Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Sind zurzeit Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Mietpreisbremse in Berlin aufgrund der Anhängigkeit einer Richtervorlage auszusetzen?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 65 S 238/17, Urteil vom 25.04.2018) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. wie folgt aus: “Der Rechtsstreit ist aufgrund der (bloßen) Anhängigkeit einer Richtervorlage weder nach Art. 100 Abs. 1 GG noch nach § 148ZPO (analog) auszusetzen.

a) Die Anhängigkeit einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG (BVerfG 1 BvL 1/18) allein rechtfertigt keine eigene Aussetzung. Art. 100 Abs. 1 GG knüpft die Aussetzung an das Einholen einer Entscheidung des Bundesbzw. Landesverfassungsgerichts.

Wie ausgeführt, ist Voraussetzung die eigene Überzeugung des Gerichts von der Verfassungsmäßigkeit bzw. -widrigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes. Teilt ein Fachgericht die Überzeugung eines vorlegenden Gerichts von der Unvereinbarkeit einer gesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz nicht, so hat es diese weiter anzuwenden (Art. 20 Abs. 3 GG); die Verfassung hat in diesem Fall allein dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zugewiesen, ein Gesetz für ungültig zu erklären. Die wesentliche Aufgabe des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG liegt darin, die Autorität des unter der Herrschaft des Grundgesetzes tätig gewordenen Gesetzgebers zu wahren und zu verhüten, dass sich jedes einzelne Gericht über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, indem es die von ihm erlassenen Gesetze nicht anwendet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.12.1984 – 2 BvL 22/82, aaO.) oder ihre (angenommene) Verfassungswidrigkeit öffentlichkeitswirksam in den Raum stellt (vgl. krit: Börstinghaus, NJW 2018, 665, [666]).

Die Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts bzw. der Landesverfassungsgerichte “unterwirft” die Gesetzgebung nur in den Grenzen des Art. 100 Abs. 1 GG der (Verfassungsgerichts-)Rechtsprechung. Das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Prinzip der Gewaltenteilung wird mit diesem Verwerfungsmonopol nicht in Gefahr gebracht; die bloße Prüfung von Gesetzen am Maßstab höherrangigen Rechts erhebt darüber hinausgehend keinen Richter über den Gesetzgeber (vgl. Maunz/Dürig/Dederer, 81. EL September 2017, GG Art. 100 Rn. 14, mwN). Ergänzend helfen die Beschränkung der Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auf Entscheidungen (prozessleitende Verfügungen und Beschlüsse werden nicht erfasst) sowie die weiteren engen Voraussetzungen der Richtervorlage, es zu verhindern, dass die Autorität des Gesetzgebers beschädigt wird.

b) Die Voraussetzungen des § 148 ZPO sind hier weder unmittelbar gegeben, noch ist das Verfahren im Wege einer analogen Anwendung der Vorschrift auszusetzen.

§ 148 ZPO regelt die hier maßgebliche Frage nicht unmittelbar. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

Ein Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder zu Gegenständen. Die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ist kein Rechtsverhältnis in diesem Sinne, sondern vielmehr eine Rechtsfrage (vgl. BGH, Beschluss vom 25.03.1998 – VIII ZR 337/97NJW 1998, 1957).

Ist die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes – wie hier – bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) oder einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, so kann unter engen Voraussetzungen dennoch eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO in Betracht kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.10.2003 – 2 BvR 1309/03NJW 2004, 501; BGH, Beschluss vom 25.03.1998 – VIII ZR 337/97NJW 1998, 1957).

Werden – mit den vom Bundesgerichtshof insoweit entwickelten Maßstäben (vgl. BGH, Beschluss vom 25.03.1998 – VIII ZR 337/97NJW 1998, 1957) – die Voraussetzungen für eine Analogie bejaht, so ist im Rahmen des pflichtgemäß auszuübenden Ermessens zu prüfen, ob ungeachtet der – auch hier gegebenen – ungewissen Dauer des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens eine Aussetzung nach Abwägung aller Umstände angemessen ist.

Diese Frage verneint die Kammer. Es kann – anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – schon nicht sicher beurteilt werden, ob die Richtervorlage zulässig ist, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache damit überhaupt zu erwarten ist.

Anders als in der vom BGH entschiedenen Konstellation ist hier zudem zu berücksichtigen, dass das Instrument vom Bundesgesetzgeber selbst mit einer zeitlichen Obergrenze versehen wurde, die – nach geltendem Recht – nicht ausgedehnt werden kann. Eine Aussetzung des Rechtsstreits würde hier dazu führen, dass – unter Verstoß gegen das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts – ein Gesetz, das keinesfalls offenkundig und allgemein für verfassungswidrig gehalten wird, faktisch nicht mehr zur Anwendung kommt, dies, obwohl die zur Entscheidung berufene Kammer selbst von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung nicht überzeugt ist, was sie an einer eigenen Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG hindert. Die Kammer würde sich damit über den Willen und die Kompetenz des Gesetzgebers hinweg setzen, dies zu einer Zeit, da die Regelungen in der Sache – jedenfalls im Zuständigkeitsbereich der Kammer – angewendet werden und sich die Auseinandersetzung zunehmend auf deren Inhalt bzw. Auslegung verlagert hat. Hinzu kommt, dass empirische Studien inzwischen nahe legen, dass die vom Gesetzgeber intendierten Wirkungen auf bestimmten angespannten Märkten durchaus eintreten (vgl. DIW Wochenbericht, 7/2018, 107ff.).

Besonders gewichtige Gründe der Prozessökonomie, die die Aussetzung zu rechtfertigen geeignet wären, ergeben sich hier ebenfalls nicht.”