Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kommt eine Schadenersatzhaftung des Vermieters wegen durch Asbestfasern bereits eingetretener oder zukünftig drohender Gesundheitsschäden aus positiver Vertragsverletzung/nach § §280, 241 BGB – und deckungsgleich nach § 823 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht – in Betracht, wenn er den Mieter erst im Jahre 2013 auf die von den asbesthaltigen Materialien ausgehenden Gesundheitsgefahren hinwies und der Mieter in Unkenntnis der Gefahren schon zuvor selbst ohne ausreichende Schutzvorkehrungen zerbrochene Fußbodenplatten herausgerissen und entsorgt hatte?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 18 S 140/16, Urteil vom 17.01.2018) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. (1) c) bis d) wie folgt aus: “c) Da deliktische Ansprüche nach § 823 BGB wegen einer unterlassenen Sanierung der Wohnung aus den gleichen Gründen ausscheiden, ist das Amtsgericht im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass eine Schadenersatzhaftung der Beklagten nur nach §§ 280241 BGB – und deckungsgleich nach § 823 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht – deswegen in Betracht kommt, weil sie die Klägerin nicht rechtzeitig auf die von den asbesthaltigen Materialien ausgehenden Gesundheitsgefahren hinwiesen. Zu Unrecht hat sich das Amtsgericht aber auf den Standpunkt gestellt, die Verletzung einer solchen Hinweispflicht lasse sich durch das von der Klägerin angebotene Sachverständigengutachten nicht feststellen, weil in der Wohnung aktuell keine Fußbodenplatten und Kleberreste mehr vorhanden seien, die ein Sachverständiger auf eine Asbestbelastung untersuchen könne. Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift ausgeführt, dass sich in der Kammer der Wohnung immer noch Plattenbruch befinde; das Amtsgericht hat diesen Sachvortrag der Klägerin übergangen und die Klägerin auch nicht nach § 139ZPO darauf hingewiesen, dass der ihr obliegende Beweis mit den angebotenen Beweismitteln nicht zu führen sei. Die darin liegende Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stellt sich als grober Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar, auf dem die Entscheidung auch beruht. Denn eine Haftung der Beklagten für die von der Klägerin befürchteten zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon aus anderen Gründen ausgeschlossen.

aa) Waren in der Wohnung tatsächlich asbesthaltige Materialien verbaut worden, so musste die Beklagte zu 2. als Bauherrin der Immobilie dies wissen. Als professionelle Vermieterin musste die Beklagte zu 2. nach dem Verbot asbesthaltiger Baustoffe im Jahre 1993 spätestens bei Erlass der Asbest-Richtlinie im Jahre 1996 erkennen, das von den asbesthaltigen Baustoffen im Falle ihrer Beschädigung konkrete Gesundheitsgefahren für die Mieter ausgehen konnten. Sie hatte zudem schon auf Grund des Baualters des Gebäudes hinreichenden Anlass, ihren Wohnungsbestand daraufhin zu untersuchen, ob bei der Errichtung asbesthaltige Baustoffe verwendet wurden.

Befanden sich in der Wohnung asbesthaltige Fußbodenplatten, so läge in dem unterlassenen Warnhinweis eine schuldhafte Verletzung der die Beklagte zu 2. nach §§ 241823 BGB treffenden Verkehrssicherungs-, Schutz- und Obhutspflichten. Auf eine konkrete Kenntnis des bei der Beklagten zu 2. zuständigen Sachbearbeiters kommt es dabei nicht an; die Beklagte müsste vielmehr schlüssig darlegen, welche Ermittlungen sie durchführte und aus welchen Gründen sie die ihren Mietern drohenden Gefahren gleichwohl nicht erkennen konnte. Dem sind die Beklagten nicht gerecht geworden.

bb) Ein auf die Verletzung dieser im Jahre 1996 entstandenen Pflicht gegründeter Schadenersatzanspruch wäre nicht verjährt, da die Klägerin die Pflichtverletzung erst nach der Erteilung des Warnhinweises im Jahre 2013 erkennen konnte, die Verjährungshöchstfrist gemäß § 199 Abs. 2 BGB 30 Jahre beträgt und die nach Art. 229 § 6 EGBGB beachtlichen Verjährungsregelungen nach der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtslage gemäß §§ 195, 852 BGB a. F. ebenfalls noch nicht zur Verjährung des Anspruchs geführt hätten.

cc) Die Pflichtverletzung wäre für den behaupteten zukünftig drohenden Schaden auch kausal. Die nach dem neuen Sachvortrag der Klägerin bereits im Jahre 1992 vorgenommenen Sanierungsarbeiten und ein dadurch erhöhtes Risiko einer Gesundheitsschädigung wären den Beklagten zwar nicht zuzurechnen, da nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte zu 2. die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt auf die drohenden Gefahren hätte hinweisen müssen. Die nach neuem Vortrag der Klägerin im Jahre 1999 durchgeführten Sanierungsarbeiten hätte sie bei vertragsgemäßen Verhalten der Beklagten hingegen unterlassen, sodass diese und ein der Klägerin dadurch drohender Gesundheitsschaden den Beklagten zuzurechnen wären. Ein drohender Gesundheitsschaden wäre den Beklagten auch dann zuzurechnen, wenn die Sanierungsarbeiten, wie im ersten Rechtszug vorgetragen, insgesamt erst 2010 stattgefunden hätten.

dd) Entgegen der Ansicht der Beklagten wäre ihre Haftung nicht wegen gänzlich überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin ausgeschlossen. Zwar verletzte auch die Klägerin ihre Pflichten aus dem Mietverhältnis, indem sie die behaupteten Schäden am Fußboden nicht anzeigte, sondern stattdessen die losen und beschädigten Fußbodenplatten eigenmächtig entfernte und unsachgemäß entsorgte. Hätte die Klägerin sich vertragsgemäß verhalten, wäre sie einer deutlich geringeren Asbestfaserkonzentration ausgesetzt worden. Denn sie hätte in diesem Fall zwar ebenfalls den Teppich entfernt und dadurch in Folge Bruchs und Ablösung freigesetzte Fasern aufgewirbelt, hätte die Platten aber nicht selber unsachgemäß entsorgt. Vielmehr hätte die Beklagte zu 2. den defekten Fußbodenbelag nach einer Anzeige der Schäden ordnungsgemäß saniert, sodass das Risiko eines Gesundheitsschadens deutlich gemindert gewesen wäre.

Die von der Klägerin verletzte Schutzpflicht dient aber in erster Linie nicht der Vermeidung von Gesundheitsschäden, sondern dem Schutz des Eigentums und Vermögens der Beklagten. Lagen die behaupteten Schäden am Fußboden tatsächlich vor, so war der Fußbodenbelag offensichtlich insgesamt nicht erhaltenswert; die Gefahr, dass sie durch ihren eigenmächtigen Eingriff in die Bausubstanz konkrete Vermögensinteressen der Beklagten verletzen werde, war aus Sicht der Klägerin gering, und für sie war jedenfalls nicht erkennbar, dass sie selbst sich dadurch einer besonderen Gesundheitsgefahr aussetzen könnte. Ein gänzlich überwiegendes Mitverschulden der Klägerin ist deswegen in Bezug auf ihr etwa drohende Gesundheitsschäden nicht anzunehmen; in Betracht kommt allenfalls eine Mitverschuldensquote.

ee) Schließlich kann die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Feststellungsklage auch nicht schon deswegen abgewiesen werden, weil die Beklagte zu 1. selbst keine ihr der Klägerin gegenüber obliegenden Schutzpflichten verletzt hätte. Zwar wurde die Klägerin bereits im Jahre 2013, also vor dem Eintritt der Beklagten zu 1. in das Mietverhältnis, auf eine mögliche Asbestbelastung und die davon ausgehenden Gefahren hingewiesen. Die Beklagte zu 1. könnte inzwischen aber wegen eigenen Verschuldens nach § 536a Abs. 1 BGB wegen Verzugs mit der Mangelbeseitigung für die von der Klägerin befürchteten Folgen einer Asbestexposition einzustehen haben; denn sie hat jedenfalls durch die Klageerhebung Kenntnis von den gebrochenen Fußbodenplatten sowie den eigenmächtigen Abrissarbeiten der Klägerin erhalten, bisher aber nicht dargelegt, überhaupt Bemühungen zur Untersuchung und fachgerechten Sanierung der Wohnung entfaltet zu haben. Der zu diesem Aspekt am Schluss der mündlichen Verhandlung gemäß 139 Abs. 5 ZPO beantragten Erklärungsfrist hat die Beklagte zu 1. nicht bedurft. Die Parteien streiten seit Beginn des Rechtsstreits darum, ob die Wohnung mit asbesthaltigen Fußbodenplatten ausgestattet war und sich Asbestfasern in der Raumluft befanden oder noch befinden. Die Beklagten haben hinreichend Gelegenheit und Anlass gehabt, zu etwaigen Bemühungen um eine Untersuchung der Wohnung auf eine Belastung mit Asbestfasern vorzutragen.

Ebenso wenig kommt eine Teilabweisung der gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Feststellungsklage in Betracht. Zwar gilt bei einem Vermieterwechsel nach § 566 BGB das Fälligkeitsprinzip. Dieses führt im Falle gestreckter Schadensersatzlagen, bei denen die Schadensverursachung vor dem Eigentumsübergang liegt, der Schadenseintritt und damit die Fälligkeit aber danach, dazu, dass der Erwerber für Pflichtverletzungen einzustehen hat, die er nicht verursachte und verschuldete; umgekehrt wird der für den Schaden verantwortliche Veräußerer aus der Haftung “entlassen” (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 566 Rn. 132 ff. m. w. N.; BGH – VIII ZR 22/04 -, Urt. v. 09.02.2005, NJW 2005, 1187; beide zitiert nach beck-online).

Das gilt aber nicht für eine gar nicht auf dem Mietvertrag beruhende Haftung der Beklagten zu 2. wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten nach § 823 BGB. Hinsichtlich etwaiger auf einer Verletzung der Hinweispflichten im Jahre 1996 beruhenden immateriellen Schäden kommt, da die Schadensursache vor dem 1. August 2002 gesetzt wurde, gemäß Art. 229 § 8 EGBGB ohnehin nur §§ 823, 847 BGB a. F. als Anspruchsgrundlage in Frage (vgl. Schmidt-Futterer/Eisenschmidt, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 536a Rn. 82 m. w. N.); ein Eintritt der Beklagten zu 1. nach § 566 BGB in eine durch die Beklagte zu 2. verursachte Schadenersatzpflicht kommt insoweit auch deswegen nicht in Betracht, weil die Norm des § 253 BGB im Zeitpunkt der Schadensverursachung noch nicht existierte und das Gesetz eine auf einem Mietverhältnis beruhende Haftung für immaterielle Schäden überhaupt nicht vorsah.

d) Über den streitigen Sachvortrag der Klägerin ist folglich Beweis zu erheben. Die Beweisaufnahme ist aus den oben zur Zulässigkeit dargelegten Gründen nicht entbehrlich. Der Rechtsstreit wird, soweit das Amtsgericht die Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen hat, auf den Hilfsantrag der Klägerin unter Aufhebung des Urteils und des zu Grunde liegenden Verfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen, denn auf Grund der Mängel des Urteils ist eine aufwändige Beweisaufnahme im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlich.

Durch Sachverständigengutachten wird aufzuklären sein, ob tatsächlich asbesthaltige Fußbodenplatten und Kleber in der Wohnung verbaut wurden. Ferner ist aufzuklären, ob sich das Risiko der Klägerin, durch die Aufnahme von Asbestfasern zu erkranken, durch die nach ihrer Behauptung in den Jahren 1992 und 1999 vorgenommenen Sanierungsarbeiten signifikant erhöhte; dazu sowie zur Entscheidung über die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld (siehe dazu sogleich unter (2)) wird voraussichtlich ein weiteres, medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen sein. Ergänzend wird wohl der für Umfang sowie Art und Weise der Durchführung der Renovierungsarbeiten als Zeuge benannte Ehemann der Klägerin zu hören sein.

Die aufeinander abgestimmte Beauftragung mehrerer Sachverständiger verschiedener Fachrichtungen und die Koordination ihrer jeweiligen Tätigkeiten stellt sich als aufwändig dar, sodass die Zurückverweisung zulässig ist. Sie erscheint der Kammer in Ausübung ihres Ermessens auch angezeigt, um die Möglichkeit einer Überprüfung der zu erwartenden Sachentscheidung im Wege der Berufung zu erhalten. Die durch die Zurückverweisung drohende Verfahrensverzögerung fällt demgegenüber vorliegend neben dem zu erwartenden ohnehin unvermeidlichen Zeitaufwand für die nachzuholende Sachverhaltsaufklärung nicht entscheidend ins Gewicht.”