Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kann das erkennende Gericht auch bei einer fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses und einem Anerkenntnis des Mieters/Räumungsschuldners bezüglich der Räumung und Herausgabe der Wohnung dem Mieter/Räumungsschuldner noch eine gewisse Räumungsfrist gewähren?

Die Antwort des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel (AG Brandenburg a.d.H. – 31 C 34/18, Urteil vom 10.09.2018) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Brandenburg an der Havel in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Die zulässige Klage war aufgrund des Teil-Anerkentnisses der Beklagten vom 08.08.2018 hinsichtlich der Hauptsache als begründet anzusehen, so dass dem Kläger gegenüber der Beklagten grundsätzlich ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitbefangenen Wohnung hier zur Seite steht (§ 545 BGB) und somit auch das Teil-Anerkenntnisurteil vom 21.08.2018 vorliegend ergehen konnte.

Die hier jetzt insofern nur noch zu treffende Entscheidung gemäß § 721 ZPO kann das erkennende Gericht jedoch auch nur in einem End-Anerkenntnisurteil treffen (OLG München, Beschluss vom 19.02.2010, Az.: 32 W 827/10, u.a. in: NJW-RR 2010, Seite 945; LG Rostock, Beschluss vom 11.08.2000, Az.: 2 T 253/00, u.a. in: NJW-RR 2001, Seiten 442 f.; LG Berlin, Beschluss vom 16.07.1992, Az.: 67 T 52/92, u.a. in: WuM 1994, Seite 385; Seibel, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, § 721ZPO, Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO-Kommentar, 76. Auflage 2018, § 721 Rn. 6), da die Anordnung nach § 721 Abs. 1 ZPO erst nach der mündlichen Verhandlung durch ein Urteil ergeht. Sie ist somit in einem Urteilstenor mit auszusprechen und zu begründen, so dass hier zunächst auch ein Teil-Anerkenntnisurteil am 21.08.2018 verkündet werden konnte.

Dem entsprechend ist in dem nunmehrigen End-Anerkenntnisurteil grundsätzlich auch darüber zu befinden, ob der Beklagten noch eine Räumungsfrist gewährt wird oder nicht und wenn ja, für welchen Zeitraum, so dass sich aus dem obigen Urteilstenor auch das Ende der Räumungsfrist ergeben muss. Der Beginn der Räumungsfrist muss sich aus dem hiesigen End-Anerkenntnisurteil hingegen nicht ergeben. Würde eine solche Entscheidung nach § 721 ZPO nicht in einem Urteil erfolgen, obwohl die Beklagtenseite den Antrag rechtzeitig im Sinne von § 721 ZPO – also vor Schluss der mündlichen Verhandlung – angebracht hat, könnte die Beklagtenseite ggf. sogar gemäß § 721 ZPO in Verbindung mit § 321 ZPO eine Urteilsergänzung beantragen (OLG München, Beschluss vom 19.02.2010, Az.: 32 W 827/10, u.a. in: NJW-RR 2010, Seite 945; LG Rostock, Beschluss vom 11.08.2000, Az.: 2 T 253/00, u.a. in: NJW-RR 2001, Seiten 442 f.;).

Der Beklagten war hier von Amts wegen eine Räumungsfrist bis zum 10. Dezember 2018 durch das Gericht zu gewähren.

Bei der Interessenabwägung im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hat das Gericht Folgendes berücksichtigt:

Ob vorliegend das zwischen dem Kläger und der Beklagten gemäß dem Mietvertrag vom 28.08.2003 bestehende Mietverhältnis bereits aufgrund der von der Klägerseite mit Schreiben vom 18.09.2017 erklärten fristlosen Kündigung wirksam beendet wurde, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Zwar kann gemäß § 543 Abs. 1 BGB ein Mietverhältnis grundsätzlich auch aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien – und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.

Auch kann ggf. ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB insbesondere auch dann gemäß § 569 Abs. 2 BGB vorliegen, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (AG Siegburg, Urteil vom 16.01.2013, Az.: 123 C 109/12; AG Brandenburg an der Havel, Urteil vom 24.05.2017, Az.: 31 C 125/16, u.a. in: Grundeigentum 2017, Seiten 721 ff. = BeckRS 2017, Nr. 110791 = IMR 2017, 316 = FD-MietR 2017, 390988 = https://www.mietrechtsiegen.de; AG Brandenburg an der Havel, Urteil vom 17.07.2001, Az.: 32 C 169/00, u.a. in: Grundeigentum 2001, Seite 1134 = BeckRS 2001, Nr.: 30996309).

Jedoch wäre für eine derartige Kündigung eine sich über einen längeren Zeitraum hinziehende erhebliche Beeinträchtigung durch einen schweren Verstoß der Beklagten gegen das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erforderlich, um die Kündigung als wirksam ansehen zu können. Auch hätte die Störung des Hausfriedens in ihrem Ausmaß und ihrer Dauer die Toleranzschwelle in hohem Grade überschreiten und die Vertragsfortsetzung für den gemeinnützigen Kläger unzumutbar machen müssen. Einmalige oder vereinzelte Vorfälle hätten aber ebenso wenig genügt wie Störungen, die dem Bagatellbereich zuzuordnen gewesen wären. Insofern genügen für eine solche Kündigung nur schwerwiegende und vor allem mehrfache Störung des Hausfriedens mit Wiederholungsgefahr (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2007, Az.: I-10 U 86/07, u.a. in: GuT 2007, Seiten 438 ff.).

Ob diese gesetzlichen Voraussetzungen hier tatsächlich vorgelegen hatten, blieb aber zwischen den Prozessparteien streitig. Die Beweislast bei einer Räumungsklage aufgrund einer Kündigung des Mietvertrages wegen vermeintlich durch einen Mieter verursachter Störung des Hausfriedens liegt jedoch bei dem Vermieter (AG Brandenburg an der Havel, Urteil vom 24.05.2017, Az.: 31 C 125/16, u.a. in: Grundeigentum 2017, Seiten 721 ff. = BeckRS 2017, Nr. 110791 = IMR 2017, 316 = FD-MietR 2017, 390988 = https://www.mietrechtsiegen.de).

Bei der im Rahmen des § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung hat das erkennende Gericht die Interessen der beiden Parteien gegeneinander abzuwägen (KG Berlin, Beschluss vom 04.07.2008, Az.: 11 W 9/08, u.a. in: MDR 2008, Seiten 1090 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.06.2006, Az.: 13 U 89/06, u.a. in: NJW-RR 2007, Seiten 15 f.; OLG Hamm, Urteil vom 25.10.1994, Az.: 28 U 40/94, u.a. in: NJW-RR 1995, Seiten 526 f. LG Mannheim, Beschluss vom 26.11.1992, Az.: 4 T 314/92, u.a. in: NJW-RR 1993, Seiten 713 f. Seibel, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, § 721 ZPO, Rn. 6).

Gläubigerinteressen können z.B. überwiegen, wenn Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung während der Räumungsfrist nicht gewährleistet ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.06.2006, Az.: 13 U 89/06, u.a. in: NJW-RR 2007, Seiten 15 f.) – wovon hier jedoch unstreitig nicht auszugehen ist, da bisher ein Zahlungsverzug der Beklagten nicht vorliegt – oder bei Vorliegen eines unberechtigtem Besitzes der Wohnung (AG München, Urteil vom 25.04.2018, Az.: 433 C 777/18) – welcher hier ebenso nicht vorliegt – bzw. wenn der Vermieterseite aufgrund der Gefährdung des Mietobjekts, des gesamten Hauses und seiner Bewohner eine weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (LG Konstanz, Urteil vom 08.12.2017, Az.: 11 S 83/17, u.a. in: WuM 2018, Seiten 201 f.) – was hier wohl unstreitig auch nicht gegeben ist – oder bei nachgewiesener grober und nachhaltiger Pflichtverletzungen der (ehemaligen) Mieterin.

Den Nachweis einer groben und nachhaltigen Pflichtverletzung der Beklagten hat die Klägerseite im hiesigen Verfahren aber gerade (noch) nicht erbracht.

Im Übrigen ist auch der Vortrag der (ehemaligen) Mieterin/Beklagten zu berücksichtigen und zu befinden, ob ihr auch bei hinreichender Suche tatsächlich die Anmietung von Ersatzwohnraum bis jetzt nicht möglich gewesen ist (LG Berlin, Beschluss vom 05.04.2018, Az.: 67 T 40/18, u.a. in: Grundeigentum 2018, Seite 713). Dabei müssen aber auch die besonderen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten mit berücksichtigt werden.

Berücksichtigung hierbei muss auch finden, dass zwar eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt allgemein im Gerichtsbezirk zu verzeichnen ist, dies aber nicht für preiswerten Wohnraum – wie ihn die Beklagte hier aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse benötigen – gilt und gerade arbeitslose und/oder psychisch “angeschlagene” Bürger besondere Schwierigkeiten haben, preiswerten Ersatzwohnraum zu finden (LG Hamburg, Beschluss vom 03.02.1998, Az.: 316 T 3/98, u.a. in: WuM 1999, Seite 365).

Insoweit ist hier nämlich auch mit zu erwägen, dass der Beklagten mit Blick auf die zwischen den Parteien streitige Möglichkeit zur rechtzeitigen Beschaffung von Ersatzwohnraum allein wohl schon deshalb Beweiserleichterungen zu Gute kommen, da eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Miet-Wohnungen zu angemessenen Bedingungen im näheren Bereich ihrer bisherigen Wohnung kaum besteht, da hier in den letzten Jahrzehnten überwiegend Ein- und Zweifamilienhäuser von den jeweiligen Eigentümern zur Eigennutzung errichtet wurden, während der soziale Wohnungsbau so gut wie nicht mehr vorangetrieben worden ist, so dass eine derartige (ehemalige) Mieterin bei den gegenwärtigen Verhältnissen auf dem hier heranzuziehenden Wohnungsmarkt wohl nahezu chancenlos ist.

Deshalb ist in einem solchen Fall die Obliegenheit zur Ersatzraumsuche ggf. schon als erfüllt anzusehen, wenn die (ehemalige) Mieterin sich mit ihrer Wohnungs- bzw. Sozialbehörde in Verbindung gesetzt hat (LG Berlin, Beschluss vom 17.07.2017, Az.: 65 S 149/17, u.a. in: Grundeigentum 2017, Seiten 952 f.; LG Mannheim, Beschluss vom 26.11.1992, Az.: 4 T 314/92, u.a. in: NJW-RR 1993, Seiten 713 f.).

Zwar ist eine Mindestfrist in § 721 ZPO nicht bestimmt worden, jedoch würde eine zu kurze Räumungsfrist (z.B. unter 1 Monat) wohl ihren Zweck verfehlen (Seibel, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, § 721 ZPO, Rn. 6).

Andererseits wird bei der Erstbewilligung einer Räumungsfrist die Höchstdauer von einem Jahr wohl auch nicht auszuschöpfen sein (LG Wuppertal, Beschluss vom 09.11.1965, Az.: 6 T 641/65, u.a. in: NJW 1966, Seiten 260 f.).

Der Zweck der Gewährung einer Räumungsfrist besteht insoweit nämlich darin, dem Räumungsschuldner (ehemaligem Mieter) die Möglichkeit zur Suche nach einer neuen Wohnung zu bieten. Aus diesem Grunde wurde diese gesetzliche Regelung so 1964 in die ZPO eingeführt (LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 12.04.1999, Az.: 2/11 T 4/99, u.a. in: NZM 1999, Seiten 498 f. Seibel, in: Zöller, ZPO-Kommentar, 32. Auflage 2018, § 721 ZPO, Rn. 1).

Das Bundesverfassungsgericht hat sogar ausgeführt, dass eine Räumungsfrist von Amts wegen gemäß § 721 ZPO immer dann durch das Gericht zu erwägen ist, wenn aus dem Prozessstoff erkennbar ist, dass der Schuldner (ehemaliger Mieter) mit einer Räumungsanordnung ohne Räumungsfrist nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, Beschluss vom 17.12.1998, Az.: 2 BvR 1556/98, u.a. in: NJW 1999, Seiten 1387 ff.).

Bei seiner Entscheidung zur Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO hat das Gericht zugunsten der Beklagten neben der gerichtsbekannt angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt vor allem aber auch den Umstand mit erheblichem Gewicht berücksichtigt, dass die Beklagte wohl unter nicht ganz unerheblichen psychischen Problemen leidet (LG Köln, Urteil vom 15.04.2016, Az.: 10 S 139/15, u.a. in: ZMR 2016, Seiten 705 f.).

Aus all´ diesen Gründen ist dann aber in der Regel auch bei einer fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses gemäß § 721 ZPO eine Räumungsfrist von mindestens sechs Wochen (LG Berlin, Beschluss vom 31.10.2000, Az.: 64 T 90/00, u.a. in: Grundeigentum 2001, Seiten 141 f.) bis zu drei Monaten (LG Berlin, Beschluss vom 17.07.2017, Az.: 65 S 149/17, u.a. in: Grundeigentum 2017, Seiten 952 f.; LG Köln, Urteil vom 15.04.2016, Az.: 10 S 139/15, u.a. in: ZMR 2016, Seiten 705 f. LG Berlin, Beschluss vom 24.03.2016, Az.: 67 S 59/16, u.a. in: WuM 2016, Seiten 317 f.; LG Berlin, Beschluss vom 09.02.2016, Az.: 67 S 18/16, u.a. in: MDR 2016, Seiten 548 f.; LG Berlin, Beschluss vom 16.07.2001, Az.: 62 T 69/01, u.a. in: Grundeigentum 2001, Seite 1468 LG Hamburg, Beschluss vom 03.02.1998, Az.: 316 T 3/98, u.a. in: WuM 1999, Seite 365) bzw. im Einzelfall sogar bis zu sieben Monaten (LG Berlin, Urteil vom 06.10.2015, Az.: 63 S 51/15, u.a. in: Grundeigentum 2015, Seiten 1532 f.) zu gewähren, um der Räumungsschuldnerin/Mieterin die Suche nach einer geeigneten Ersatzwohnung zu ermöglichen und deren Obdachlosigkeit zu vermeiden (LG Berlin, Beschluss vom 17.07.2017, Az.: 65 S 149/17, u.a. in: Grundeigentum 2017, Seiten 952 f.; LG Köln, Urteil vom 15.04.2016, Az.: 10 S 139/15, u.a. in: ZMR 2016, Seiten 705 f. LG Berlin, Beschluss vom 24.03.2016, Az.: 67 S 59/16, u.a. in: WuM 2016, Seiten 317 f.; LG Berlin, Beschluss vom 09.02.2016, Az.: 67 S 18/16, u.a. in: MDR 2016, Seiten 548f.; LG Berlin, Urteil vom 06.10.2015, Az.: 63 S 51/15, u.a. in: Grundeigentum 2015, Seiten 1532 f. LG Berlin, Beschluss vom 31.10.2000, Az.: 64 T 90/00, u.a. in: Grundeigentum 2001, Seiten 141 f. LG Hamburg, Beschluss vom 03.02.1998, Az.: 316 T 3/98, u.a. in: WuM 1999, Seite 365).

Liegen diesbezüglich aber keine besonderen Umstände – insbesondere keine besonderen Härtegründe – vor, so ist dementsprechend aber grundsätzlich eine Räumungsfrist von 3 Monaten durch das Gericht zu gewähren, damit die Räumungsschuldnerin/Mieterin sich angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen beschaffen kann (LG Berlin, Beschluss vom 31.10.2000, Az.: 64 T 90/00, u.a. in: Grundeigentum 2001, Seiten 141 f. LG Köln, Urteil vom 15.04.2016, Az.: 10 S 139/15, u.a. in: ZMR 2016, Seiten 705 f. LG Berlin, Beschluss vom 24.03.2016, Az.: 67 S 59/16, u.a. in: WuM 2016, Seiten 317 f.; LG Berlin, Beschluss vom 09.02.2016, Az.: 67 S 18/16, u.a. in: MDR 2016, Seiten 548 f.; LG Hamburg, Beschluss vom 03.02.1998, Az.: 316 T 3/98, u.a. in: WuM 1999, Seite 365).

Aus diesen Gründen ist auch der nunmehrigen Beklagten diese Räumungsfrist von drei Monaten hier zu gewähren.”