Aus der Rubrik “Wissenswertes”:             

Sind starke Lärmbelästigungen durch tägliche Bauarbeiten von 7-18 Uhr mit Bohr-, Säge- und Presslufthammerarbeiten, lautstarkes Vibrieren und knallende Geräusche Immissionen, die der Mieter im Rahmen von Modernisierungsarbeiten dulden muss?

Die Antwort des Amtsgerichts Bremen (AG Bremen – 6 C 186/16, Urteil vom 23.06.2016) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das AG Bremen in seiner vorgenannten Entscheidung unter I. 1. wie folgt aus:

“a. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB, denn die Verfügungskläger sind in ihrem Besitz widerrechtlich gestört.

aa. Eine Besitzstörung entfällt nicht schon deswegen, weil die von der Verfügungsbeklagten beabsichtigten Arbeiten nicht, oder jedenfalls nur zu einem ganz geringen Teil (Erneuerung der Fenster), in der von den Verfügungsbeklagten gemieteten Wohnung durchgeführt werden sollen. Zwar beschränkt sich der in jeder Hinsicht geschützte Besitz des Mieters im Sinne des § 854 BGB vor allem auf die ihm zur alleinigen Nutzung überlassenen Gebäudeteile und damit im Wesentlichen auf die Wohnung und deren Zugang, Kellerräume und sonstige etwa zur Mietsache zugehörige Räumlichkeiten (vgl. KG Berlin v. 20.08.2012 – 8 U 168/12, GE 2012, 1561). Trotzdem ist der Besitzschutz nicht ausschließlich auf Arbeiten in den Wohnräumen des Mieters beschränkt, sondern bezieht sich grundsätzlich auf alle Maßnahmen, die den Mietgebrauch beeinträchtigen (vgl. Lehmann-Richter, NZM 2011, 572 m.w.N.). Die widerrechtliche Beeinträchtigung muss sich allerdings direkt auf den geschützten alleinigen Besitz beziehen und unmittelbar auf ihn einwirken, was z.B. durch das Eindringen von Immissionen in die Wohnung denkbar ist. Als Störung im Sinne des § 854 BGB sind daher nur erhebliche Beeinträchtigungen, insbesondere solche im Sinne des § 906 BGB anzusehen (BGH, Urteil vom 12.12.2003 – V ZR 180/03, NJW 2004, 775; analog für Besitzer untereinander: BGH v. 14.04.1954 – VI ZR 35/53, JZ 1954, 613; Joost in: Münchener Kommentar, 6. Auflage 2013, § 858 Rn. 5). Denn die §§ 906 ff. BGB als eigentumsbeschränkende Regelungen geben die Kriterien für die Grenzen der Duldungspflicht vor (BGH, Urteil vom 12.12.2003 a.a.O) und können gesetzeshistorisch als allgemeine entwicklungs- und ausbaufähige Elemente eines privatrechtlichen, ökologische Gesichtspunkte integrierenden Umweltschutzrechts angesehen werden (Säcker in Münchener Kommentar a.a.O., § 906 Rn. 19 m.w.N.). Sie sind daher über das Verhältnis zwischen Eigentümern hinaus auch zugunsten des Besitzers anwendbar (BGH v. 23.02.2001 – V ZR 389/99, WM 2001, 999).

bb. Eine direkte Störung der Verfügungskläger in deren ungestörter Besitzausübung ist vorliegend nach diesen Maßstäben derzeit gegeben und auch für die Zukunft zu besorgen.

Die Verfügungskläger haben dargelegt, dass die von der Verfügungsbeklagten bereits begonnenen Modernisierungsarbeiten unter Einsatz von Bohrern, Sägen, Presslufthämmern, Betonmischmaschinen und eines großen Krans in ihrer Wohnung zu einer starken Lärmbelästigung führen, die auch mit Ohrstöpseln nicht ausgesperrt werden kann. Sie haben weiter dargetan, dass die Arbeiten durch ständig wiederkehrendes begleitet werden und dass ein Fortbestehen dieser Lärmbelästigung während der Dauer der Modernisierungsmaßnahme ernsthaft zu befürchten ist, da eine entsprechende Maßnahme bereits bei einem benachbarten Haus der Verfügungsbeklagten durchgeführt wurde und zu erheblicher Lärmentwicklung geführt hat. Bei dieser Lärmbelästigung handelt es sich um eine Immission im Sinne des § 906 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem ist die Verfügungsbeklagte nicht entgegengetreten.

cc. Die Verfügungskläger haben diese Störung nicht zu dulden.

(1) Dafür, dass die Beeinträchtigungen nur unwesentlich im Sinne des § 906 Abs. 1 S. 1 BGB und deswegen von den Verfügungsklägern zu dulden sind wäre die Verfügungsbeklagte darlegungs- und beweispflichtig (BGH, Urteil vom 16.10.1970 – V ZR 10/68, WM 1970, 1460); Unsicherheiten bei der Beurteilung der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der Störung gehen mithin zu ihren Lasten (vgl. BGH, Urteil vom 08.10.2004 – V ZR 85/04, NVwZ 2005, 116). Die Verfügungsbeklagte hat sich hierzu nicht eingelassen. Es ist vorliegend auch nicht offensichtlich, dass die Beeinträchtigung – angesichts der täglichen Dauer und der beschriebenen Intensität sowie der voraussichtlichen Dauer der Modernisierungsmaßnahme bis September 2016 – unwesentlich ist, zumal jedenfalls hinsichtlich des Verfügungsklägers zu 2) auch dessen konkrete Lebensführung, nämlich die Nachtarbeit und das resultierende Schlafbedürfnis am Tage, in die Bewertung einzustellen ist (vgl. Säcker in: Münchener Kommentar a.a.O., § 906 Rn. 64). Im Gegenteil haben die Verfügungskläger vorgetragen, der Lärm in ihrer Wohnung sei selbst mit Ohrschutz unerträglich. Bei einer solchen Geräuschbelästigung besteht auch die nicht fernliegende Möglichkeit eines Verstoßes gegen öffentlich-rechtliche Lärmschutzvorschriften, welche die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung zumindest indizieren würde.

(2) Die Verfügungsbeklagten haben die Beeinträchtigungen, deren Unterlassung sie verlangen, auch nicht deswegen zu dulden, weil die Unterlassung für die Verfügungsbeklagte wirtschaftlich unzumutbar im Sinne des § 906 Abs. 2 S. 1 BGB wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Verfügungsbeklagte den Verfügungsklägern selbst vorprozessual genau das angeboten hat, was sie nunmehr im Wege der einstweiligen Verfügung begehren. Dieses Angebot hätte sie nicht gemacht, wenn es ökonomisch unzumutbar gewesen wäre.

(3) Ob die Verfügungskläger hinsichtlich der Modernisierungsmaßnahmen eine Duldungspflicht gem. § 555 d BGB trifft, kann dahingestellt bleiben. Der sich aus § 555 d Abs. 1 BGB ergebende Duldungsanspruch ist allein schuldrechtlicher Natur und kann dem auf Schutz des bestehenden Besitzes gerichteten Anspruch der Verfügungskläger nicht entgegengehalten werden, § 863 BGB (LG Berlin, Urteil vom 04.10.2013 – 65 T 142/13; Blank/Börstinghaus-Blank, 4. Auflage 2014, § 555a Rn. 42).

cc. Allerdings können die Verfügungskläger Unterlassung nur soweit verlangen, als sie durch die Bauarbeiten im Besitz an ihrer Wohnung gestört sind. Daraus ergibt sich die aus dem Tenor ersichtliche Einschränkung des Antrages und die teilweise Zurückweisung des Antrags.”