Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist bei der Wohnflächenermittlung die Grundfläche eines Balkons entsprechend § 4 Nr. 4 WoFlVO höchstens zu einem Viertel zu berücksichtigen?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 18 S 308/13, Urteil vom 17.01.2018) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. a) bb) (1) wie folgt aus: “Zwischen den Parteien streitig ist nur noch, ob die Grundfläche des straßenseitigen Balkons entsprechend § 4 Nr. 4 WoFlVO höchstens zu einem Viertel oder deshalb zur Hälfte zu berücksichtigen ist, weil es bei der Wohnflächenermittlung in Berlin der örtlichen Verkehrsübung entspreche, Flächen von Balkonen und Terrassen zur Hälfte zu berücksichtigen.

Haben die Parteien eines Mietvertrages, wie vorliegend, keine Vereinbarung über die zur Ermittlung der Wohnfläche anzuwendende Methode getroffen, ist der Begriff der “Wohnfläche” auch bei frei finanzierten Wohnraum grundsätzlich anhand der für preisgebundenen Wohnraum geltenden Bestimmungen auszulegen. Abweichendes gilt dann, wenn die Parteien dem Begriff der Wohnfläche im Einzelfall eine abweichende Bedeutung beigemessen haben oder ein anderer Berechnungsmodus ortsüblich oder nach der Art der Wohnung naheliegender ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH – VIII ZR 44/03 -, Urt. v. 24.03.2004, GE 2004, 680 ff., Rn. 14; BGH – VIII ZR 231/06 -, Urt. v. 23.05.2007, GE 2007, 1047 ff., Rn. 13; BGH – VIII ZR 86/08 -, GE 2009, 344 ff.). Die vorliegende Wohnung weist keine eine andere Berechnungsweise nahe legende Besonderheiten auf, sodass die Wohnfläche nach der für preisgebundenen Wohnraum seit dem 1. Januar 2004 anwendbaren Wohnflächenverordnung zu bestimmen ist, sofern sich in Berlin keine abweichende örtliche Übung durchgesetzt hat. Ob eine örtliche Verkehrssitte besteht, der Ermittlung der Wohnfläche ein anderes Regelwerk zu Grunde zu legen, ist im Streitfall erforderlichenfalls unter Hinzuziehung eines/einer Sachverständigen zu klären; dabei kommen als alternative Regelwerke namentlich die II. Berechnungsverordnung, die DIN 283 oder die DIN 277 in Betracht (vgl. BGH – VIII ZR 231/06 -, a. a. O., Rn. 15).

Diesem Ansatz folgend hat die Zivilkammer 65 für ein im Jahre 2006 zu Stande gekommenes Mietverhältnis entschieden, dass es damals in Berlin örtlicher Übung entsprochen habe, die Flächen von Balkonen, Loggien, Dachgärten und Terrassen in Anlehnung an die II. Berechnungsverordnung bei der Wohnflächenermittlung weiterhin zur Hälfte zu berücksichtigen (LG Berlin – 65 S 130/10 -, Urt. v. 19.07.2011, GE 2011, 1086 f.). Die Kammer hat die Verfahrensakten beigezogen, sieht sich jedoch nicht in der Lage, ihrer Entscheidung das damals eingeholte Sachverständigengutachten zu Grunde zu legen. Zum einen ging es in jenem Verfahren nicht um einen Balkon, sondern um die Anrechnung der Flächen einer Terrasse. Zum anderen hatte der damals beauftragte Sachverständige bei der durchgeführten Erhebung nicht danach unterschieden, ob der jeweilige Mietvertrag vor Inkrafttreten der WoFlVO am 1. Januar 2004 oder danach abgeschlossen worden war, sondern schlicht danach gefragt, welche Anteile der Terrassenflächen in den Wohnflächen Berücksichtigung fanden.

Die Kammer hat ein neues Sachverständigengutachten eingeholt. Sie hat auf Grundlage der durch den Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken Dr. ••• Z••• durchgeführten Erhebung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass in Berlin im Jahre 2007 eine örtliche Übung bestand, wonach der Anrechnung von Terrassen- und Balkonflächen bei der Ermittlung der Wohnfläche ein anderes Regelwerk als die Wohnflächenverordnung zu Grunde zu legen war. Der Sachverständige hat in Berlin tätige Interessenvertretungen der Mieter und der Vermieter sowie den Gutachterausschuss befragt. Er hat in Abstimmung mit den Parteien und dem Gericht einen Fragebogen entworfen, den er an 458 Verwaltungen, Baugenossenschaften, Wohnungsbaugesellschaften und Immobilieninvestoren versandt hat. Etwa 12 % der Fragebögen sind ausgefüllt zurückgesandt worden und haben ausgewertet werden können; davon stammen neun Fragebögen von Großvermietern mit mehr als 5.000 Wohnungen im Bestand und 19 von Vermietern und Verwaltungen, die zwischen 1.000 und 5.000 Wohnungen betreuen. Fast alle befragten Interessenvertretungen sowie rund 80 % der übrigen Umfrageteilnehmer haben angegeben, die Wohnungsmietverträgen zu Grunde gelegte Wohnfläche sei nach Maßgabe der Wohnflächenverordnung zu ermitteln; nur je vier Vermieter sehen die II. Berechnungsverordnung oder die DIN 277 als maßgeblich an. Obwohl § 4 Nr. 4 WoFlVO vorsieht, dass Balkonflächen im Regelfall nur zu einem Viertel in die Wohnfläche einfließen, haben gleichzeitig fast 75 % der Teilnehmer angegeben, dass sie Flächen von Balkonen und Terrassen regelmäßig zur Hälfte berücksichtigten; weniger als 20 % der Teilnehmer berücksichtigten Balkonflächen im Regelfall zu einem Viertel. Allein bei den Großvermietern mit mehr als 5.000 Wohnungen ergibt sich eine deutlich abweichende Quote. Innerhalb dieser Gruppe haben zwar ebenfalls rund 80 % der Teilnehmer (7 von 9 Teilnehmern) mitgeteilt, die Wohnflächenverordnung anzuwenden. Hier gibt aber fast die Hälfte der Teilnehmer (4 von 9 Teilnehmern) an, regelmäßig 25 % der Flächen von Balkonen und Terrassen anzusetzen oder im Einzelfall nach Größe und Lage zu entscheiden, wie es den Vorgaben des § 4 Nr 4 WoFlVO entspricht.

Die Kammer hält die Erhebung zwar nicht für repräsentativ, die gewonnene Stichprobe aber doch für ausreichend umfangreich und belastbar, um die Beweisfrage zu klären. Soweit nach dem Ergebnis der Umfrage im Jahr 2007 tatsächlich eine weit verbreitete Übung bestand, Balkonflächen im Rahmen der Wohnflächenermittlung zur Hälfte zu berücksichtigen, reicht dies allein entgegen der Ansicht der Klägerin aber nicht aus, eine entsprechende örtliche Verkehrssitte festzustellen. Vielmehr ist dieses Ergebnis der Umfrage im Lichte des weiteren Umfrageergebnisses zu würdigen, dass die Marktteilnehmer der Wohnflächenermittlung ganz überwiegend nicht die II. Berechnungsverordnung zu Grunde legten, die als Regelfall eine hälftige Berücksichtigung der Balkonflächen vorsieht, sondern vielmehr die Wohnflächenverordnung für einschlägig halten. Die Kammer folgt dem Sachverständigen darin, dass die Umfrageergebnisse kein klares Bild einer örtlichen Verkehrssitte vermitteln, sondern insofern widersprüchlich wirken, als die Marktteilnehmer sich überwiegend auf die Wohnflächenverordnung berufen, deren Regelungen über die Anrechnung von Balkonflächen jedoch mehrheitlich nicht zu kennen scheinen oder sie jedenfalls nicht anwenden. Ausgehend von der oben bereits zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach mit dem Begriff des ortsüblichen Berechnungsmodus eine “bestehende örtliche Verkehrssitte [gemeint ist], die Wohnfläche nach einer der für die Wohnflächenberechnung in Betracht kommenden Bestimmungen – also nach der Zweiten Berechnungsverordnung oder der Wohnflächenverordnung, der DIN 283 oder der DIN 277 – zu berechnen” (vgl. BGH – VIII ZR 231/06 -, a. a. O., Rn. 15), kann eine der Vertragsauslegung aus Gründen des Vertrauensschutzes als beachtlich zu Grunde zu legende Verkehrssitte nicht darin bestehen, dass einzelne Bestimmungen eines für die Wohnflächenermittlung geeigneten und ganz überwiegend als anwendbar angesehenen Regelwerks in der Praxis häufig übersehen oder fehlerhaft angewandt werden. Vielmehr geht die Kammer mit dem Sachverständigen davon aus, dass der Wohnflächenermittlung in Berlin im Jahre 2007 mangels anderweitiger Abreden der Mietvertragsparteien die Wohnflächenverordnung zu Grunde zu legen war, weil sich nicht feststellen lässt, dass es ortsüblicher Praxis entsprach, der Wohnflächenermittlung ein anderes Regelwerk als die Wohnflächenverordnung zu Grunde zu legen.

Die offenbar weit verbreitete Praxis, Balkonflächen bei der Wohnflächenberechnung regelmäßig zur Hälfte zu berücksichtigen, stellt sich mithin deshalb nicht als für die Mietvertragsauslegung beachtliche örtliche Verkehrssitte dar, weil sie nicht vom Willen der Marktteilnehmer getragen ist, die Wohnfläche nach einem Regelwerk zu ermitteln, das eine solche Anrechnung vorsieht. Die Umfrageteilnehmer haben nämlich ganz überwiegend angegeben, dass sie die Wohnflächenverordnung als anwendbar ansehen. Die gegenüber den übrigen Gruppen deutlich höhere Quote der Großvermieter, die die Balkonflächen tatsächlich nach Maßgabe von § 4 Nr. 4 WoFlVO behandeln, bestätigt nach Auffassung der Kammer, dass eine abweichende Praxis auf bloßen Rechtsanwendungsfehlern beruht, die mit zunehmender Professionalität der Vermieter seltener werden und jedenfalls nicht von einer Vorstellung der Marktteilnehmer getragen sind, ein von der Wohnflächenverordnung abweichendes System der Wohnflächenermittlung oder die Wohnflächenverordnung in abgewandelter Form anzuwenden. Für diese Würdigung spricht auch, dass kein einziger Umfrageteilnehmer sich auf eine Berliner Verkehrssitte berufen hat, nach der Balkonflächen unabhängig von einem heranzuziehenden Regelwerk regelmäßig oder stets zur Hälfte zu berücksichtigen seien.”