Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist bereits der aktuelle Mietspiegel zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranzuziehen, wenn dem maßgeblichen Mieterhöhungsverlangen noch ein anderer Mietspiegel zugrunde liegt, als er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung relevant ist?

Die Antwort des Landgerichts Aachen (LG Aachen – 2 S 30/16, Urteil vom 22.12.2016) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Aachen in seiner vorgenannten Entscheidung unter I. 1. bis 2. wie folgt aus: “1. Die hier allein relevante rechtliche Frage, welcher Mietspiegel zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranzuziehen ist, wenn dem maßgeblichen Mieterhöhungsverlangen noch ein anderer Mietspiegel zugrunde liegt, als er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung relevant ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet.

a) Die – soweit ersichtlich – einzige obergerichtliche Entscheidung zu diesem Themenkomplex stammt vom Kammergericht in Berlin (Urteil vom 12.11.2009 – U 8 U 106/09). Danach entfaltet ein späterer Mietspiegel grundsätzlich keine Relevanz für die Berechtigung eines vorangegangenen Mieterhöhungsverlangens, wenn der Erhebungsstichtag des neuen Mietspiegels zeitlich nach dem Zugang des maßgeblichen Mieterhöhungsverlangens liegt. Diese Entscheidung wird damit begründet, dass es keine verlässlichen Kriterien für eine eigenständige Rückrechnung der Daten eines späteren Mietspiegels auf den Stichtag des Mieterhöhungsverlangens gibt. Dieses Urteil des Kammergerichts macht bereits zweierlei deutlich: Zum einen kommt es auf frühere, möglicherweise abweichende Entscheidungen des Landgerichts Berlin nicht an, weil durch die Entscheidung von 2009 insoweit eine Klärung herbeigeführt worden ist. Zum anderen wird klar, dass die Entscheidung der hier zu beurteilenden Rechtsfrage nicht nur von einem, sondern von zwei Stichtagen und ihrem Verhältnis zueinander abhängig ist. Dabei geht es um den Tag des Zugangs des Mieterhöhungsverlangens, wobei unstreitig ist, dass für diesen Tag die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu bestimmen ist. Andererseits ist aber auch relevant, bis zu welchem Stichtag die Daten für den späteren, aktuelleren Mietspiegel erhoben worden sind. Aus dem Verhältnis dieser Stichtage ergibt sich letztlich die Maßgeblichkeit des früheren oder des späteren Mietspiegels.

b) Dieser Judikatur schließt sich Schüller, in: Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand: 01.02.2016, § 558a Rn. 19, an. Er ergänzt, der maßgebliche Erhebungsstichtag liege immer einige Monate vor der Veröffentlichung des späteren Mietspiegels.

c) Die Kommentierung von Börstinghaus (in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Aufl. 2015, § 558d Rn. 46) steht auf dem Standpunkt, es sei in jedem Fall der spätere Mietspiegel heranzuziehen, weil er die bessere Erkenntnisquelle für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete darstelle; allein dies sei auch die Aufgabe der entscheidenden Gerichte, und nicht etwa die Überprüfung der Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens. Gleichwohl schränkt Börstinghaus diese sehr pauschale Aussage wieder ein, wenn er im letzten Satz der zitierten Fundstelle doch darauf abstellt, ob “der neue Mietspiegel die relativ bessere Erkenntnisquelle darstellt”. Vor diesem Hintergrund erscheint die Auffassung von Börstinghaus als in sich selbst nicht ausreichend konsistent. Jedenfalls lässt sich die mit derselben Fundstelle belegte abweichende Ansicht der Beklagten, es sei immer derjenige Mietspiegel relevant, in dessen Anwendungsbereich der Zugang des Mieterhöhungsverlangens Falle, mit diesem Zitat aus Sicht der Kammer nicht begründen.

d) Eine vermittelnde, grundsätzlich materiell orientierte Position vertritt Emmerich (in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 558c Rn. 17). Danach bestehen keine Bedenken gegen die Verwertung eines neuen Mietspiegels, sofern dieser Aussagen für den in Rede stehenden Zeitraum enthält, weil nämlich sein Datenmaterial diesen Zeitraum mit umfasst. Derselben Auffassung ist Artz, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 558c Rn. 10, der darauf abstellt, ob der spätere Mietspiegel tauglichere Informationen für die Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete bereithält.

2. Für den vorliegenden Fall bedarf es keiner Entscheidung zwischen diesen Auffassungen. Denn sie alle führen im hier zu beurteilenden Sachverhalt zu demselben Ergebnis, nämlich der Anwendbarkeit des Mietspiegels der Stadt Aachen für das Jahr 2015.

a) Dies liegt zum einen daran, dass letztlich alle dargestellten Positionen unter Einschluss der Entscheidung des Kammergerichts vom 12.11.2009 auf der einen und der Auffassung von Börstinghaus auf der anderen Seite des Spektrums letztlich doch auf die Frage abstellen, ob die für den späteren Mietspiegel ausgewerteten Daten Aussagekraft besitzen für die ortsübliche Vergleichsmiete bei Zugang des Mieterhöhungsverlangens. Das ergibt sich für die Entscheidung des Kammergerichts aus deren Begründung, die auf die Unmöglichkeit einer Rückrechnung der Daten des späteren Mietspiegels abstellt und diese damit sehr wohl grundsätzlich für relevant hält. Für die Position von Börstinghaus ergibt sich die hier getroffene Einschränkung bereits aus dem diesbezüglich schon Ausgeführten.

b) Zum anderen zeichnet sich der vorliegende Fall durch die Besonderheit aus, dass das streitgegenständliche Mieterhöhungsverlangen vom 26.11.2014 stammt und damit sehr kurz vor der zeitlichen Geltung des Mietspiegels 2015 zugestellt wurde. Für diesen wurden aber nach dem zwar neuen, aber unbestrittenen und deshalb auch im Berufungsverfahren maßgeblichen Vortrag der Klägerin Daten erhoben “bis etwa Mitte Dezember 2014″ (Berufungserwiderung vom 08.06.2016, Seite 2, letzter Absatz). Vor diesem Hintergrund hat die Kammer keine Zweifel, dass die für den Mietspiegel 2015 erhobenen und ausgewerteten Daten auch bzw. schon die ortsübliche Vergleichsmiete bei Zugang des Mieterhöhungsverlangens zutreffend abbilden. Dies wäre erst recht der Fall, wenn die in Rede stehende Datenerhebung, für welche der Stichtag im Mietspiegel der Stadt Aachen leider nicht angegeben wird, deutlich früher abgeschlossen worden wäre. Eine Konstellation, in der mit der Rechtsprechung des Kammergerichts die Datenerhebung für den zeitlich späteren Mietspiegel keine Aussagekraft für die maßgebliche Miete zum (deutlich) früheren Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens haben könnte, ist im hier zu beurteilenden Einzelfall wegen der zeitlichen Nähe von Mieterhöhungsverlangen und Geltungsbeginn des neueren Mietspiegels nicht vorstellbar.”