Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kann sich die Berufung auf eine wirksam ausgesprochene Kündigung aufgrund nachträglich eingetretener Umstände im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen?

Die Antwort des Amtsgerichts Frankfurt am Main (AG Frankfurt a. M. – 33 C 1414/16, Urteil vom 31.03.2017) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Frankfurt am Main in seiner vorgenannten Entscheidung unter I. wie folgt aus: “Die Klägerin kann ihren Räumungsanspruch letztlich auch nicht auf die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 08.02.2016 stützen.

Die ordentliche Kündigung ist zwar nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wirksam. Da die Pflichtverletzung des Beklagten jedoch aufgrund von nach der Kündigung eingetretenen Umständen in einem milderen Licht erscheint, ist es rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Klägerin auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft.

Die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung gemäß § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB liegen vor. Die Klägerin hatte zum Zeitpunkt der Erklärung der Kündigung ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, da der Beklagte durch die Nichtzahlung der Mieten für Januar und Februar 2016 seine Pflichten aus dem Mietverhältnis nicht unerheblich verletzt hat. Nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Vermieter ein Mietverhältnis über Wohnraum nur dann ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Ein solches Interesse liegt nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung in diesem Sinne kann unter anderem dann gegeben sein, wenn der Mieter mit der Zahlung der Miete oder der Betriebskosten in Höhe eines Betrags, der die Bruttomiete für einen Monat übersteigt mehr als einen Monat in Verzug gerät (BGH NZM 2013, 20). Die muss auch gelten, wenn – wie hier – der Zahlungsrückstand zwei Monatsmieten übersteigt. Denn der Gesetzgeber sieht hierin sogar eine erhebliche Pflichtverletzung, die die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter regelmäßig als unzumutbar bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist erscheinen lässt und diesem daher das Recht zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 lit. b BGB eröffnet.

Die Nichtzahlung stellte sich vorliegend auch als schuldhaft dar. Das Verschulden des Mieters für die Pflichtverletzung wird vermutet. Insoweit folgt aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, dass der Mieter das fehlende Verschulden darlegen und beweisen muss. Der Beklagte ist für seine Behauptungen, ein eingestellter Dauerauftrag sei nicht zur Ausführung gekommen und es habe Schwierigkeiten im Rahmen seiner Kontoverbindung gegeben, beweisfällig geblieben. Unabhängig davon muss sich der Beklagte nach § 278 BGB ein Verschulden von Dritten, die er zur Erfüllung seiner Pflichten einschaltet, zurechnen lassen.

Die ordentliche Kündigung vom 08.02.2016 ist auch nicht in entsprechender Anwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB rückwirkend unwirksam geworden. Denn eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf eine ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzuges kommt nicht in Betracht (BGH NZM 2005, 334; NZM 2013, 20). Der Zweck der Schutzvorschrift des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB besteht darin, in bestimmten Konstellationen eine Obdachlosigkeit des Mieters infolge einer fristlosen Kündigung zu vermeiden; eine solche Gefahr der Obdachlosigkeit besteht angesichts der bei der ordentlichen Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfrist nicht oder jedenfalls nicht in gleichem Maße (BGH, a. a. O.).

Ferner fehlt auch die für eine analoge Anwendung erforderliche planwidrige Regelungslücke. Von einem gesetzgeberischen Versehen, die Schutzvorschriften des § 569 Abs. 3 BGB entgegen der eigentlichen Intention nicht auch auf die ordentliche Kündigung bezogen zu haben, kann nicht mehr ausgegangen werden, weil der Gesetzgeber im Mietrechtsreformgesetz vom 19.06.2001 zwar die Schonfrist bei der fristlosen Kündigung auf zwei Monate verlängert, gleichwohl aber bei dieser Gelegenheit für die ordentliche Kündigung keine anderweitige Regelung getroffen hat, obwohl die obergerichtliche Rechtsprechung schon in den 1990er Jähren eine analoge Anwendung der Regelung über die Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung verneint hat (vgl. BGH, NZM 2005, 334; NZM 2013, 20).

Allerdings kann sich die Klägerin auf die wirksame ordentliche Kündigung gemäß § 242 BGB vorliegend nicht berufen.

Die Berufung auf eine wirksam ausgesprochene Kündigung kann sich aufgrund nachträglich eingetretener Umstände im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann, weil die nachträgliche Zahlung die zuvor eingetretene Pflichtverletzung in einem milderen Licht erscheinen lassen kann (BGH NJW 2013,159). Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet, keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es künftig erneut zu weiteren Zahlungsrückständen kommen wird und der Mieter sich auch im Übrigen keine Verletzung von mietvertraglichen Pflichten zu Schulden hat kommen lassen, die gegen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses sprechen würden (LG Bonn Urt. v. 06.11.2014 – 6 S154/14, BeckRS 2014, 23580). In einem solchen Fall, in dem das wirtschaftliche Interesse des Vermieters innerhalb kurzer Zeit nach der Räumungsklage befriedigt ist und der Vermieter auch sonst keine rechtlich geschützten Gründe hat, das Mietverhältnis zu beenden, etwa weil der Mieter andere Pflichtverletzungen begeht, die von ihrer Gewichtigkeit zwar bereits für eine Abmahnung ausreichen, für sich genommen aber noch nicht für eine (auch nur ordentliche) Kündigung, gebieten es die Grundsätze von Treu und Glauben, das Mietverhältnis fortzusetzen (LG Bonn Urt. v. 06.11.2014 – 6 S 154/14, BeckRS 2014, 23580).

Nach dieser Maßgabe ist die Geltendmachung des Räumungsanspruchs vorliegend rechtsmissbräuchlich. Die zur Kündigung gemäß § 573 BGB berechtigende Pflichtverletzung erscheint durch die nachträgliche Zahlung des Beklagten, die bereits innerhalb von acht Tagen nach Zugang der Kündigung und damit vor Einreichung der Klage am 17.05.2016 erfolgte, in einem so milden Licht, dass es der Klägerin unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben verwehrt ist, die Wirksamkeit der Kündigungen im Rahmen eines Räumungsprozesses durchzusetzen.

Zwar hat der Beklagte auch in den darauffolgenden Monaten März und April 2016 die Miete verspätet erst am 19.04.2016 gezahlt. Dies geschah aber wiederum nur acht Tage nach Zugang der zweiten Kündigung vom 08.04.2016 und vor Einreichung der Klage. Es ist zudem nicht vorgetragen, dass es in der Zeit davor oder danach in dem seit über drei Jahren bestehenden Mietverhältnis zu unregelmäßigen Zahlungen oder sonstigen Auffälligkeiten gekommen ist. Auch wurden keine Anhaltspunkte vorgetragen, die daraufschließen lassen, dass der Beklagte künftig erneut die Miete nicht fristgerecht zahlen werde.”