Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Rechtfertigt eine in unmittelbarer Nachbarschaft zur Mietwohnung betriebene Großbaustelle wegen der typischerweise mit solchen Baumaßnahmen verbundenen Lärm- und Schmutzimmissionen eine Mietminderung in Höhe von 15%, wenn sich allein die Baumaßnahmen im Außenbereich über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hinziehen?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 18 S 211/16, Urteil vom 07.06.2017) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1. bis 2. wie folgt aus: “1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511517519520 ZPO.

2. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn das Amtsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die von den Baumaßnahmen im Außenbereich ausgehenden Störungen gemäß § 536 BGB zu einer Minderung der Miete von 15% führen. Dabei bestehen gegen die aus § 256 ZPO folgende Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens auch insoweit keine Bedenken, als der Kläger es auf die im Zeitpunkt der Klageeinreichung am 30. Oktober 2015 bereits verstrichenen Monate September und Oktober 2015 erstreckt. Die Klage kann, schon wegen der Möglichkeit einer Aufrechnung im Dauerschuldverhältnis, auch ohne Zahlungs-Zwangsvollstreckung zur endgültigen Befriedigung des Klägers führen, sodass ein Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage der Zulässigkeit nicht entgegen steht.

Eine wie hier auf der gegenüber liegenden Straßenseite, also in unmittelbarer Nachbarschaft zur Mietwohnung, betriebene Großbaustelle des vorliegenden Umfangs rechtfertigt nach Auffassung der Kammer wegen der typischerweise mit solchen Baumaßnahmen verbundenen Lärm- und Schmutzimmissionen jedenfalls dann eine Mietminderung der vorliegend beanspruchten Höhe, wenn sich allein die Baumaßnahmen im Außenbereich über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hinziehen.

a) Allerdings soll nach den Vorgaben der “Bolzplatzentscheidung” (BGH – VIII ZR 197/14-, Urt. v. 29.04.2015, BGHZ 205, 177 ff.) eine Mietminderung wegen nicht durch den Vermieter veranlassten Störungen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen, entsprechend § 906 BGB nur dann in Betracht kommen, wenn dem Vermieter seinerseits gegenüber dem für das Nachbargrundstück Verantwortlichen Unterlassungs- oder Ausgleichsansprüche zustehen. Dieser Beurteilungsmaßstab soll nach dem Leitsatz zu 3. der Entscheidung Anwendung finden, wenn nach Abschluss des Mietvertrages Änderungen im Wohnumfeld eintreten, die zu erhöhten Geräuschimmissionen führen und die Mietvertragsparteien besondere Abreden zur Lärmbelastung im Mietvertrag nicht getroffen haben. Beide Voraussetzungen sind hier gegeben.

Die Kammer hält das Anliegen des Bundesgerichtshofs, den Wohnungsmieter nach dem Maßstab des § 906 BGB an der Situationsgebundenheit des Grundstücks teilhaben zu lassen, nur auf den ersten Blick für überzeugend. Der anzuwendende Maßstab des § 906BGB führt nämlich nicht nur zu einer “Teilhabe” des Mieters, sondern weist das Risiko einer vom Vermieter in seiner Eigenschaft als Eigentümer hinzunehmenden Wohnwertverschlechterung während der Laufzeit des Mietverhältnisses allein dem Mieter zu. Grundsätzlich sind nachträgliche Veränderungen des Nutzens der Mietsache aber allein der Risikosphäre des Vermieters zuzuordnen, der gemäß § 536a Abs. 1 BGB sogar verschuldensunabhängig wegen bei Mietvertragsschluss vorhandener Mängel der Mietsache auf Schadenersatz haftet und nach § 536 BGB selbst dann eine Minderung hinzunehmen hat, wenn er den Mangel gar nicht beseitigen kann (vgl. BGH – XII ZR 62/06 -, Urt. v. 23.04.2008, BGHZ 176, 191 ff., Rn. 20), nach den gesetzlichen Regeln mithin die Vergütungsgefahr trägt.

Diese grundsätzliche Risikoverteilung vermag auch die “Bolzplatzentscheidung” nicht in Frage zu stellen, da jedenfalls langfristig einwirkende Umwelteinflüsse sich auch im laufenden Wohnungsmietverhältnis vermittels des Mechanismus der §§ 558 ff. BGB mittelfristig allein zu Gunsten und zu Lasten des Vermieters auswirken. Führt etwa eine Änderung der Verkehrsführung nachträglich zu einer hohen Verkehrslärmbelastung der Wohnung oder liegt sie danach umgekehrt besonders ruhig, so hat dies Einfluss auf die Höhe der ortsüblichen Miete. Womöglich aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof in einer früheren Entscheidung, bei der es um eine Mietminderung wegen gegenüber dem Zustand bei Abschluss des Mietvertrages erhöhter Lärmimmissionen in Folge einer veränderten Verkehrsführung ging, noch darauf abgestellt, dass die erhöhten Lärmimmissionen nicht zu einer für die Preisbildung relevanten “hohen Verkehrslärmbelastung” im Sinne des Mietspiegels geführt hatten und deswegen von den Mietern hinzunehmen seien (vgl. BGH – VIII ZR 152/12 -, Urt. v. 19.12.2012, MDR 2013, 262 f., Rn. 12).

Richtig erscheint der Kammer weiterhin der Ansatz des BayObLG – RE-Miet 2/86 -, Rechtsentscheid v. 04.02.1987 (vgl. BayObLGZ 1987, 36 ff., Rn. 26), wonach “von vorne herein zu trennen ist einerseits das Vertragsverhältnis zwischen Vermieter und Mieter mit den daraus folgenden Gewährleistungsansprüchen . . ., andererseits das durch § 906 BGB begründete gesetzliche Schuldverhältnis zwischen dem Vermieter als Grundstückseigentümer und demjenigen, der die Beeinträchtigung durch Lärm oder andere Geräusche verursacht hat. Nach allgemeinen schuldrechtlichen Regeln sind Voraussetzungen und Umfang der gesetzlich geregelten Mängelgewährleistung nicht davon abhängig, ob der Vermieter gegen einen Dritten, der den Mangel der Mietsache verursacht hat, einen Ausgleichsanspruch oder Schadensersatzanspruch erlangt oder ob er ihn verwirklichen kann. Dies liegt allein im Risikobereich des Vermieters.” Dem folgt, soweit ersichtlich, weiterhin auch der für das Gewerbemietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der in seiner oben bereits zitierten Entscheidung zum Geschäftszeichen XII ZR 62/06 wie folgt ausgeführt hat (vgl. a. a. O., Rn. 22): “Die Störung des Äquivalenzprinzips wird auch nicht dadurch kompensiert, dass der Mieter als Besitzer gegebenenfalls von dem die Beeinträchtigung verursachenden Dritten gemäß § 906 Abs. 2 BGB einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen kann. Die Grenze der Zumutbarkeit im Sinne von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB beurteilt sich nicht nach mietrechtlichen Vorschriften. Schon deshalb entsprechen die nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auszugleichenden Beeinträchtigungen nicht ohne weiteres dem Umfang des Minderungsrechts.” Das Minderungsrecht des Mieters davon abhängen zu machen, ob der Vermieter von dem störenden Dritten Unterlassung oder Ausgleich der Nutzungsbeeinträchtigungen verlangen kann, erscheint tatsächlich deswegen nicht überzeugend, weil die nach der Rechtsprechung des V. Zivilsenats im Verhältnis der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu berücksichtigenden Interessen mit denen der Mietvertragsparteien nicht korrelieren.

So wird speziell für Baumaßnahmen bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einwirkender Immissionen im Rahmen des § 906 BGB das abstrakte Interesse des betroffenen Grundstückseigentümers zu berücksichtigen sein, seinerseits vergleichbare Baumaßnahmen auf seinem Grundstück durchführen zu dürfen. Dieses für die Abwägung ganz maßgebliche Interesse eines Grundstückseigentümers hat aber für den Mieter, der eine nach Zeitabschnitten bestimmte Vergütung bezahlt und im Gegenzug möglichst ungestört den im zustehenden Nutzen aus dem Grundstück ziehen möchte, kein auch nur annähernd vergleichbares Gewicht.

Exemplarisch für das Auseinanderfallen der Interessen des Mieters einerseits, des Grundstückseigentümers andererseits erscheint der Fall BGH – V ZR 204/73 -, Urt. v. 26.09.1975, ZMR 1977, 19 ff.). Dort ging es um die aufwändige Restaurierung der Porta Nigra und die von Presslufthämmern sowie Gebläsen ausgehenden Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks, welches der Kläger gepachtet hatte und auf dem er ein Café mit Terrasse betrieb. Der BGH entschied, dass die Arbeiten wegen des besonderen Charakters und Bedeutung der Porta Nigra ortsüblich gewesen seien und ihre Auswirkungen auf das Nachbargrundstück mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen im Sinne des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht abzumildern waren. Ob dem in seiner Eigenschaft als Grundstücksbesitzer vorgehenden Kläger die erlittenen Umsatzeinbußen zuzumuten seien oder eine Entschädigung nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderten, hänge unter anderem davon ab, welchen Nutzen die Stadt als Eigentümerin des Grundstücks und des auf ihm errichteten verpachteten Gewerbebetriebs aus der touristischen Bedeutung der Porta Nigra und damit mittelbar aus ihrer Sanierung ziehe.

Es leuchtet zwar ein, dass im Verhältnis der Grundstückseigentümer das (mittelbare) Interesse des betroffenen Grundstücksnachbarn an der Baumaßnahme und die mit ihr verbundenen langfristigen positiven Auswirkungen auf sein eigenes Grundstück zu berücksichtigen sind, um die Zumutbarkeit der mit der Baumaßnahme verbundenen vorübergehenden Nutzungseinschränkungen zu beurteilen. Der Mieter des betroffenen Grundstücks ist aber in einer ganz anderen Position als dessen Eigentümer. Insbesondere kommt ihm im Beispielfall die durch die Sanierung des benachbarten Denkmals vermittelte langfristige Wertverbesserung nicht ohne weiteres zu Gute. Vielmehr wird umgekehrt die Höhe der nach Zeitabschnitten zu zahlenden Miete ohnehin schon an Hand der Lage des Grundstücks und seinem durch das benachbarte Denkmal erhöhten Nutzen bemessen sein, obwohl der Mieter diesen erhöhten Nutzen während der Baumaßnahmen womöglich gar nicht ziehen kann, weil das Denkmal während der Sanierung weniger Touristen anzieht als sonst und er die Terrasse nicht oder nur eingeschränkt nutzen kann; zudem mag das Mietverhältnis enden, bevor die Baumaßnahmen abgeschlossen sind.

b) Ob dem Ansatz des VIII. Zivilsenats in der “Bolzplatzentscheidung” danach generell nicht zu folgen ist, diese sich ohnehin nur auf dauerhafte Veränderungen der Grundstückssituation beziehen soll, während Störungen durch Baumaßnahmen, die ihrer Natur nach vorübergehenden Charakter hätten, nach anderen Regeln zu beurteilen seien (so die Ansicht der Zivilkammer 67, LG Berlin – 67 S 76/16 -, Urt. v. 16.06.2016, ZMR 2016, 693 ff.) oder der Maßstab des § 906 BGB jedenfalls insoweit heranzuziehen ist, als die Norm einem Eigentümer die entschädigungslose Hinnahmen bestimmter Immissionen gerade aus Gründen des öffentlichen Interesses zumutet, kann für den vorliegenden Fall dahinstehen.

aa) Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, kann ein Gleichklang zwischen Minderungsrecht des Mieters nach § 536 BGB und dem Recht des Vermieters, Dritte wegen der zur Minderung führenden Störungen nach § 906 BGB auf Unterlassung oder Ausgleichszahlung in Anspruch zu nehmen, im vorliegenden Fall über eine ergänzende Vertragsauslegung nicht erreicht werden. Zwar stimmen beide Fälle insoweit überein, als die Mietvertragsparteien keine besondere Beschaffenheitsvereinbarung trafen und kein zulässiges Maß der auf die Mietwohnung einwirkenden Lärmimmissionen vereinbarten. Anders als im Fall der “Bolzplatzentscheidung” waren vorliegend der Beklagten die Planungen der Grundstücksnachbarn aber bei Abschluss des Mietvertrages bereits bekannt; sie wusste um die in Zukunft zu erwartenden Baumaßnahmen und die bevorstehenden zur Preisbildung geeigneten Beeinträchtigungen der Mietwohnung durch die Baumaßnahmen, ohne dieses Wissen jedoch gegenüber dem Kläger zu offenbaren. Unabhängig von der Frage, ob darin eine zum Schadenersatz führende Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen der Vertragsverhandlung lag, erscheint es jedenfalls grob unbillig, das der Mietsache anhaftende und der Beklagten positiv bekannte konkrete Risiko zukünftiger erheblicher Nutzungsbeeinträchtigungen im Wege ergänzender Vertragsauslegung einseitig dem gutgläubigen Kläger aufzuerlegen. Die Beklagte kann sich mithin im vorliegenden Fall nicht darauf berufen, dass die Störungen deswegen keine Minderung rechtfertigten, weil sie selbst nach § 906 BGB weder Anspruch auf deren Unterlassung oder auf Leistung einer Ausgleichszahlung gehabt habe.

bb) Ausdrücklich hilfsweise stützt die Kammer ihre Entscheidung darauf, dass die von dem Kläger beanspruchte Mietminderung angesichts des Ausmaßes und der Dauer der vorliegenden Baumaßnahmen selbst nach dem Maßstab des § 906 BGB gerechtfertigt wäre, weil auch einem das Grundstück zu Wohnzwecken nutzenden Eigentümer wegen der Störungen Unterlassungs- oder Ausgleichsansprüche nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen die Bauherrin in nämlicher Höhe zugestanden hätten.

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Kläger weder ein Lärmprotokoll vorgelegt noch sonst vorgetragen hat, dass, wann und wie häufig die sich aus der Baugenehmigung und dem BImSchG, der TA Lärm sowie anderen Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften ergebenden Grenzwerte überschritten worden wären. Das Amtsgericht ist aber zu Recht der Entscheidung des Landgerichts München I (LG München I – 31 S 20691/14 -, Urt. v. 14.01.2016) gefolgt, wonach die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die als solche unstreitigen Störungen nicht habe abwehren können, sondern entschädigungslos habe hinnehmen müssen, dem Vermieter obliegt. Zu Recht hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass es hierbei letztlich um eine entsprechende Anwendung des Einwandes der Unmöglichkeit der Leistung im Sinne des § 275 BGB geht, für den der zur Leistung Verpflichtete die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Für den Fall der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Verhältnis der Eigentümer oder der Besitzer untereinander entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es dem Urheber der Immissionen obliegt, die Einhaltung der relevanten Grenzwerte darzutun und zu beweisen. Steht fest, dass störende Immissionen entstehen, so ist es Sache des Verursachers darzulegen und zu beweisen, dass diese im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB nur zu einer unwesentlichen Beeinträchtigung führen (vgl. BGH – V ZR 62/91 -, Urt. v. 05.02.1993, BGHZ 121, 248 ff., Rn. 26; BGH – V ZR 217/03 -, Urt. v. 13.02.2004). Nichts anderes kann dann aber im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter gelten, wenn letzterer sich darauf beruft, dass als solche unstreitige Störungen nicht zur Minderung berechtigten, weil sie nur zu einer unwesentlichen Nutzungsbeeinträchtigung geführt hätten.