Aus der Rubrik “Wissenswertes”:     

Macht sich ein Mieter einer Beleidigung schuldig, wenn er in einem Schreiben bezüglich seiner Vermieter die Formulierung “entsprechend der verdorbenen charakterlichen Natur der beiden Q-Brüder” verwendet?

Die Antwort des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm – 5 RVs 55/15, Beschluss vom 07.05.2015) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das OLG Hamm in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. a) wie folgt aus: “a) Die vom Angeklagten verwendete Bezeichnung “entsprechend der verdorbenen charakterlichen Natur der beiden Q-Brüder” fällt unter den Tatbestand des § 185 StGB. Es handelt sich um eine ehrverletzende Äußerung, die eine persönliche Kränkung und Schmähung des Verletzten zum Ausdruck bringt.

Hierbei werden die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik nicht verkannt.

Zwar ist der Begriff der Schmähkritik wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng zu definieren, weshalb auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung macht. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Nur dann kann im Sinne einer Regelvermutung ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss], NJW 2014, 3357, 3358 m. w. Nachw.).

Aber auch vor dem Hintergrund dieser engen Vorgaben ist im vorliegenden Fall die Grenze des Hinzunehmenden überschritten. Der Angeklagte hat mit der von ihm gewählten Formulierung eindeutig den Charakter und damit die Person des Anzeigeerstatters selbst diffamiert. Im Ergebnis sind dem Anzeigeerstatter die persönlichen Kompetenzen, die die Voraussetzung für ein moralisches Handeln bilden, abgesprochen worden. Seine persönliche Integrität und auch die Fähigkeit, das eigene Verhalten nach allgemein anerkannten moralischen Maßstäben auszurichten, wurden in Gänze in Abrede gestellt. Der Versuch des Angeklagten, die Bedeutung des Wortes “verdorben” nunmehr dadurch zu relativieren, dass als Synonym das Wort “unanständig” herangezogen wird, schlägt fehl. Unabhängig davon, dass auch die Bezeichnung als “unanständig” geeignet ist, den Charakter und damit die Persönlichkeit des Anzeigeerstatters zu diffamieren, werden üblicherweise als Synonym zu “verdorben” die Wörter “unmoralisch”, “sittenlos” oder auch “schamlos” verwendet. Unter allen Bezeichnungen wird eine persönliche Kränkung des Anzeigeerstatters herbeigeführt, die eine besondere Abwertung seiner Person zum Ausdruck bringt.

Der Senat hat dabei – wie auch das Landgericht – nicht übersehen, dass im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vor Gericht eine scharfe Sprache angebracht sein kann. Im “Kampf um das Recht” müssen durchaus starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte hingenommen werden (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss], NJW 1988, 191, 193; BGH, NJW 1988, 1099; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 5, 7). Dies gilt auch für den Fall, dass ein Anwalt – wie hier – in eigener Sache tätig wird. An ihn dürfen keine höheren Anforderungen gestellt werden als an andere im Rahmen der anwaltlichen Wahrnehmung von Mandanteninteressen (vgl. KG, JR 1988, 523; Lencker/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 193 Rdnr. 22). Hinsichtlich der Bewertung von Werturteilen gilt, dass es zwar zulässig ist, wenn der Anwalt in einem Schriftsatz aus der im Einzelnen aufgelisteten sachlichen Kritik ehrenrührige Schlussfolgerungen zieht, jedoch darf hiermit keine zusätzliche Abwertung des Betroffenen einhergehen und zum Ausdruck gebracht werden (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O.; Lencker/Eisele, a. a. O.). Letzteres ist indes im vorliegenden Fall geschehen. Der Angeklagte hat mit der von ihm gewählten Formulierung, die auch nicht als bloß polemische oder ironisierende Äußerung eingeordnet werden kann, die Grenzen einer sachlichen Auseinandersetzung vor Gericht überschritten. Der Hinweis auf eine “verdorbene charakterliche Natur” des Vermieters bzw. seines anwaltlichen Vertreters lässt keinen Sachzusammenhang zu miet- oder vollstreckungsrechtlichen Fragen erkennen. Die eigene Rechtsposition ist hierdurch in keiner Weise argumentativ untermauert worden. Der Angeklagte hat das Verfahren lediglich zum Anlass genommen, die Betroffenen persönlich zu kränken.

Die vorstehenden Ausführungen gelten auch vor dem Hintergrund, dass der Adressatenkreis des Schriftsatzes vom 04. Dezember 2013 überschaubar geblieben ist.

Hinzu kommt, dass die Äußerung nicht etwa im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erfolgt ist – weshalb an den Begriff der Schmähkritik noch strengere Anforderungen zu stellen wären (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss], NJW 2009, 3016, 3018) -, sondern im Rahmen einer rein privaten Auseinandersetzung.”