Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist ein Plattenbau nach längerem Leerstand umfassend und aufwändig kernsaniert worden und erreichen die Sanierungskosten die Kosten eines Neubaus, sind dann die dabei neu errichteten Wohnungen in eine jüngere Baualtersklasse des Potsdamer Mietspiegels einzuordnen?

Die Antwort des Landgerichts Potsdam (LG Potsdam – 13 S 26/14, Urteil vom 25.09.2015) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das LG Potsdam in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 3. b) aa) bis bb) wie folgt aus: “b) Im Ergebnis zutreffend hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil das im Mieterhöhungsverlangen genannte Rasterfeld B 17 des Mietspiegels 2012 für die Baualterklasse 1991 bis 2012 zugrunde gelegt.

aa) Zwar ist das Gebäude, in dem sich die Mietwohnung des Beklagten befindet, bereits in den 1970er Jahren errichtet worden. Hieraus folgt jedoch nicht generell, dass eine Wohnung stets in die Baualtersklasse einzuordnen ist, in der das Gebäude erstellt wurde. Diese Wertung kann insbesondere nicht dem Mietspiegel der Stadt Potsdam 2012 entnommen werden. Denn der Mietspiegel führt in seiner Anmerkung zum Vergleichsmerkmal “Beschaffenheit” aus, dass die Beschaffenheit einer Wohnung im Mietspiegel durch das Baualter der Wohnung dargestellt wird und nicht “zwingend durch das des Gebäudes”. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen der Landeshauptstadt Potsdam vom 15. Januar 2015, so dass für die Zuweisung einer Wohnung in ein bestimmtes Rasterfeld eine Anknüpfung an das Jahr der Errichtung bzw. der Bezugsfertigkeit der Wohnung möglich ist.

Es ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass das Baualter der Wohnung auch nach einer Modernisierung maßgeblich ist (vgl. LG München I ZMR 2012, 626; LG Berlin NZM 1999, 172; AG Wedding GE 2012, 958; AG Lichtenberg GE 2014, 875; Schmidt-Futterer/Börstinghaus a.a.O. § 558 Rn. 84). Eine Erfassung der Daten der Vergleichswohnung in der Baualtersklasse der Zeit der Modernisierung ist jedoch anerkannt und kommt dann in Betracht, wenn mit ihrer Bezugsfertigkeit auch rechtlich ein Neubau vorliegt (vgl. LG Frankfurt/M ZMR 2014, 362; LG Frankfurt/M WuM 2012, 318; LG Hamburg ZMR 2011, 469; aA LG München I ZMR 2012, 626 bei Kernsanierung eines bewohnten und bewohnbaren Hauses; AG Lichtenberg GE 2014, 875). Hierzu können die Bestimmungen des Wohnungsförderungsgesetzes (WoFG) herangezogen werden. Dort ist zwar nur der öffentlich geförderte Wohnungsbau geregelt, jedoch sind die Begriffsbestimmungen des Gesetzes aber auch sonst zu Grunde zu legen. Gemäß § 16 Abs. 1 WoFG ist Wohnungsbau (1) das Schaffen von Wohnraum in einem neuen selbstständigen Gebäude, (2) die Beseitigung von Schäden an Gebäuden unter wesentlichem Bauaufwand, durch die die Gebäude auf Dauer wieder zu Wohnzwecken nutzbar gemacht werden, (3) die Änderung, Nutzungsänderung oder Erweiterung von Gebäuden, durch die unter wesentlichem Bauaufwand Wohnraum geschaffen wird, oder (4) die Änderung von Wohnraum unter wesentlichem Bauaufwand zur Anpassung an geänderte Wohnbedürfnisse.

In diesem Sinne ist Wohnraum nicht auf Dauer nutzbar, wenn ein zu seiner Nutzung erforderlicher Gebäudeteil zerstört ist oder wenn sich der Raum oder der Gebäudeteil in einem Zustand befindet, der aus bauordnungsrechtlichen Gründen eine dauernde, der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung nicht gestattet. Einschränkend hierzu wird die Auffassung vertreten, dass bei Wiederaufbau in identischer Bauweise wie das ursprünglich zerstörte Haus die ursprüngliche Baualterklasse ebenso weiter gilt (so AG Wedding GE 2012, 958; AG Köpenick GE 2015, 660), wie in dem Fall der Kernsanierung eines noch bewohnten und bewohnbaren Mehrfamilienhauses (so LG München I ZMR 2012, 626).

Eine Erweiterung im Sinne des Gesetzes liegt dann vor, wenn eine Aufstockung oder ein Anbau erfolgt, wobei eine Höherstufung in eine jüngere Baualtersklasse dann angenommen wird, wenn zum Beispiel das Gebäude mit den Räumen vor der Sanierung längere Zeit leer gestanden hat und die Räume unbewohnbar waren und erhebliche Arbeiten zu einer umfassenden Neugestaltung der Räume zu Wohnzwecken erfolgt ist.

bb) So verhält es sich hier.

Nach den Ausführungen des Amtsgerichts aufgrund der Bekundung des für das Bauvorhaben verantwortlichen Architekten, des Zeugen W. , sowie den seitens des Klägers zur Gerichtsakte gereichten Baubeschreibungen, befand sich das Gebäude mit den dort vorhandenen Räumen nach Freizug durch die russischen Truppen vor Baubeginn in einem nicht mehr zu Wohnzwecken geeigneten Zustand. Die gesamte Sanitär-, Elektro- und Heizungsinstallation war nicht mehr vorhanden. Aufgrund des jahrlangen Leerstandes waren das Mauerwerk und die Einrichtungen dem Vandalismus preisgegeben, wie allein schon die zur Akte gereichten Kopien von Fotografien am Beispiel zerschlagener Fensterscheiben, herausgerissener Fensterrahmen und teils nicht mehr vorhandenen Haus- und Wohnungstüren und entfernter Heizkörper zeigen.

Demgegenüber ist, wie dies dem unstreitigen Sachvortrag zu entnehmen ist, der de facto als Rohbau hinterlassene Baukörper durch die Baumaßnahmen vollständig neu gestaltet worden. Die vollständige Sanierung und Modernisierung des Gebäudekörpers umfasste die Neugestaltung der Fassaden, die einen Vollwärmeschutz in Form eines Wärmeverbundsystems mit Vor- und Rücksprüngen erhielten. Die Kellerwände wurden mit einem Vollwärmeschutz aus extrudierten Dämmplatten im Spritzwasserbereich versehen. Die Sanitär-, Elektro- und Heiztechnik wurden erstmals nach dem Stand der Technik im Jahr 1998 neu eingebaut. Fenster- und Balkontüren wurden als Kunststofffensterkonstruktionen mit einer Zwei-Scheiben-Isolierverglasung mit einem K-Wert 1,6 eingebaut. Weiterhin erhielten die Wohnungen neue Bäder mit Sanitäreinrichtungen. Ebenso wurden die Küchen neu errichtet und als Einbauküchen gestaltet. Heizungsstränge wurden mit neuer Heizungstechnik und mit einem Anschluss an das Fernwärmenetz neu eingebaut. Darüber hinaus sind Umbauten dergestalt ausgeführt worden, dass die Statik des Gebäudes verändert und durch neue Wohnraumzuschnitte neuer Wohnraum als Standard- und Maisonettwohnungen in Form von 2- und 4-Raum-Wohnungen mit Wohnflächen zwischen 48 m² bis 79 m² neu geschaffen sind.

Der hierfür notwendige Bauaufwand mit > 1.300,00 DM/qm pro Wohnung liegt damit über dem üblichen Sanierungsaufwand und erreicht ca. 1/3 des für eine Neubauwohnung erforderlichen Aufwandes, was allgemein im Rahmen des § 16 Abs. 1 WoFG für eine neue Wohnung im rechtlichen Sinne anerkannt ist (BGH, Beschl. v. 10.08.2010 – VIII ZR 316/09 – WuM 2010, 679 = MietPrax-AK § 16 WoFG Nr. 1; BVerwG, Urt. v. 26.08.1971 – VIII C 42.70 – ZMR 1972, 87; LG Berlin, Urt. v. 26.11.2004 – 63 S 263/04 – Grundeigentum 2005, 307, 309; LG Berlin, Urt. v. 24.02.1998 – 64 S 219/97NZM 1999, 1138; LG Berlin, Urt. v. 26.06.1998 –63 S 2/98 – MM 1998, 310, 312).

Erreicht somit der Baukostenaufwand die Kosten eines Neubaus, ist es sachlich gerechtfertigt, eine Höherstufung der Wohnung in eine jüngere Baualtersklasse vorzunehmen. Dies ist in der Rechtsprechung im Übrigen dann anerkannt, wenn in einer vor der Sanierung längere Zeit leer stehenden und unbewohnbaren Wohnung die Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten folgende Arbeiten (vgl. so bereits LG Mannheim, MDR 1996, 1007; LG Frankfurt am Main, WuM 2012, 318; LG Frankfurt am Main, ZMR 2014, 362; siehe hierzu im Einzelnen Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 12. Auflage (2015), § 558 Rn. 84 ff., 85, 86 mit zahlreichen Nachweisen) umfassen:

– Sanierung der Elektroinstallation durch Neuverlegung aller Stromleitungen einschließlich der Leerrohre, Lichtschalter und Steckdosen in allen Räumen und der Versorgungsleitungen für Küchengeräte,

– Neuinstallation der Abwasserkanalleitungen und der Wärme- und Kaltwasserleitungen,

– Neueinbau sämtlicher Wohnungstüren, der Wohnungs- und Hausabschlusstür,

– Neuinstallation der Briefkastenanlage im Erdgeschoss sowie

– Ausbesserung und Reinigung der Fassade und Neuverputzung der Innenseiten sämtlicher Außenwände.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Höherstufung der Wohnung in eine jüngere Baualtersklasse ist zudem nach Auffassung der Kammer auch deshalb gerechtfertigt, weil die Wohnung durch die Sanierung erstmals hergestellt worden ist.”