Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist eine Anbringung von mieterseitigen Transparenten politischen Inhalts an der Hausfassade grundsätzlich verboten?

Die Antwort des Amtsgerichts Neukölln (AG Neukölln – 10 C 344/17, Urteil vom 09.01.2018) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Neukölln in seiner vorgenannten Entscheidung unter I. wie folgt aus: “Die nach Art. 24 Nr. 1 EuGVVO zulässigerweise beim hiesigen Gericht erhobene Klage ist begründet. Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Duldung der Befestigung des Transparents aus dem Mietvertrag i. V. m. § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Es handelt sich insofern noch um vertragsgemäßen Gebrauch, zu dessen Gewährung die Beklagte verpflichtet ist.

1. Es kann dahinstehen, ob der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag dahin auszulegen ist, dass er sich auch auf die Außenwand der Balkonbrüstung erstreckt. Denn unabhängig von der räumlichen Reichweite des jeweiligen Mietvertrags ist der Mieter einer Wohnung jedenfalls in einem begrenzten Umfang zum Gebrauch der Außenwand berechtigt. Ein solcher zulässiger Gebrauch kann auch in dem Anbringen von Plakaten politischen oder jedenfalls meinungsbildenden Charakters liegen. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht verlangt es, den hinreichend deutungsoffenen Begriff des vertragsgemäßen Gebrauchs (vgl. §§ 538, 541 BGB) unter Berücksichtigung der Wertung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG meinungsfreundlich auszulegen und die Befestigung solcher Plakate nicht von vornherein auszuschließen (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 26. März 1985 – 16 S 215/84 -, juris; AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13 -, juris; AG Göttingen, Urteil vom 3. Juli 1987- 20 C 241/87 -, juris; AG Charlottenburg, Urteil vom 18. August 1981 -18 C 317/81 -, juris; anders AG Wiesbaden, Urteil vom 15. April 2003 – 93 C 465/03 -, juris).

2. Offen bleiben kann ebenso, ob der von den Parteien klauselmäßig vereinbarte Zustimmungsvorbehalt für das Anbringen von Schildern und anderen Gegenständen am Haus das streitgegenständliche Plakat erfasst. Denn die Beklagte war hier jedenfalls zur Erteilung einer solchen Zustimmung nach Ziff. 2 der Anlage 1 zum Mietvertrag verpflichtet. Ein das Interesse der Kläger an ihrer Meinungsäußerung überwiegender schutzwürdiger Belang aufseiten der Beklagten ist nicht erkennbar.

a) Die in Ziff. 2 der Anlage 1 benannten Verweigerungsgründe – Belästigungen anderer Hausbewohner sowie Beeinträchtigungen der Mietsache und des Grundstücks – sind nur Ausprägung der in Fällen wie dem vorliegenden stets gebotenen Abwägung der Meinungsfreiheit des Mieters (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG) mit dem Schutz des Eigentums des Vermieters (Art. 14 Abs. 1 GG).

Diese Abwägung kann nicht abstrakt erfolgen, sondern hat bei den konkreten Umständen des Einzelfalls anzusetzen (vgl. AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 23, juris; LG Berlin, Urteil vom 09. September 1988 – 64 S 106/88 -, juris; LG Aachen, Urteil vom 25. November 1987 – 7 S 294/87 -, Rn. 6, juris; BayObLG, Beschluss vom 04. November 1983 – ReMiet 13/83 -, juris). Das Gewicht der Eigentümerinteressen beurteilt sich insbesondere nach dem Grad der substanziellen wie der optischen Einwirkung auf das jeweilige Gebäude (AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 24 ff., juris; AG Göttingen, Urteil vom 03. Juli 1987 – 20 C 241/87 -, juris) und danach, ob der Hausfrieden durch Anbringen des Plakats gestört wird (BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 184/54 -, BVerfGE 7, 230; AG Göttingen, Urteil vom 03. Juli 1987 – 20 C 241/87 -, juris).

Demgegenüber ist für die Schutzwürdigkeit der Meinungsäußerung des Mieters entscheidend, ob das Plakat durch eine konkrete Auseinandersetzung oder sonstige auf das Mietobjekt hinreichend bezogene Geschehnisse veranlasst ist (AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 31 ff., juris vgl. auch AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 16. August 1990 – 4 C 1832/90 -, juris), es die Sachlage objektiv darstellt (vgl. LG Berlin, Urteil vom 18. April 1996 – 51 T 58/96 -, juris) und die Meinungsäußerung insgesamt sachlich gehalten ist (AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 30, juris), insbesondere den Vermieter weder angreift noch diffamiert (vgl. LG Berlin, Urteil vom 9. September 1988 – 64 S 106/88 -, juris; LG München I, Urteil vom 20. Juli 1983 – 14 S 18033/81 -, Rn. 12 ff., juris; AG Charlottenburg, Urteil vom 18. August 1981 – 18 C 317/81 -, juris).

b) Bei Berücksichtigung dieses Maßstabs überwiegen die klägerischen Belange in der Abwägung.

aa) Die Kläger können ein gewichtiges Interesse an der mit dem Anbringen des Plakats verbundenen Meinungsäußerung geltend machen.

Der Text des Plakats weist mit „Friedel 54“ noch einen hinreichenden Bezug zu einer konkreten, auf das Mietobjekt bezogenen Auseinandersetzung auf. Den Anstoß zur Meinungsäußerung gaben die gegenüber dem Kiezladen im Erdgeschoss ausgesprochene Kündigung sowie die anschließende Räumung – ungeachtet des genauen Zeitpunkts der ursprünglichen Installation des Plakats. Die klägerische Meinungskundgabe gründet damit in der auch durch das Verhalten der Beklagten gegenüber anderen Mietern geprägten mietvertraglichen Beziehung zwischen den Parteien selbst.

Der Anlass für das Plakat ist entgegen der Ansicht der Beklagten mit der Räumung des Ladens auch nicht entfallen. Für einen mit den Geschehnissen vertrauten Passanten (zu diesem Maßstab AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 32, juris) ist wegen der lnbezugnahme anderer Kieze bzw. Häuser mit alternativen Lebensformen auf dem Plakat gerade ersichtlich, dass auf soziokulturelle Veränderungsprozesse in einem breiteren Zusammenhang hingewiesen werden soll. Die eigene Situation in der F.straße bleibt bei einer solchen Auslegung auch nach erfolgter Räumung Beispiel für einen solchen – nun nicht mehr nur bevorstehenden, sondern teilweise eingetretenen – Veränderungsprozess. Eine solche lnbezugnahme eines größeren gesellschaftspolitischen Kontextes kann den Klägern auch nicht verwehrt werden. Denn selbst allgemeine politische Stellungnahmen auf von Mietern installierten Plakaten können zulässig sein (vgl. etwa LG Hamburg, Urteil vom 26. März 1985 -16 S 215/84 -, juris). Dann muss Entsprechendes erst recht für den vorliegenden Fall gelten, wo zugleich ein konkreter Bezug zum eigentlichen Mietobjekt noch erhalten bleibt.

Aus ähnlichen Gründen kann auch dahinstehen, inwieweit die Kläger selbst von Verdrängungsprozessen, namentlich von etwaigen künftigen Mietsteigerungen, betroffen sind. Tatsächlich haben die Kläger insofern keine konkreten Maßnahmen der ursprünglichen Vermieterin oder der Beklagten vorgetragen. Jedoch räumt die Beklagte selbst ein, dass sie Sanierungen weiterer Wohnungen im Haus plant. Auch wenn es sich dabei nicht um sogenannte Luxusmodernisierungen handeln mag, gehen auch reguläre Modernisierungen zwangsläufig mit Mietsteigerungen einher. Dass diese angesichts der Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt unter Umständen noch vergleichsweise moderat erscheinen mögen, bleibt für die durch das Plakat verkörperte Meinungsäußerung unerheblich. Denn der mit dem Text „Wir bleiben alle“ von den Klägern zum Ausdruck gebrachte Wunsch, in der Wohnung wohnen bleiben zu können, könnte je nach persönlicher finanzieller Situation schon durch solche unter dem Niveau der Luxussanierung bleibende Mietsteigerungen auf einen für Neuvermietungen mittlerweile üblichen Zins gefährdet werden. Im Übrigen behält der zugleich noch aus dem Plakat erkennbarere politische Standpunkt, dass günstige Räumlichkeiten für soziale, alternative, nicht-kommerzielle Projekte möglichst erhalten werden sollten, unabhängig von einer unmittelbaren eigenen Betroffenheit der Kläger seine Relevanz. Die Solidarisierung mit Anliegen von Mietergemeinschaften und die Auseinandersetzung mit allgemeineren Entwicklungen im Immobilienmarkt im Wege der Meinungsäußerung am Mietobjekt ist einem Mieter nicht generell verwehrt (vgl. LG Kassel, Urteil vom 22. Januar 1981 – 1 S 228/80-, juris; AG Schöneberg, Urteil vom 28. Juni 2001 – 10 C 183/01 -, juris).

Schließlich ist die Schutzwürdigkeit der von den Klägern beabsichtigten Meinungskundgabe auch nicht aus anderen Gründen herabgesetzt. Insbesondere ist der Text des Plakats sachlich gehalten und frei von strafbaren oder sittenwidrigen Äußerungen. Eine konkrete Person, insbesondere die Beklagte, wird nicht benannt. Zwar ist für den Passanten nicht zuletzt wegen des Hinweises auf „Friedel 54“ gerade erkennbar, dass mit dem Banner auch auf die Situation in gerade diesem Haus hingewiesen werden soll und die Kläger augenscheinlich das mietvertragliche Verhalten von dessen Eigentümerin ebenso kritisieren. Dass Eigentümerin aber gerade die Beklagte ist, ist für die Allgemeinheit potentieller Betrachter nur mit erheblichem zusätzlichen Aufwand zu ermitteln. Im Übrigen wird die Beklagte weder diffamiert noch beleidigt. Dass ihr Handeln als Vermieterin, insbesondere das Vorgehen im Wege der Räumungsklage und auch etwaige Modernisierungen, rechtlich nicht zu beanstanden ist, hindert eine sachlich gehaltene Kritik an diesem Vorgehen nicht. Die Kläger behaupten mit dem Plakat nicht Rechtsverstöße der Beklagten, sondern nehmen in Bezug die Art und Weise, wie diese die ihr rechtlich zustehenden Positionen ausübt. Auch solches Handeln innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung ist aber, wie auch in anderen Zusammenhängen, tauglicher Gegenstand kritischer Betrachtung nach außerrechtlichen – etwa moralischen, religiösen, rechtspolitischen ­ Maßstäben. Das gilt hier umso mehr, da das von der Beklagten insofern in Anspruch genommene allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) für sie als Gesellschaft von vornherein nur ohne das besondere Gewicht der auf natürliche Personen beschränkten Fundierung in der Menschenwürde und damit nur mit geminderter Schutzintensität gilt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08. Februar 1994 – VI ZR 286/93 -, Rn. 23, juris).

bb) Auch die übrigen Eigentümerinteressen der Beklagten (Art. 14 Abs. 1 GG) werden durch die Anbringung des klägerischen Plakats nicht schwerwiegend beeinträchtigt. Das Plakat lässt die Bausubstanz des Gebäudes unberührt, da die Kläger es in der Vergangenheit lediglich mit Schnüren an der Balkonbrüstung befestigt haben und nun abermals eine solche Befestigung beabsichtigen. Insoweit war der Klageantrag lediglich hinsichtlich Größe und Befestigungsart zu konkretisieren, ohne dass er dadurch inhaltlich verändert würde.

Auch die optische Wirkung des Banners auf die Gesamterscheinung ist nicht derart gewichtig, dass sie die Unterlassung der Befestigung rechtfertigen würde. Zwar hat das Plakat eine durchaus erhebliche Größe; es verdeckt seinen Ausmaßen nach die gesamte Balkonbrüstung und setzt sich sogar noch in durchaus erheblichem Umfang unterhalb derselben fort. Damit ist es von der Straße aus prägnant wahrzunehmen. Es bewirkt aber keine erhebliche qualitative Veränderung in der äußeren Erscheinung des Gebäudes. Insbesondere dominiert es nicht die Fassade. Denn diese ist schon jetzt stark heterogen. Im Erdgeschossbereich dominiert Rot als Grundfarbe, welche durch großflächige, bunte Graffiti verschiedenster Formen mit vornehmlich blauen und grünen Farbanteilen durchbrachen wird. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der davon abgesetzte Fassadenbereich darüber mit Grau- bis Weißtönen insgesamt etwas homogener erscheint; insbesondere hängen an den anderen Balkons keine Plakate. Indes weist das Grau auch hier fleckig unterschiedliche Töne auf. Es ist vor allem an den oberen Balkonbrüstungen durch große weiße Flächen durchbrochen. ln diese Farbgebung fügt sich die weiße Grundfläche des streitgegenständlichen Plakats durchaus ein. Entsprechendes gilt für die grün gehaltene Schrift. Denn das Grün findet sich nicht nur in den unmittelbar darunter befindlichen Graffiti, sondern auch in einem Graffiti-Rest rechts oberhalb des klägerischen Balkons – zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoss – wieder.

Insoweit die Beklagte darüber hinaus ganz allgemein eine Störung des Hausfriedens behauptet, fehlt es an substantiiertem Vortrag. Dass andere Mieter Anstoß an dem Plakat genommen hätten, ist nicht dargelegt und nach dem gerichtsbekannten Geschehen um die Räumung des Kiezladens auch nicht wahrscheinlich. Im Übrigen ist die Beklagte selbst nicht Teil der Hausgemeinschaft, sondern nimmt eher ihre formellen Eigentümerinteressen wahr. Auch die von der Beklagten selbst in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts macht aber deutlich, dass solche Eigentümerinteressen gerade nicht mit der Wahrung des Hausfriedens deckungsgleich sind, sondern dieser im Range nachgehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 -1 BvR 184/54 – Rn. 21, juris).

Soweit die Beklagte einwendet, in der Möglichkeit zur Vermietung beeinträchtigt zu sein, hat sie dies nicht näher konkretisiert. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Inhalt des Plakates geeignet wäre, etwaige konkrete Mietinteressenten von einer Anmietung abzuhalten. Selbst wenn ein potentieller Mieter wie die Beklagte meint durch das Plakat den Eindruck gewinnen würde, die Beklagte wolle die Bewohner verdrängen, so würde sich dies wohl nicht auf potentielle Neumieter beziehen.”