Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kommen einem Vermieter Darlegungs- und Beweiserleichterungen im Rahmen des § 814 BGB zu Gute, wenn sein Mieter trotz Vorliegens eines Mangels zunächst vorbehaltlos die vollständige Miete zahlt und diese zu einem späteren Zeitpunkt teilweise zurückfordert?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 67 S 342/17, Urteil vom 01.03.2018) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: “Die Berufung rügt zu Recht, dass die Beklagten nicht mit der Rückforderung der von ihnen überzahlten Miete gemäß § 814 BGB ausgeschlossen sind. Danach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete lediglich dann nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Die Norm beruht auf dem Gedanken der Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens. Sie will den Leistenden benachteiligen, während der Empfänger darauf vertrauen darf, dass er eine Leistung, die bewusst zur Erfüllung einer nicht bestehenden Verbindlichkeit erbracht worden ist, behalten darf (vgl. BGH, Urteil v. 7. Mai 1997 – IV ZR 35/96 -, NJW 1997, 2381, 2382). § 814 erfordert eine positive Kenntnis vom Nichtbestehen der Verbindlichkeit, wobei nicht die bloße Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Nichtbestehen ergibt, ausreicht, sondern sich der Leistende auch hinsichtlich der Rechtslage im Klaren sein muss, dass er nichts schuldet (vgl. BGH, Urt. v. 22. Oktober 2015 – IX ZR 100/13NJW 2016, 1391).

Gemessen daran hatten die Beklagten bei Vornahme der Zahlungen keine Kenntnis der Nichtschuld. Denn von einer positiven Kenntnis des Mieters i.S.d. § 814 BGB ist im streitgegenständlichen Kontext nur dann auszugehen, wenn ihm sämtliche Elemente seines Minderungsrechts nach § 536 BGB in einem Maße bewusst sind, das ihn zur Ausübung seiner Gewährleistungsrechte befähigt. Das umfasst nicht nur die Kenntnis darüber, dass die Minderung mit dem Auftreten des Mangels kraft Gesetzes eintritt und weder von der aktiven Geltendmachung durch den Mieter noch der Zustimmung oder Genehmigung des Vermieters abhängt. Darüber hinaus muss sich die positive Kenntnis auch auf die Angemessenheit der mangelbedingt in Ansatz zu bringenden Minderungsquote und damit auch auf deren konkrete Höhe beziehen. Nur wenn der Mieter sich über sämtliche Elemente der Mietminderung positiv im Klaren ist, ist es angezeigt, die für ihn nachteiligen Rechtsfolgen des § 814 BGB zu seinen Lasten wirken zu lassen.

Über eine entsprechend umfassende Kenntnis haben die Beklagten bei Vornahme der Zahlungen nicht verfügt. Sie haben vielmehr durch ihre Äußerungen in den E-Mails vom 5. November 2015 und 15. Oktober 2015 zum Ausdruck gebracht, dass es ihnen an einem Verständnis des Regelungsinhalts des § 536 Abs. 1 BGB mangelte. Denn ansonsten hätten sie der Klägerin nicht vorgeschlagen, eine “Mietminderung von 15% ab dem Termin der Meldung der Geruchsbelästigung” für die Zukunft vorzunehmen und es in der Folge – wie bereits in der Vergangenheit – unterlassen, die Minderung auch tatsächlich durch eine Reduzierung ihrer Zahlungen zu vollziehen. Eine Rechtskenntnis über den automatischen Eintritt der Minderung kraft Gesetzes bei Vorliegen eines Mangels ist darin gerade nicht erkennbar, sondern vielmehr das fehlerhafte Rechtsverständnis, sich erst nach aktiver Geltendmachung oder dem Einverständnis des Vermieters erfolgreich auf eine Minderung berufen zu können. Es tritt hinzu, dass die Beklagten ihre Mietzahlung gemäß § 556b Abs. 1 BGB im Voraus zu entrichten hatten. Damit konnten sie zum Zeitpunkt der Leistungsbewirkung überhaupt nicht wissen, ob der Mangel im laufenden Monat noch behoben werden würde. Davon ausgehend war ihnen auch nicht bekannt, ob sie die vollständige oder lediglich die geminderte Miete schuldeten. An dieser Beurteilung ändert der Umstand nichts, dass der Mangel über mehrere Monate hinaus bestand. Denn die Beklagten waren zu jedem Monatsbeginn erneut darüber im Unklaren, ob es zu einer Mangelbeseitigung kommen oder der Mangel weiterhin bestehen würde.

Darlegungs- und Beweiserleichterungen kamen der Beklagten im Rahmen des § 814BGB nicht zu Gute (vgl. BGH, Urt. v. 17. Oktober 2002 – III ZR 58/02NJW 2002, 3772). Diese sind – allenfalls – bei einem Sachverhalt in Betracht zu ziehen, der selbst für einen Laien ohne juristischen Beistand tatsächlich und rechtlich unschwer selbst zu durchdringen ist (vgl. Kammer, Urt. v. 12. Oktober 2017 – 67 S 196/17, ZMR 2018, 45). Soweit der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass im Regelfall beim heutigen Kenntnisstand der beteiligten Kreise anzunehmen sei, dass dem Mieter sein Recht zur Herabsetzung der Miete in den Fällen bekannt sei, in denen er zunächst über einen längeren Zeitraum und ohne jeden Vorbehalt die Miete ungekürzt weiter zahlt (vgl. BGH, Urt. v. 16. Juli 2003 – VIII ZR 274/02NJW 2003, 2601), folgt die Kammer dem bereits wegen der erforderlichen Kenntnis über sämtliche Elemente des Minderungsrechts nach § 536 BGB nicht. Über eine derart umfassende Kenntnis verfügen Mieter ohne juristischen Beistand – auch nach der langjährigen Erfahrung der Kammer – gerade nicht. Davon abgesehen kann der von § 814 BGB bezweckte Schutz des Zahlungsempfängers nur dann gerechtfertigt greifen, wenn dieser davon ausgehen darf, dass der Leistende tatsächlich ohne Vorbehalt und in voller Schuld leistet. Davon ist jedoch dann nicht auszugehen, wenn der Vermieter vor der ungeminderten Zahlung des Mieters Adressat einer Mangelanzeige des Mieters war. Genau so aber lag der Fall hier.”