Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung vor, wenn ein Mieter seinen Vermieter vorsätzlich unberechtigt bei Ermittlungsbehörden wegen Straftaten anzeigt, die dieser nicht begangen hat?

Die Antwort des Amtsgerichts München (AG München – 421 C 23576/15, Urteil vom 14.07.2016) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Amtsgericht München in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Die Kündigung vom 20.11.2015 hat das Mietverhältnis wirksam beendet. Der Kläger kann sich für seine außerordentliche fristlose Kündigung auf einen wichtigen Grund nach § 543 Abs. 1 BGB berufen. Nach § 543 Abs. 1 S. 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

a) aa) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 S. 2 BGB liegt insbesondere vor, wenn der Mieter den Vermieter vorsätzlich unberechtigt bei Ermittlungsbehörden wegen Straftaten anzeigt, die dieser nicht begangen hat. Dieses Verhalten stellt zum einen eine falsche Verdächtigung im Sinne des § 164 StGB dar und begründet zum anderen einen schweren Vertragsverstoß (vgl. Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Auflage 2013, § 543 BGB, Rn. 193 f. m.w.N.; AG Friedberg (Hessen), Urteil vom 15. Mai 1986 – C 2033/84 ). Denn im Rahmen der allgemeinen vertraglichen Treuepflicht (§ 242 BGB) sind Vertragsparteien verpflichtet, alles zu unterlassen, was das Interesse des Vertragspartners an der Durchführung des Vertrages beeinträchtigen könnte, und alles zu tun, was notwendig ist, um die Erfüllung der vertraglich übernommenen Verpflichtung sicherzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2010 – XII ZR 188/08). Diese vertragliche Nebenpflicht wird verletzt, wenn eine Vertragspartei ohne anerkennenswertes Interesse Behauptungen in der Öffentlichkeit verbreitet, die geeignet sind, das Ansehen des Vertragspartners erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2010 – XII ZR 188108). Dies trifft insbesondere auch auf falsche Strafanzeigen bei der Polizei zu, weil diese den Vertragspartner einer unberechtigten Strafverfolgung aussetzen und damit, allein durch die Behauptung eines strafrechtlich relevanten Verhaltens, sein Ansehen beschädigen.

bb) Die durchgeführte Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der vom Beklagten zu 2) bei der Polizei am 12.11.2015 zur Anzeige gebrachte Sachverhalt von diesem frei erfunden war und so nie stattgefunden hat. Die Anzeige geschah auch vorsätzlich. Hierfür hat der Kläger den vollen Beweis erbracht.

Die Zeugin ### hat glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass der Kläger sich zum behaupteten Tatzeitpunkt nicht, wie vom Beklagten zu 2) geschildert, am Tatort befunden hat und insbesondere der vom Beklagten zu 2) geschilderte Tatablauf so nicht stattgefunden haben kann. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger zusammen mit der Zeugin zunächst die Kinderkrippe in der ### besucht hat und sodann beim Bäcker in der ### anhielt um eine Brezel für den gemeinsamen Sohn zu kaufen. Die Zeugin hat sodann glaubhaft geschildert, dass der Kläger sie in der Feuerwehranfahrtszone vor dem Haus in der ### nur aus dem Auto hat steigen lassen und sodann sofort zu seinen Eltern weiter gefahren ist, nachdem sie den Kinderwagen und ihren Sohn aus dem Auto genommen hatte. Dass der Kläger sodann in die ### zu seinen Eltern gefahren ist, hat auch der Zeuge ### bestätigt. Dieser schilderte glaubhaft, dass der Kläger ab 11.30 Uhr beim Zeugen ### und seiner Frau war, um Post für diese zu lesen. Wie auch die Zeugin ### geschildert hatte, hat auch der Zeuge ###, der Vater des Klägers, ausgesagt, dass seine Frau den Kläger morgens angerufen hatte, damit dieser mittags vorbei käme, um Post zu lesen. Der Kläger hat überdies ein Parkticket vorgelegt, welches kurz nach dem behaupteten Tatzeitpunkt in der### um 11.27 Uhr gelöst wurde (K 11, Bl. 80 d.A.) und eine Bestätigung der Kinderkrippe über die Besprechung (K 8, Bl. 64 d.A.), welche bis kurz vor dem Tatzeitpunkt andauerte. Aus all dem ergibt sich, zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger sich zum angeblichen Tatzeitpunkt nicht in der vom Beklagten zu 2) geschilderten Weise am Tatort aufhielt. Die Zeugin ### ist auch glaubwürdig. Sie hat den gesamten Vorfall einschließlich der vorangegangenen Besichtigung der Kinderkrippe widerspruchsfrei und konsistent berichtet. Auch trotz Nachfragen zu Einzelheiten des Ablaufs hat sie jeweils sofort eine Antwort parat gehabt, welche auch detailreiche Schilderungen enthielt. Anhaltspunkte dafür, dass sie die Unwahrheit gesagt haben könnte, hat das Gericht nicht. Hingegen enthielt die Anhörung des Beklagten zu 2) in der mündlichen Verhandlung erhebliche Inkonsistenzen, zum einen im Vergleich zu dem bei der Polizei geschilderten Vorfall, zum anderen auch hinsichtlich der Schilderung des Sachverhaltes an sich. Der Beklagte zu 2) passte die örtlichen Gegebenheiten und die geschilderte Tatsituation bei seiner Anhörung mehrfach an. Selbst, als das Gericht ihn eine Zeichnung des Ortes des Vorfalls anfertigen ließ (Bl. 114 d.A.), änderte er den Ort des Geschehens mehrfach ab. Er schilderte zunächst, dass er aus dem Haus Nr. ### gekommen sei und der Kläger sich auf dem Gehsteig zwischen Hausnummer ### und ### befunden habe. Der Beklagte zu 2) sagte zunächst, dass der Kläger ihn dann gesehen habe und nach der Schilderung ihn gleich beleidigt habe. Später erklärte der Beklagte zu 2) jedoch, was auch mit den Satellitenbildern übereinstimmt, dass es ein langer Weg von der Haustür bis zum Gehsteig sei, wo er dann angeblich auf den Kläger getroffen sei. Insbesondere hat der Beklagte zu 2) auf der Skizze eingezeichnet, dass er den Weg geradeaus vom Haus zur Straße genommen habe, nicht vorbei an der Hausnummer ###. Die geschilderte Situation des Zusammentreffens erschien dem Gericht wenig durchdacht und im Gerichtstermin konstruiert. Die Schilderung klang für das Gericht nicht so, wie etwas was man in Wirklichkeit erlebt hat. Der Beklagte zu 2) schilderte den Vorfall auch nicht so, wie bei der Polizei. Er ließ wesentliche dort getätigte Aussagen weg. Dies spricht ebenfalls dagegen, dass er das geschilderte so erlebt hat. Anders als der Beklagtenvertreter meint, ist die Schilderung der Situation durch den Beklagten inkompatibel mit der Schilderung durch den Kläger. Dieser kann zur Überzeugung des Gerichts sein Auto in der kurzen Zeit nicht verlassen haben. Dass ein Auto des Klägers am Tatort irgendwo zu sehen gewesen wäre, hat der Beklagte zu 2) jedoch nicht erwähnt. Ebenso hat er nicht erwähnt, dass er die Zeugin ### gesehen hätte. Die angeblichen Beleidigungen sind auch nach der Schilderung des Beklagten zu 2) nicht im Vorbeifahren aus dem Auto heraus gefallen, sondern bei einer persönlichen Begegnung zu Fuß. Die mit den Parteien in Augenschein genommenen Routen haben ergeben, dass die Schilderung des Klägers hinsichtlich seines Aufenthalts zutreffend sein können und, anders als die Beklagten meinen, keine wesentlichen Aufenthalte in der ### mehr zulassen. Der Kläger hat gegen 11.10 Uhr die Kinderkrippe in der ### verlassen. Von dort bis zur ### dauert es über die ###, wo sich die Bäckerei befindet, ca. 3 Minuten. Die Wegstrecke beträgt 1,1 km. Nach Aussage der Zeugin ### befand sich diese noch einige Minuten in der Bäckerei. Mit Einparken in der ### und Anstehen in der Bäckerei schätzt das Gericht den Aufenthalt auf ca. 5 Minuten. Der Kläger und die Zeugin dürften damit gegen 11.15 Uhr/11.20 Uhr in der ### angekommen sein. Dort musste die Zeugin mit dem Sohn und Kinderwagen aussteigen und der Kläger sodann die 7 Minuten Fahrstrecke in die ### zurücklegen, wo er auch noch um 11.26 Uhr ein Parkticket ziehen musste. Dies alles lässt zeitlich nicht zu, dass der Kläger in der ### aus dem Auto steigt, das Auto irgendwo parkt und dann eine wenn auch kurze Konversation mit dem Beklagten zu 2) zur Fuß vor der ### führt, ohne dass der Beklagte zu 2) das Auto des Klägers oder die Zeugin ### bemerkt hätte. Der Beklagte zu 2) hat auch nicht geschildert, dass der Kläger sofort wieder in sein Auto gestiegen und weggefahren ist.

b) Die im Rahmen des § 543 Abs. 1 BGB durchzuführende Interessenabwägung ergibt, dass dem Kläger die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit den Beklagten nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann.

Über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB ist auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2010 – XII ZR 188/08). Hierfür sind die Interessen des Kündigenden an der Vertragsbeendigung und die Interessen der anderen Vertragspartei an der Fortdauer des Mietverhältnisses zu ermitteln und zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2010 – XII ZR 188/08).

Der von der Klagepartei geschilderte Vorfall ist, wie oben dargelegt, geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, weil er auf eine nachhaltige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien schließen lässt. Der Vorfalls steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Beklagte zu 2) hat eine vorsätzliche und erhebliche Vertragsverletzung begangen, als er den Kläger bei der Polizei fälschlich einer Straftat bezichtigte. Demgegenüber wiegen die Interessen der Beklagten an eine Vertragsfortsetzung nicht ebenso schwer. Zwar sind die Beklagten, gerade mit ihrem schwerbehinderten Sohn, auf den Wohnraum dringend angewiesen und es wird ihnen amtsbekannt schwerfallen, Ersatzwohnraum zu erlangen. Weiterhin sind die Parteien verwandt, was ebenfalls zugunsten der Beklagten berücksichtigt werden muss. Dies kann jedoch das festgestellte sinnlose vorsätzliche Verhalten des Beklagten zu 2) nicht in einem milderen Licht erscheinen und die Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten ausfallen lassen. Er hat mit der Anzeige keine berechtigten Interessen wahrgenommen und kann sein Verhalten auch sonst nicht entschuldigen.

c) Eine Abmahnung des Vertragsverstoßes war nach § 543 Abs. 3 BGB entbehrlich. Erfolgt, wie hier, eine außerordentliche Kündigung wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage, bedarf die Kündigung keiner vorherigen Abmahnung. Zwar ist eine solche nach § 543Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich Voraussetzung, falls das Mietverhältnis wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag außerordentlich gekündigt werden soll. Bei einer Zerrüttungskündigung ist eine Abmahnung jedoch ausnahmsweise entbehrlich, weil die Vertrauensgrundlage auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2010 – XII ZR 188/08).”