Aus der Rubrik “Mietenpolitik”:

 

Berliner Zeitung am 03.06.2020 – Interview: Katrin Lompscher: „Man muss auch über Möglichkeiten eines Mietverzichts sprechen“

Die Stadtentwicklungssenatorin über die Folgen der Corona-Pandemie, eine mögliche Fortschreibung des Mietspiegels, die Klagen gegen den Mietendeckel und einen neuen Anlauf zur Reform des sozialen Wohnungsbaus.

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) fordert, dass der Kündigungsschutz für Mieter, die in der Corona-Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten, verlängert wird. Im Interview mit der Berliner Zeitung sagt sie außerdem, warum sie zuversichtlich ist, dass die Klagen gegen den Mietendeckel nicht erfolgreich sind – und wie Mieter auf sogenannte Schattenmieten reagieren sollten, die von manchen Vermietern verlangt werden.

Frau Lompscher, viele Berliner wissen in der Corona-Pandemie nicht, wie sie die Miete bezahlen können. Haben Sie schon einen Überblick, wie viele um eine Stundung der Miete gebeten haben?

Katrin Lompscher: Wir können das nur für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sagen, die ein Informationssystem eingerichtet haben, um die Entwicklung zu beobachten. Zum Glück – muss man sagen – haben sich bisher noch nicht so viele MieterInnen gemeldet. Bei allen sechs Gesellschaften sind es bisher noch weniger als 2000. Ganz bestimmt wirkt sich positiv aus, dass wir die landeseigenen Gesellschaften schon im März angewiesen haben, mit Zahlungsschwierigkeiten von MieterInnen kulant umzugehen. Es gibt aber schon jetzt – und nicht nur bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – Hinweise darauf, dass sich das Problem zuspitzen könnte, je länger der Zustand anhält.

Die von Bundesregierung und Bundestag beschlossene Möglichkeit zur Stundung der Miete hilft zwar für den Moment, aber bis Mitte 2022 müssen die Haushalte die Miete zurückzahlen. Ist das realistisch?

Zunächst mal will ich darauf hinweisen, dass die Stundungsregelung mit einem Kündigungsschutz verbunden ist, der nur bis Ende Juni gilt. Die Bundesregierung muss diesen Schutzzeitraum dringend verlängern. Mindestens, wie ursprünglich gedacht, bis Ende September. Wir haben bisher allerdings keine Signale, dass das geplant ist. Aus meiner Sicht ist es aber extrem dringlich und wichtig, dass das passiert. Der beste Weg für alle Mieterinnen und Mieter ist natürlich, alle Hilfen zu nutzen, um die Miete weiter zu zahlen. Für Wohnungen des freien Marktes gibt es Wohngeld und für den sozialen Wohnungsbau einen Mietzuschuss. Diese Unterstützung in Anspruch zu nehmen, ist immer die Vorzugsvariante vor einer Stundung und einer späteren Rückzahlung, die ja eine weitere Belastung darstellt. Natürlich muss man auch über Möglichkeiten eines Mietverzichts auf Seiten der Vermieter sprechen.

Sind Sie darüber im Gespräch mit großen Vermietern?

Solche Gespräche sind anberaumt. Aber sie haben noch nicht stattgefunden. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis.

Wer im Moment eine neue Wohnung in Berlin sucht, sieht sich nach einer Auswertung des Instituts F + B mit Mietforderungen in Höhe von rund 15 Euro pro Quadratmeter konfrontiert. Was läuft da falsch?

Hohe Angebotsmieten sind kein neues Phänomen und in Zeiten von Wohnungsknappheit auch nicht besonders überraschend. Im Neubau sind solche Mieten leider inzwischen üblich. Man muss aber ganz klar sagen, dass sich solche Angebotsmieten tendenziell nicht realisieren lassen. Jedenfalls in Wohnungen, die bis 2013 errichtet wurden, denn für die gilt der Mietendeckel.

Es gibt jetzt aber Vermieter, die versuchen, den Mietendeckel mit sogenannten Schattenmieten zu umgehen. Um für den Fall vorzusorgen, dass das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kippt. Die Vermieter schreiben eine höhere Miete als laut Mietendeckel erlaubt im Vertrag fest, kassieren zunächst aber nur den zulässigen Betrag. Was können Mieter hier tun?

Dass Schattenmieten in Neuverträge aufgenommen werden, ist unschön und führt zu einer großen Verunsicherung bei den Mieterinnen und Mietern. Das Bundesverfassungsgericht bewertet ein solches Vorgehen, für den Fall einer gerichtlichen Entscheidung, jedoch als rechtlich zulässig. Klar ist aber: der Mietendeckel und die Mietpreisbremse gelten und damit auch die darin vorgesehenen Mietpreisbegrenzungen. Ich rate den Mieterinnen und Mietern in Berlin deshalb: Informieren Sie sich und gehen Sie zur kostenlosen Mieterberatung, die es stadtweit gibt.

Es soll auch Kaufverträge geben, in denen niedrigere Kaufpreise für Wohnhäuser für den Fall vereinbart werden, dass der Mietendeckel vor Gericht Bestand hat.

Ich habe davon gehört. Dass der Mietendeckel nicht nur Mietpreise dämpft, sondern in der Tendenz auch Kaufpreise bremst, liegt auf der Hand.

FDP und CDU haben gerade Klage gegen den Mietendeckel vor dem Landesverfassungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Sie halten ihn, wie viele Vermieter auch, für nicht verfassungskonform. Was ist Ihr stärkstes Argument dafür, dass der Mietendeckel mit der Verfassung vereinbar ist?

Wir haben im Vorfeld verfassungsrechtliche Expertise eingeholt. Das Ergebnis war, dass die Bundesländer, die nach der Föderalismusreform von 2006 die Kompetenz für das Wohnungswesen haben, ein solches Gesetz verabschieden dürfen. Ich bin zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht dies genauso sieht. Das gilt auch für die Frage, ob unser Gesetz den verfassungsrechtlichen Grundsätzen entspricht, also zum Beispiel der Verhältnismäßigkeit und der Geeignetheit. Im Ergebnis unserer Prüfungen haben wir deshalb zum Beispiel eine Härtefallregelung für Vermieter geschaffen. Und die Mietobergrenzen wurden – hochgerechnet mit dem Lebenshaltungsindex bis 2019 – aus dem Mietspiegel 2013 abgeleitet.

Gibt es schon Signale für einen Termin vor dem Bundesverfassungsgericht?

Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat uns bislang nur bis Ende Juli um Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden gegen den Mietendeckel gebeten, die im März eingereicht wurden. Die Normenkontrollanträge von CDU/CSU und FDP, die beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sind, sind noch gar nicht bei uns gelandet, ebenso wenig die Normenkontrollklage der Fraktionen von CDU und FDP aus dem Abgeordnetenhaus vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof. Ich kann deswegen keine Prognose abgeben, wann hier jeweils mit einem Urteil zu rechnen ist.

Was ist mit dem Mietspiegel? Wird es wirklich keinen neuen geben?

Wir überprüfen aktuell, ob und wie wir den Mietspiegel fortschreiben können, da der Mietendeckel ja nicht für alle Wohnungen gilt. Möglicherweise lässt sich ein Mietspiegel zumindest für Teilsegmente des Wohnungsmarktes erarbeiten.

Welche Mieten wollen Sie dem Mietspiegel zugrunde legen? Das dürfen ja nur solche Mieten sein, die sich am Markt frei gebildet haben. Wären das noch die Mietendeckel-Mieten?

Alle Mieten, die eingefroren sind, haben sich ja davor am Markt frei gebildet. Sie könnten die Grundlage bilden, ebenso die Mieten für Neubauwohnungen ab Baujahr 2014, denn die fallen ja nicht unter den Mietendeckel. Die unterschiedlichen Möglichkeiten werden derzeit noch überprüft.

Die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen will mehr als einen Mietendeckel. Sie will über ein Volksbegehren und einen Volksentscheid die Bestände von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin vergesellschaften. Haben Sie Verständnis dafür, dass die Innenverwaltung mehr als 300 Tage nach Übergabe der Unterstützer-Unterschriften noch immer nicht entschieden hat, ob das Volksbegehren zulässig ist?

Da es Sache des Innensenators ist, die Prüfung durchzuführen, liegt es in seinem Ermessen wie lange das dauert. Aber ich habe auch den Eindruck, dass es schon sehr lange dauert. Nicht umsonst hat die Initiative sich ja entsprechend öffentlich positioniert und erwartet, dass sie zügig ein Ergebnis bekommt.

Die Corona-Krise führt dazu, dass Berlin wieder Schulden in Milliardenhöhe machen muss. Ist da eine Vergesellschaftung von rund 240.000 Wohnungen, für die eine Entschädigung gezahlt werden müsste, überhaupt denkbar?

Die Corona-Krise wirft eine Menge Fragen auf, wenn sie aber eines ganz deutlich zeigt, dann, wie wichtig ein bezahlbares Dach über dem Kopf ist.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf den Neubau der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften aus?

Das Baugeschehen wird durch die Corona-Pandemie bisher zum Glück nur wenig beeinträchtigt, läuft aber natürlich auch nicht komplett störungsfrei. Zum einen verzögern sich durch die veränderte Arbeitssituation Planungs- und Abstimmungsvorgänge. Zum anderen gibt es den einen oder anderen Lieferengpass für Materialien. Generell sind die Störungen auf den Baustellen aber geringer als in anderen Bereichen der Wirtschaft. Alle Beteiligten haben großes Interesse daran, das Bauvolumen unverändert zu realisieren und wie geplant zu erweitern. Wir sehen aber die Gefahr, dass es zu Verzögerungen kommen kann.

Lässt sich sagen, wie viele Wohnungen die landeseigenen Unternehmen in dieser Legislaturperiode mit Corona fertigstellen?

Es ist noch zu früh, um wirklich sagen zu können, in welchem Umfang sich die Corona-bedingten Verzögerungen auf die Projekte auswirken werden. Deshalb kann ich derzeit seriös noch keine Zahlen nennen. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass wir bis Ende 2021 mit dem Bau von rund 30.000 Wohnungen begonnen und rund 24.000 fertiggestellt haben werden. Wir müssen beobachten, wie sich die aktuelle Situation weiter entwickelt.

Rot-Rot-Grün hat zu Beginn der Regierungszeit eine Reform des sozialen Wohnungsbaus versprochen. Die Mieten sollten gesenkt und nach dem Einkommen der Mieter gestaffelt werden. Wann kommt die Reform?

Der alte soziale Wohnungsbau ist tatsächlich ein großer Brocken. Die Reform sollte in drei Schritten erfolgen. Die ersten beiden Schritte, zu denen ein Mieterhöhungsstopp und die Erweiterung des Mietzuschusses gehörten, hat die Koalition geschafft. Beim dritten Schritt, der gesetzlichen Neugestaltung, gibt es weiterhin Klärungsbedarf in der Koalition. Es geht im Kern um die Frage, ob von der bisherigen Kostenmiete, in die alle irgendwann im Zusammenhang mit Bau und Finanzierung angefallenen Ausgaben eingeflossen sind, auf eine einkommensorientierte Richtsatzmiete umgestellt werden soll. Wir wollen jetzt einen neuen Anlauf zur gesetzlichen Reform unternehmen, Kostenmieten neu zu bestimmen und zu reduzieren, indem Kosten, die nicht mehr anfallen, nicht mehr angerechnet werden. Der zweite wichtige Effekt wäre, dass die Wohnungen nach dem Ende der Sozialbindung mit niedrigeren Mieten in das Vergleichsmietensystem übergehen. Dadurch könnten wir künftige Mieterhöhungsspielräume verringern.

Neben der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen gibt es derzeit noch eine weitere Initiative zur Wohnungspolitik. Die wirtschaftsnahe Initiative Neue Wege für Berlin hat Unterschriften für den Bau von 12.500 bezahlbaren Wohnungen jährlich gesammelt. Was halten Sie davon?

Mit den Forderungen der Initiative beschäftigt sich zunächst das Parlament, dann wird der Senat eine Stellungnahme abgeben. Die Frage für mich ist, was die Initiative unter bezahlbaren Wohnungen versteht, wieviel Geld sie bereitstellen will und mit welchen Partnern die Wohnungen errichtet werden sollen? Wir stellen für dieses Jahr Mittel zum Bau von 4500 Sozialwohnungen zur Verfügung. Das kostet einen dreistelligen Millionenbetrag, und es ist anspruchsvoll, diese Zielzahlen zu erreichen. Unsere derzeitige Projekt-Pipeline bildet relativ gut das Volumen ab, das auf dem Wohnungsneubaumarkt zu realisieren ist. Wenn man bis zu dreimal mehr machen will, wie die Initiative, muss man auch darstellen, wie das zu schaffen wäre. Darauf bin ich gespannt.

Bezweifeln Sie, dass 12.500 bezahlbare Wohnungen nötig sind?

Nein, ich bezweifle, dass sie möglich sind – unter den jetzigen Rahmenbedingungen.

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/man-muss-auch-ueber-moeglichkeiten-eines-mietverzichts-sprechen-li.84827