Stellt ein Mieterhöhungsverlangen einen Fernabsatzvertrag dar, auf den das Widerrufsrecht des § 312c BGB anwendbar ist?
Die Antwort des Amtsgerichts Spandau (AG Spandau – 5 C 267/15, Urteil vom 27.10.2015) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das AG Spandau in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Nach der von Schmidt-Futterer (Mietrecht, 12. Auflage, Vorb. zu § 535 BGB Rn. 92) vertretenen Auffassung ist § 312 c BGB auf Mietänderungsvereinbarungen nicht anzuwenden. Zwar sei der Fernabsatzvertrag in den die Wohnungsmiete betreffenden Vorschriften (§§ 312 Abs. 3 Nummer 1, Abs. 4, § 312 d Abs. 1) ausdrücklich genannt, die Vorschriften seien allerdings missglückt. Die Regelung des § 312 c sei auf den traditionellen Versandhandel und andere Handelsformen, insbesondere auf den Vertrieb von Waren über das Internet zugeschnitten. Nach den dort üblichen Geschäftsmodellen unterbreite das Unternehmen einer unbestimmten Zahl von Verbrauchern durch Katalog und/oder Übermittlung von sonstigem Werbematerial ein Warenangebot (invitatio ad offerendum). Der Verbraucher gebe unter Verwendung eines Fernkommunikationsmittels ein Kaufangebot ab, das der Unternehmer durch die Zusendung der Ware konkludent annehme. Hier sei es sinnvoll, wenn das Unternehmen dem Verbraucher mit der Ware die nach § 312 d BGB geschuldeten Information übermittle. Bei der Wohnungsmiete sei die Situation gänzlich anders. Hier gebe der Vermieter als Unternehmer ein Angebot ab, das vom Mieter ausdrücklich oder konkludent angenommen werde. Zum anderen werde das jeweilige in Betracht kommende Rechtsgeschäft im Rahmen einer bereits bestehenden Vertragsbindung zwischen vertrauten Partnern geschlossen, wobei der Mieter durch zahlreiche gesetzliche Bestimmungen zusätzlichen Schutz genieße. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Vermieter nach den §§ 558 ff BGB einen gesetzlichen Anspruch auf den Änderungsvertrag habe. Deshalb sei es sachgerecht, die hier angesprochenen Mietänderungsverträge, die im Rahmen eines bereits bestehenden Mietvertrags abgeschlossen werden, vom Anwendungsbereich des § 312 c auszunehmen.
Auch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat es auf Anfrage von Haus & Grund Deutschland für fraglich erachtet, ob der Gesetzgeber die Rechtslage im Falle eines Mieterhöhungsverlangens nach § 558 BGB durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie insoweit ändern wollte, dass dem Mieter ein Widerrufsrecht gemäß §312 g Abs. 1 BGB zusteht (GE 2015, 563).
Auch Medinger (NZM 2015, 185) verneint ein Widerrufsrecht, wenn der Vertragsabschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolge. Ein solches System sei nur dann anzunehmen, wenn der Hauptgegenstand des Vertriebs oder der Dienstleistung, nämlich die Vermietung der Wohnung, im Fernabsatz organisiert ist. Medinger führt aus: “Das Fernabsatzrecht ist aus dem Recht des Versandhandels hervorgegangen. Es betrifft Geschäfte, die sich ihrem Gesamtbild nach als typische Distanzgeschäfte darstellen. Die systematische Realisierung nachträglicher Vertragsänderungen durch Fernkommunikationsmittel – wie etwa die regelmäßige Anpassung an die Vergleichsmiete nach § § 558 ff BGB – reicht daher nicht aus, um den Anforderungen des § 312 c BGB zu genügen.”
Diese Auffassung vertritt auch Rudolf Beuermann in GE 2015, 561 f.
Dieser überzeugenden und am Wortlaut des § 312 c Abs. 1 BGB orientierten Auffassung schließt sich die erkennende Richterin an. Der Begriff “Fernabsatzvertrag” impliziert, dass mit diesem Vertrag etwas “abgesetzt”, also eine Leistungserbringung versprochen wird. Bei einem Mieterhöhungsverlangen setzt aber der Vermieter gar nichts “ab”. Seine Leistung bleibt die gleiche; er fordert dafür lediglich eine höhere Gegenleistung.
Es ist vorliegend unbestritten, dass die Beklagte die Mietverträge nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abschließt. Dies behauptet auch der Kläger nicht. Auch setzt die Beklagte im Rahmen der Geltendmachung eines Mieterhöhungsverlangens nichts “ab”. Ihre Leistung bleibt die gleiche; sie fordert lediglich eine höhere Gegenleistung.
Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger sowohl schriftlich als auch konkludent durch mehrmalige Zahlung des Erhöhungsbetrag dem Mieterhöhungsverlangen zugestimmt hat. Die konkludente Zustimmung durch Zahlung stellt schon kein Fernkommunikationsmittel im Sinne des § 312 c Abs. 2 BGB dar.”
