Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Muss das Jobcenter für eine künstliche Befruchtung zahlen?

Die Antwort des Sozialgerichts Berlin (SG Berlin  – S 127 AS 32141/12, Gerichtsbescheid vom 14.09.2015) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das SG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegen hier nicht vor. Denn bei den begehrten Kosten für eine künstliche Befruchtung handelt es sich zur Überzeugung der Kammer nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis ein Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann.

Kosten für eine künstliche Befruchtung sind schon nicht vom Regelbedarf umfasst, denn dieser umfasst nach § 20 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört zwar auch in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Hiervon sind die Kosten für eine künstliche Befruchtung aber nicht umfasst. Denn es sind nicht, wie die Kläger meinen, gleiche Teilhaberechte an der Gesellschaft wie für Nichtleistungsbezieher zu schaffen, sondern diese Teilhaberechte sind an einen “vertretbaren Umfang” geknüpft. Die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung gehören in Anbetracht der Kosten für eine Behandlung von über 4.000 EUR pro Zyklus (und einem Eigenanteil von über 1.000 EUR bis 2.000 EUR) nicht mehr zu einem vertretbaren Umfang.

Darüber hinaus besteht keine Unabweisbarkeit des geltend gemachten Bedarfs. Unabweisbar kann im Sinne des Grundsicherungsrechts wegen der Subsidiarität dieses Leistungssystems ein medizinischer Bedarf grundsätzlich nur dann sein, wenn nicht die gesetzliche Krankenversicherung oder Dritte zur Bedarfsdeckung verpflichtet sind. Werden Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Behandlung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, kann grundsätzlich ein Anspruch auf eine Mehrbedarfsleistung entstehen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 – Rn. 22, recherchiert unter www.bundessozialgericht.de). Vorliegend handelt es sich aber schon nicht um eine medizinisch notwendige Behandlung im Sinne von § 27 SGB V. Die Kostentragung der Krankenkasse zu 50 % ist daher gesondert in § 27 a Abs. 3 Satz 3 SGB V geregelt. Die gegen diese beschränkte Kostenübernahme der Krankenkassen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 27. Februar 2009 nicht zur Entscheidung angenommen – vgl. Beschluss des BVerfG vom 27. Februar 2009 – 1 BvR 2982/07 – recherchiert unter www.beck-online.de. Nach dieser Entscheidung liegt eine Verletzung des Rechts auf Familiengründung und eines Rechts auf Nachkommenschaft unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG bei nur begrenzter Kostenübernahme nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits dargelegt, dass aus der staatlichen Pflicht zum Schutz von Ehe und Familie keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden könne, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit dem Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Nichts anderes kann für den Träger der Grundsicherungsleistungen gelten.

Unabweisbar ist ein Bedarf außerdem immer nur dann, wenn es sich um einen unaufschiebbaren Bedarf handelt, der erheblich ist, also nicht durch Mittelumschichtungen finanziert werden kann (vgl. von Böttcher/Münder in LPK-SGB II, 5. Auflage, § 24 Rn. 9). Der geltend gemachte Bedarf war und ist nicht unaufschiebbar. Die anteiligen Kosten für eine künstliche Befruchtung durch die Krankenkassen werden, wenn sie übernommen werden, bis zum 40. Lebensjahr für weibliche Versicherte übernommen (Umkehrschluss § 27 a Abs. 3 Satz 1 SGB V). Bei erstmaliger Antragstellung beim Beklagten hatten die Kläger damit mehr als sechs Jahre, heute noch mehr als drei Jahre, um die begehrten Leistungen anzusparen. Wenn das Darlehen – wie beantragt – vom Beklagten gewährt worden wäre, wären die Darlehensansprüche nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ab dem Monat der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent der maßgebenden Regelleistung getilgt worden. Hätten die Kläger diesen Betrag monatlich zurückgelegt, wäre der mit der Klage geltend gemachte Betrag längst angespart und die Fortführung der Klage entbehrlich.”