilt ausschließlich für die Begründung des Wohnraum-Mietverhältnisses, und auch nur dann, wenn eine Besichtigung der Wohnung vorausgeht. Für spätere Vertragsänderungen der so zustande gekommenen Verträge, z. B. von Abreden über Mieterhöhungen oder den Abschluss von Aufhebungsverträgen, gilt Satz 1 (BeckOK BGB/Schmidt-Räntsch BGB § 312 Rn. 1). Dass davon nur “wesentliche Änderungen” betroffen sein sollen, findet nach Ansicht der Kammer keinen Niederschlag im Gesetz (a.A.: Wendehorst in MüKo, 7. Aufl. 2016, § 312c Rn 11). Für eine analoge Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 312 Abs. 4 S. 2 BGB ist angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts bereits kein Raum; aber auch das formalisierte Erhöhungsverfahren der §§ 558 ff. BGB mit der Zustimmungsfrist für den Mieter und der Klagefrist für den Vermieter gebietet seinem Sinn nach nichts anderes: die §§ 558 ff. BGB stellen eben kein vorrangiges lex specialis dar, sodass die § 312 ff. grundsätzlich anwendbar sind (vgl. hierzu BeckOK BGB/Schüller BGB § 557 Rn. 10).
In Ansehung der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auch auf bestehende Mietverträge abändernde Verträge können in diesem Zusammenhang sowohl Haustürgeschäfte i.S.v. §312b BGB als auch Fernabsatzgeschäfte i.S.v. § 312c BGB geschlossen werden.
Gemäß§ 312g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht (auch) im Falle des Vorliegens eines Fernabsatzgeschäfts zu, dessen Voraussetzungen der Vorschrift des § 312c BGB zu entnehmen sind: Ein Verbrauchervertrag i.S.v. §§ 310 Abs. 3, 312c BGB, bei dem für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden, stellt ein solches Fernabsatzgeschäft dar. Dass die Beklagte Unternehmer i.S.v. § 14 BGB und der Kläger Verbraucher ist, ist unstreitig, weil die Beklagte gewerblich Wohnungen vermietet.
Auch handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Rechtsgeschäft i.S.v. §§ 558 ff. BGB um einen Vertrag.
Das schriftliche, mit einer Begründung versehene Erhöhungsverlangen eines Vermieters ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Antrag i. S. des § 145 BGB), die den Abschluss eines Änderungsvertrags (§ 305 BGB) zum Ziel hat (BayObLG, Rechtsentscheid vom 27.10.1992 – RE Miet 3/92, NJW -RR 1993, 2012), so dass im Falle der zustimmenden Erklärung des Mieters ein solcher – den Mietvertrag in Bezug auf dessen Miethöhe ändernder – Vertrag geschlossen wird. Wurde der Mieter bei Abschluss des Geschäfts über seine Rechte ordnungsgemäß i.S.v. § 312d BGB informiert, so beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage ab Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 BGB). Ist die Information nicht entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Artikels 246b § 2 Absatz 1 EGBGB erfolgt, dann besteht das Widerrufsrecht für 1 Jahr und 14 Tage (§ 356 Abs. 3 BGB).
Vorliegend hat der Kläger nach seinem eigenen Vortrag dem Erhöhungsverlangen schriftlich zugestimmt, ohne eine Belehrung über sein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB erhalten zu haben. Das den Widerruf enthaltende Schreiben vom 27.08. 2015 ist der Beklagten – wie aus ihrem Antwortschreiben vom 31.08.2015 ersichtlich – zugegangen.
Die vertragsändernde Vereinbarung ist hier auch unstreitig durch Fernkommunikationsmittel gem. § 312c BGB geschlossen worden. Das ist immer dann der Fall, wenn der Unternehmer oder ein von ihm Beauftragter mit dem Verbraucher sowohl die Verhandlungen als auch den Abschluss ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln (z.B. den dort explizit aufgeführten Briefen, Anrufen, Emails u.a.) im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems durchführen. Wenn es vorher persönlichen Kontakt gegeben hat, wäre dies bereits nicht mehr der Fall (vgl. Erwägungen Nr. 20 in der VerbrRRL). Beide Parteien haben indes hier ausschließlich per Brief über die Abänderung der Miethöhe kommuniziert.
Die vorstehenden Voraussetzungen sind daher gegeben.
Ein im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem liegt allerdings nur dann vor, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen (RegE, BT-Drs. 14/2658 S. 30; Wendehorst in MüKo § 312c Rn. 21 m.w.N.).
Daran fehlt es nach Ansicht der Kammer im Fall.
In Auslegung der Erwägungen Nr. 20 der VerbrRRL kann nach Auffassung des Gerichts von einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nur dann ausgegangen werden, wenn der Unternehmer sich Techniken der Fernkommunikation systematisch zunutze macht und die dabei zu schließenden Geschäfte sich ihrem Gesamtbild nach als typische Distanzgeschäfte darstellen (Wendehorst in MüKo a.a.O. Rn 23).
Zwar kommt es nicht darauf an, wie häufig seitens des als Unternehmer handelnden Vermieters Verträge im Fernabsatz geschlossen werden und ob sein Vertriebssystem tatsächlich für den Fernabsatz hinreichend gerüstet ist; jedenfalls bedarf es aber des zurechenbaren Anscheins gegenüber dem Verbraucher, mit einer größeren oder zumindest nicht von vornherein individualisierten Anzahl von Verbrauchern Verträge im Fernabsatzwege zu schließen (so: Wendehorst in MüKo a.a.O. Rn 25; a.A.: Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch § 312b aF Rn. 23).
Wegen der angenommenen widerleglichen Vermutung gem. § 312c Abs. 1 BGB ist ferner davon auszugehen, dass – wenn wie hier feststeht, dass der Vertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen wurde – der Unternehmer die Beweislast dafür trägt, dass dies nicht im Rahmen eines Fernabsatzsystems geschehen ist (zuletzt: BGH v.12.11.2015 – I ZR 168/14, WM 2016, 968). Veranlassung hierfür war offensichtlich die Absicht des Gesetzgebers, aufwändige Beweisaufnahmen zu vermeiden (RegE, BT-Drs. 14/2658 S. 31).
Einen solchen, die Techniken der Fernkommunikation systematisch verwendende Charakter – lässt das Erhöhungsverlangen vom 17.07.2015 jedoch bereits von vornherein nicht hinreichend erkennen.
Es handelt sich ersichtlich um ein inhaltlich auf den Kläger bezogenes individuell gefertigtes Schreiben, das sich von vornherein konkret auf die von ihm inne gehaltene Wohnung bezieht; gewerbliche Großvermieter, die eine auf die Versendung von Mieterhöhungsverlangen ausgerichtete Software verwenden, bei der sich lediglich der Name des Mieters, die Wohnungsbezeichnung, die Fläche der Wohnung und die Angaben zur Miete einfügen lassen, verfügen durchaus über derartige Dienstleistungssysteme, ohne dass es allerdings im vorliegenden Fall auf die konkrete Anzahl der von der Beklagten zeitgleich verfassten Erhöhungsschreiben ankäme. Denn für die Annahme, der Vermieter als Unternehmer handele im Rahmen eines solchen Fernabsatzsystems ist es letztlich unerheblich, ob sich der Unternehmer ausschließlich eines solchen bedient oder ob er im Verhältnis zu anderen Verbrauchern oder aus anderem Anlass auch persönliche Vertriebsformen einsetzt (RegE, BT-Drs. 14/2658 S. 30). Entscheidend ist allein der konkrete Vertragsschluss, weshalb auch der Umfang des Wohnungsbestands der Beklagten hier für die Beurteilung nicht maßgeblich ist.
Weil aber bereits der äußere Anschein, das Schriftbild und der auf den konkreten Fall zugeschnittene Fließtext des von der Hausverwaltung verfassten Schreibens vom 17.07.2015 gegen die Verwendung derart automatisierter Software sprechen, ist die Vermutung der Verwendung des Erhöhungsverlangens im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems gleichwohl widerlegt und der Widerruf des Klägers daher unwirksam. Folglich stehen dem Kläger weder Rückzahlungsansprüche aus § 812 BGB wegen der Erhöhungsbeträge noch ein Anspruch auf Feststellung der um den Erhöhungsbetrag vermindert geschuldeten Miete zu (§ 256 ZPO).”
