Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kann es als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass durch ein “Urinieren im Stehen” aufgrund der unvermeidbaren Kleinstspritzer dauerhafte Schäden an einem Marmorboden im Nahbereich einer Toilette drohen?

Die Antwort des Landgerichts Düsseldorf (LG Düsseldorf – 21 S 13/15, Urteil vom 12.11.2015) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das LG Düsseldorf in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. a) aa) (2) wie folgt aus: “(2) Der Beklagten steht kein Schadensersatzanspruch gegen die Kläger für eine Auswechslung der Marmorböden im Bad und Gäste-WC i.H.v. 1.935,90 Euro zu.

Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs der Beklagten nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB (wegen Obhutspflichtverletzung) wäre ein schuldhaftes Handeln der Kläger. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann dahinstehen, ob vorliegend von einer objektiven Pflichtverletzung bzw. von vertragsgemäßem Gebrauch ausgegangen werden kann. Denn die nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gegen die Kläger streitende Vermutung, dass das Verhalten auch schuldhaft erfolgt wäre, ist nach den mit Bindungswirkung (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen jedenfalls widerlegt.

(a) Die Kläger haben, wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt, die Beschädigung des Bodenbelages nicht zu vertreten. Zu vertreten hätten sie gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB eine fahrlässige Schadensverursachung. Gemäß § 276 Abs. 2 handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Fahrlässigkeit setzt Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit der drohenden Tatbestandsverwirklichung voraus (BGH NJW 1963, 1609; BeckOK, BGB/Unberath, BGB, § 276 Rn. 17). Es kommt nach E im Zivilrecht maßgeblichen objektiven Fahrlässigkeitsbegriff darauf an, was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte, ohne Rücksicht darauf, ob der Handelnde nach seinen individuellen Fähigkeiten, Kräften, Erfahrungen und Kenntnissen die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte (BGHZ 80, 186, 193; BGH NJW 2000, 2812, 2813). Das Maß der erforderlichen Sorgfalt richtet sich also nach den durchschnittlichen Anforderungen des in Betracht kommenden Verkehrskreises (BGH, Urteil vom 31.05.1994 – VI ZR 233/93, NJW 1994, 2232; MüKoBGB/Grundmann BGB § 276 Rn. 57).

(b) Unter Berücksichtigung des vorgenannten Sorgfaltsmaßstabs war es für die Kläger als Mieter nicht erkennbar, dass durch das Verhalten des Klägers eine irreparable Beschädigung des Bodenbelages im Bad drohte.

(aa) Das Amtsgericht ist – gestützt auf die Aussage des Zeugen S – in nicht zu beanstandender Weise zu der Feststellung gelangt, dass das konkrete Schadensbild (Marmorböden waren farblich verändert sowie rau und matt) durch regelmäßiges “Urinieren im Stehen” verursacht wurde, da es nur in einem Radius um die Toilette vorkam. Eine Schadensverursachung durch Verwendung säurehaltiger Reinigungsmittel oder durch eine wie auch immer geartete unsachgemäße Reinigung kam damit – wie das Amtsgericht weiter frei von Fehlern angenommen hat – nicht in Betracht, da es bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen erscheint, dass der Bereich in der unmittelbaren Nähe zur Toilette von den Klägern regelmäßig mit anderen Mitteln als der übrige Bodenbereich gereinigt wurde.

Diese Feststellungen des Amtsgerichts erachtet die Kammer als bindend im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, da keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich sind, die Zweifel an ihrer Richtigkeit oder Vollständigkeit – weder hinsichtlich des vom Amtsgericht festgestellten Schadensbildes noch hinsichtlich dessen objektiver Ursache – begründen könnten. Dies gilt sowohl für die Würdigung der eindeutigen Bekundungen des erstinstanzlich vernommenen Zeugen S zum objektiven Schadensbild wie auch für den daraus gezogenen Schluss auf die objektive Schadensursache – Urinieren im Stehen – und schließlich den Ausschluss einer anderen Ursache – unzureichende/unsachgemäße Reinigung.

(bb) Angesichts dieser Feststellungen im angefochtenen Urteil kann – entgegen den Anklängen in der Berufungsbegründung – nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Schaden durch (bewusst oder unbewusst) nicht “zielgerichtetes” Urinieren verursachte, wofür die Kläger hätten einstehen müssen. Hierfür boten sich angesichts der Bekundungen des Zeugen S zum objektiven Schadensbild und auch sonst keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr gelangen nach allgemeiner Lebenserfahrung auch bei “zielgenauem” Urinieren im Stehen jedenfalls Kleinstspritzer im Radius um die Toilette auf den Bodenbelag und sind derartige Urinspritzer jeweils nach E Toilettengang auch nicht ohne weiteres zu erkennen. Im Ergebnis greifen daher die Überlegungen der Beklagten, der Kläger hätte durch ein “sorgfältiges Urinieren im Stehen” Urinspritzer vermeiden bzw. solche jedenfalls nach E Toilettengang erkennen und beseitigen müssen, weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht durch.

(cc) Für die (mangelnde) Erkennbarkeit der Schadensverursachung war vorliegend entscheidend, dass die Kläger in Ermangelung einer ausreichenden Aufklärung über die in erster Instanz ebenfalls beanstandungsfrei getroffene Feststellung, es handele sich bei E im streitbefangenen Bad und Gäste-WC verlegten Marmorboden um einen besonders (säure-)empfindlichen Bodenbelag, nicht damit rechnen mussten, dass das “Urinieren im Stehen” zu einer erheblichen Beschädigung der Mietsache führen werde. Insbesondere kann nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass durch ein “Urinieren im Stehen” aufgrund der unvermeidbaren Kleinstspritzer dauerhafte Schäden für einen Marmorboden im Nahbereich einer Toilette drohen. Daher konnte auch offenbleiben, mit welcher Frequenz die Kläger den Boden im Bad gereinigt haben. Eine bestimmte Frequenz konnte von ihnen in Ermangelung von Kenntnissen über die besondere Empfindlichkeit des Bodenbelages und entsprechende Pflegehinweise nicht erwartet werden.

Ein solcher Hinweis der Beklagten wäre nach den weiter nicht zu beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts auch zu erwarten gewesen. So hat das Amtsgericht, wie bereits dargelegt wurde, frei von Rechtsfehlern gestützt auf die Aussage des neutralen Zeugen S festgestellt, dass der Bodenbelag eine besondere Empfindlichkeit aufweise, da der Zeuge klar bekundet hat, dass er bei Verlegung vergleichbarer Böden regelmäßig besondere Pflegehinweise erteile. Die Beklagte war als Vermieterin, die das Instandhaltungsrisiko an der Mietsache grds. trägt, deswegen auch gehalten einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, ist das Urinieren in einer aufrechten Körperhaltung bei männlichen Personen nicht unüblich. Wenn die Beklagte einen Boden vermietet, der bei einem nicht unüblichen Mieterverhalten dauerhaft und erheblich beschädigt wird, ohne auf das entsprechende Risiko, was sich E Kläger – wie bereits dargelegt wurde – auch nicht aufdrängen musste, aufmerksam zu machen, fallen die entstandenen Schäden in ihre Risikosphäre. Anders verhielte es sich bei einer durch Verrichtung des Toilettengangs regelmäßigen Verursachung größerer und sichtbarer Urinansammlungen außerhalb des Toilettenbeckens, über die vorliegend aber nicht zu befinden war.

(c) Die Rüge der Beklagten, dass die Kläger – erstinstanzlich – gar nicht vorgetragen hätten, dass der Kläger regelmäßig stehend uriniert habe, verfängt nicht. Das Amtsgericht durfte davon ausgehen, dass sich die Kläger diesen für sie günstigen Umstand, der erst in der Beweisaufnahme im Termin vom 09.12.2014 aufkam, zu eigen gemacht haben. Denn sind bei einer Beweisaufnahme Umstände zu Tage getreten, die die Rechtsposition einer Partei zu stützen geeignet sind, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die begünstigte Partei sich diese Angaben hilfsweise zu eigen macht (BGHNJW 2006, 63, 65; BeckOK ZPO/Bacher ZPO § 285 Rn. 2). Schließlich haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer auch ausdrücklich klargestellt, dass sie sich die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil insoweit zu eigen machen.”