Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kann der Vermieter entsprechend § 546a BGB für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete – als Masseverbindlichkeit – verlangen, wenn der Insolvenzverwalter seiner Pflicht zur Herausgabe der Mietsache nicht nachkommt?

Die Antwort des Oberlandesgerichts Saarbrücken (OLG Saarbrücken – 5 U 5/17, Urteil vom 10.01.2018) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Oberlandesgericht Saarbrücken in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 3. und 4. wie folgt aus: “3. Die Beklagte, die gemäß § 103 Abs. 1 InsO die weitere Erfüllung der Verträge verlangt hat, ist verpflichtet, den vereinbarten Mietzins auch für den mit der Klage geltend gemachten Zeitraum zu entrichten.

a) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird ein Mietverhältnis über eine bewegliche Sache nicht beendet. Die Vorschriften der §§ 108109 InsO gelten – vom hier nicht einschlägigen Ausnahmefall des § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO abgesehen – nur für Miet- und Pachtverhältnisse über unbewegliche Sachen (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594). Sie finden daher – entgegen der Auffassung der Beklagten – hier keine Anwendung. Miet- und Pachtverhältnisse über bewegliche Sachen unterfallen vielmehr dem § 103 InsO; der Insolvenzverwalter kann also den Vertrag anstelle des Schuldners erfüllen oder die Erfüllung des Vertrages ablehnen. Dabei führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu einem Erlöschen der beiderseitigen Erfüllungsansprüche. Die Ansprüche beider Vertragsparteien auf Leistung und Gegenleistung bleiben vielmehr bestehen. Sie verlieren lediglich zunächst, nämlich bis zu einem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters, ihre Durchsetzbarkeit (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594; Urteil vom 14. September 2017 – IX ZR 261/15NJW 2017, 3369).

b) Im Streitfall hat die Beklagte mit Schreiben vom 2. Juni 2015 die Erfüllung der Mietverträge gewählt.

aa) Gemäß § 103 InsO kann der Verwalter die Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren geschlossen, beidseits nicht vollständig erfüllten Vertrages verlangen oder die Erfüllung des Vertrages ablehnen. Er ist nicht berechtigt, den Vertrag inhaltlich zu ändern. Es gibt grundsätzlich keine den ursprünglichen Vertrag modifizierende oder nur einzelne Ansprüche oder Rechte betreffende Erfüllungswahl (BGH, Urteil vom 10. August 2006 – IX ZR 28/05BGHZ 169, 43). Ein Erfüllungsverlangen unter Vorbehalten wird deshalb häufig als Ablehnung der Erfüllung anzusehen sein (BGH, Urteil vom 14. September 2017 – IX ZR 261/15NJW 2017, 3369; vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1988 – IX ZR 36/87BGHZ 103, 250, 253 zu § 17 KO). Die Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 103 Abs. 1 InsO ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; die allgemeinen Bestimmungen über die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133157 BGB) finden Anwendung (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594).

bb) Hier hat die Beklagte der Klägerin in dem Schreiben mitgeteilt, dass “im vorliegenden Insolvenzverfahren eine Auffanglösung zum 1. Mai 2015 angedacht” sei, diese jedoch “erst voraussichtlich zum 1. Juli 2015 greifen” werde und dass sie “bis dahin … als Insolvenzverwalterin für die Verträge verantwortlich” bleibe (Bl. 18 GA). Diese Erklärung ist vom – auch insoweit maßgeblichen, vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – IX ZR 313/12MDR 2014, 685 – objektiven Empfängerhorizont als Erfüllungswahl im Sinne des § 103 Abs. 1 InsO anzusehen. Sie erfolgte auf die Anfrage der Klägerin vom 28. Mai 2015, in der diese ausdrücklich um Mitteilung gebeten hatte, “ob die vorgenannten Industriezelte bis auf weiteres von Ihnen genutzt werden und Sie in diesem Fall die Mieten weiter bzw. Nutzungsentschädigungen in der vertraglich ausgewiesenen Höhe bezahlen werden”, und in der für den Fall des Mietrückstandes die Kündigung angedroht worden war (Bl. 17 GA). Darin lag eine Aufforderung der Klägerin an die Beklagte, ihr Wahlrecht auszuüben (vgl. § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Beklagte, die der Insolvenzschuldnerin – erkennbar – die weitere Nutzungsmöglichkeit der Zelte erhalten wollte, konnte diese von ihr beabsichtigte Rechtsfolge jedoch nur durch eine unveränderte Fortsetzung der drei Mietverträge erreichen. Dementsprechend waren ihre Ausführungen aus dem vorgenannten Schreiben zu verstehen. Diese Erfüllungswahl war auch weder erkennbar eingeschränkt oder mit einem Vorbehalt versehen, noch lag in dieser Mitteilung zugleich eine Kündigung der Verträge. Dem bloßen Hinweis auf die “voraussichtlich” zum 1. Juli 2015 greifende Auffanglösung lag aus Sicht der Klägerin nicht der Wille der Beklagten zugrunde, die Verträge, für die sie “bis dahin verantwortlich” zeichnen wollte, von vornherein nur mit dieser Maßgabe fortzuführen oder zu diesem Termin zu kündigen. Hiergegen spricht schon, dass das genaue Datum der beabsichtigten Auffanglösung zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststand, was aus dem Schreiben selbst ersichtlich ist, so dass deshalb hier nur die Fortsetzung der Verträge auf unbestimmte Zeit der Insolvenzschuldnerin eine gesicherte weitere Verwendung der Mietgegenstände eröffnete.

c) Die Ausübung des Wahlrechts zugunsten der weiteren Vertragserfüllung durch die Beklagte bewirkt, dass diese die Verträge im Grundsatz so hinzunehmen hat, wie sie bei Verfahrenseröffnung bestanden (Jacoby, in: Jaeger, Insolvenzordnung 1. Aufl., § 103 Rn. 299). Der Insolvenzverwalter, der noch ausstehende Leistungen nach Verfahrenseröffnung für die Masse vereinnahmen will, muss insoweit die Gegenleistung aus der Masse erbringen, wozu er aufgrund der Erfüllungswahl nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO befugt ist (Breitenbücher, in: Graf-Schlicker, InsO, § 103 Rn. 22; Kreft, in: MünchKomm-InsO 3. Aufl., § 103 Rn. 39; Marotzke in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar 8. Aufl., § 103 Rn. 105). Die Erfüllungswahl bewirkt für die unter § 103InsO fallenden gegenseitigen Verträge rechtlich das Gleiche wie die gesetzliche Vorschrift des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO für die dort geregelten Miet-, Pacht- und Dienstverträge (Kreft, in: MünchKomm-InsO, a.a.O., § 103 Rn. 39; vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 – IX ZR 10/11NJW-RR 2012, 182). Danach hat die Beklagte hier den Mietzins in vereinbarter Höhe während der Dauer der drei Mietverträge zu entrichten. Diese bestanden bis auf weiteres und insbesondere im streitgegenständlichen Zeitraum von August bis Oktober 2015 fort, weil eine Beendigung der Verträge durch Kündigung hier – soweit ersichtlich – erstmals mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 ausgesprochen wurde.

4. Die Vergütungspflicht der Beklagten bestünde im geltend gemachten Umfange allerdings auch, soweit man das Schreiben der Beklagten vom 2. Juni 2015 nicht als Erfüllungsverlangen, sondern als Ablehnung (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO) auslegen wollte. Für diesen Fall stünde der Klägerin ein Zahlungsanspruch in Höhe des vereinbarten Mietzinses als Nutzungsvergütung gemäß § 546a BGB zu (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594).

a) Da die Ansprüche beider Vertragsparteien auf Leistung und Gegenleistung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu einem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters ihre Durchsetzbarkeit verlieren, bedeutet dies in der Insolvenz des Mieters einer beweglichen Sache, dass der Vermieter den Anspruch auf Zahlung der Mieten nicht mehr durchsetzen kann. In gleicher Weise endet auch das Besitzrecht des Mieters einer beweglichen Sache, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der Insolvenzverwalter hat die Mietsache folglich an den Vermieter herauszugeben, wenn er nicht die Erfüllung des Mietvertrages wählt (§ 103 Abs. 1 InsO), ohne dass es hierzu einer Kündigung bedürfte (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594). Kommt der Verwalter seiner Pflicht zur Herausgabe der Mietsache nicht nach, kann der Vermieter entsprechend § 546a BGB für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete – als Masseverbindlichkeit – verlangen (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594; Saarl. OLG, Urteil vom 9. März 2006 – 8 U 119/05 – 37, OLGR 2006, 574).

b) Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre die klägerische Forderung hier begründet. Die Beklagte hat nämlich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die drei streitgegenständlichen Hallenzelte nicht an die Klägerin herausgegeben. Vielmehr wurden diese zunächst – jedenfalls bis Ende Juli 2015 – von der Insolvenzschuldnerin sogar weiter genutzt, wie die Beklagte selbst einräumt. Für ein “Vorenthalten” im Sinne des § 546a Abs. 1 BGB ist es jedoch ausreichend, dass der Mieter die Mietsache nicht zurückgibt und ein Unterlassen der Herausgabe dem Willen des Vermieters widerspricht (BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 81/05NJW 2007, 1594, m.w.N.). Dabei hat der Vermieter nur zu beweisen, dass das Mietverhältnis beendet ist; dagegen ist es Sache des Mieters, darzulegen und nachzuweisen, dass er die Sache nicht besitzt und er sie dem Vermieter auch nicht durch Gebrauchsüberlassung an Dritte vorenthält (vgl. KG Berlin, MDR 2010, 1375; Bieber, in: MünchKomm-BGB 7. Aufl., § 546a Rn. 17; Lützenkirchen in: Erman, BGB 15. Aufl., § 546a Rn. 15; Streyl, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht 13. Aufl., § 546a BGB Rn. 106). Im Streitfall folgt aus dem Schreiben der Klägerin vom 28. Mai 2015, dass diese lediglich dazu bereit war, der Beklagten die weitere Nutzung der drei Industriezelte zu ermöglichen, wenn dafür im Gegenzug die vereinbarte Miete bzw. Nutzungsentschädigung gezahlt würde (Bl. 17 GA). Soweit die Beklagte mangels Erfüllungswahl die drei Mietverträge nicht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortgeführt hat, hat sie jedenfalls nicht dargelegt, dass die Zelte vor Ablauf des Monats Oktober 2015 an die Klägerin herausgegeben worden sind, so dass sie auch in diesem Fall eine Nutzungsentschädigung in Höhe des vereinbarten Mietzinses zu zahlen hätte.”