Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Führen auf die Mietsache einwirkende erhebliche Bauimmissionen gemäß § § 536 Abs. 1 BGB zur Minderung der Miete?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 67 S 105/18, Beschluss vom 12.07.2018) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Das Amtsgericht hat die auf Zahlung ausstehenden Mietzinses gerichtete Klage zutreffend abgewiesen, da der Mietzins im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 536 Abs. 1 BGB in dem vom Amtsgericht zuerkannten Umfang durch die von dem Nachbargrundstück ausgehenden erheblichen Bauimmissionen gemindert war.

Das Ausmaß der Beeinträchtigungen steht für die Kammer aufgrund der in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils getroffenen unstreitigen Tatsachenfeststellungen des Amtsgerichts gemäß § 314 ZPO bindet fest, da der Kläger einen Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO, der auch dann erforderlich ist, wenn die Tatsachenfeststellung nicht im Tatbestand, sondern in den Entscheidungsgründen eines Urteils getroffen wurde (st. Rspr., vgl. nur Feskorn, in: Zöller ZPO, 32. Aufl. 2018, § 314 Rz. 2 m.w.N.), nicht gestellt hat. Abgesehen davon sind die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts verfahrensfehlerfrei. Die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegten Beeinträchtigungen ergeben sich aufgrund der eingereichten Lichtbilder und des unstreitigen Umfang des Bauvorhabens bereits prima facie. Soweit die Berufung für die Geltendmachung eines Mangels durch den Mieter die “Vorlage eines tage- und stundengenauen” Protokolls für erforderlich erachtet, verkennt sie das reduzierte Ausmaß der den Mieter treffenden Anforderungen zur Substantiierung seines Mangelvortrags (vgl. BGH, Beschl. v. 22. August 2017 – VIII ZR 226/16NJW-RR 2017, 1290, Tz. 18).

Die auf die Mietsache einwirkenden und in ihrer Gesamtbelastung erheblichen Bauimmissionen stellen auch einen – selbstverständlichen – Mangel der Mietsache dar. Die vom Amtsgericht vorgenommene Beurteilung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 76/16NJW-RR 2016, 1162), ihrer geschäftsplanmäßigen Vertreterkammer (vgl. LG Berlin, Urt. v. 7. Juni 2017 – 18 S 211/16, WuM 2018, 25) sowie der des XII. Zivilsenates des BGH zu auf die Mietsache einwirkenden Bauimmissionen (vgl. BGH, Urt. v. 23. April 2008 – XII ZR 62/06NJW 2008, 2497). Aber auch nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH stellen erhebliche (Lärm-)Immissionen einen Mangel der Mietsache dar, unabhängig davon, ob sie vom Vermieter selbst oder von Dritten ausgehen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 10. Februar 2010 – VIII ZR 343/08NZM 2010, 356; Beschl. v. 22. August 2017 – VIII ZR 226/16NJW-RR 2017, 1290, Tz. 16).

Dabei spielt es aus den im Urteil der Kammer vom 16. Juni 2016 ausführlich dargetanen Erwägungen, auf die sie Bezug nimmt und an denen sie einschränkungslos festhält (vgl. Kammer, a.a.O.), auch keine Rolle, ob dem Vermieter gegenüber dem Emittenten Abwehr- oder Entschädigungsansprüche nach § 906 BGB zustehen (vgl. ebenso BGH, Urt. v. 23. April 2008 – XII ZR 62/06NJW 2008, 2497; BayObLG, Beschl. v. 4. Februar 1987 – RE-Miet 2/86, NJW 1987, 1050; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 5. Juli 2017 – 2 U 152/16, ZMR 2017, 882; LG Berlin, a.a.O.; Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 536 Rz. 136c). Andernfalls würde es bei tatsächlich identischer Immissionsbelastung des Mieters von den – allein dem Zufall unterworfenen – rechtlichen Beziehungen des Vermieters zum Emittenten abhängen, ob dem Mieter Ansprüche auf Minderung des Mietzinses gemäß § 536 Abs. 1 BGB zustehen oder nicht. Das aber ist mit dem in den §§ 535 ff. BGB bewusst verursachungs- und verschuldensunabhängig ausgestalteten Gewährleistungskonzept des Gesetzgebers unvereinbar (vgl. Kammer, a.a.O.).

Das von Berufung und der von ihr zitierten gegenläufigen Instanzrechtsprechung bemühte Urteil des VIII. Zivilsenats vom 29. April 2015 (VIII ZR 197/14NJW 2015, 2177) führt zu keiner dem Kläger günstigeren Beurteilung. Das gilt unabhängig davon, dass die sog. “Bolzplatz-Entscheidung”, die die gewährleistungsrechtlichen Folgen einer dauerhaften Umfeldveränderung betrifft, im hier zu beurteilenden Fall einer lediglich vorübergehenden baubedingten Umfeldveränderung bereits nicht einschlägig ist (vgl. Kammer. a.a.O.) und sie im Falle ihrer Übertragbarkeit in unaufgelöstem Widerspruch zur gegenteiligen – und von der Kammer uneingeschränkt geteilten – Rechtsprechung des XII. Zivilsenats stünde (vgl. BGH, Urt. v. 23. April 2008 – XII ZR 62/06NJW 2008, 2497; LG Berlin, a.a.O.; Selk, Mietmängel und Mängelrechte, 2. Aufl. 2018, § 536 Rz. 202). Selbst wenn aber das Bestehen und der Umfang der mieterseitigen Gewährleistungsrechte auch bei einer lediglich vorübergehenden Veränderung der Immissionslast sowie fehlender ausdrücklicher Vereinbarung der Sollbeschaffenheit im Einklang mit der Entscheidung des VIII. Zivilsenats vom 29. April 2015 tatsächlich von einer ergänzenden Auslegung des Mietvertrages abhingen, würde sich das Urteil des Amtsgericht als im Ergebnis zutreffend erweisen. Denn die von der Kammer als Tatgericht vorzunehmende ergänzende Auslegung des Mietvertrages fiele in dem vom Amtsgericht zuerkannten Umfang zu Lasten des Klägers aus:

Es spricht zwar zunächst vieles dafür, dass die Parteien, hätten sie bei Vertragsschluss die spätere Entwicklung der Verhältnisse auf dem benachbarten Grundstück bedacht, für den Zeitraum der Baumaßnahmen und der damit verbundenen Beeinträchtigungen von einer Suspendierung der den klagenden Vermieter gemäß § 535 Abs.1 Satz 2 BGB treffenden Mängelbeseitigungspflicht ausgegangen wären. Denn deren Erfüllung dürfte ihm tatsächlich oder wirtschaftlich unmöglich geworden sein (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 2015 – VIII ZR197/14, NJW 2015, 2177, Tz. 41). Sie wären indes als redliche Vertragspartner – nicht anders als in den Fällen des Überschreitens der sog. “Opfergrenze” (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 22. Januar 2014 – VIII ZR 135/13NJW 2014, 1881, Tz. 6 ff.) – gleichzeitig davon ausgegangen, dass den beklagten Mietern mit Blick auf den im Widerspruch zum gesetzlichen Leitbild stehenden atypischen Wegfall ihrer Mangelbeseitigungsansprüche zumindest ein § 536 Abs. 1 BGB entsprechender Anspruch auf Herabsetzung der Miete im Umfang der durch die Umfeldimmissionen verursachten Minderung der Gebrauchstauglichkeit zugestanden hätte. Das gilt zumindest in Fällen wie dem vorliegenden, in dem eine der Höhe nach maßvolle und zudem lediglich vorübergehende Reduzierung der Zahlungspflichten des Mieters zwar zu wirtschaftlichen Einbußen des Vermieters führt, dessen wirtschaftliche Existenz aber – anders als womöglich bei einer dauerhaften Umfeldveränderung – nicht gefährdet ist (vgl. Kammer, a.a.O.). Nur auf diese Weise hätten die Parteien interessengerecht dem ausdrücklich durch das Gesetz in den §§ 535 ff. BGB getroffenen und zumindest stillschweigend darauf beruhenden sonstigen Wertungen des Mietvertrages Rechnung getragen, wonach allein dem Vermieter – und eben nicht dem Mieter – das (Gewährleistungs-)Risiko bei einer Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit zugewiesen ist. Denn die im Vertrag bereits enthaltenen Wertungen sind Ausgangspunkt und maßgebende Richtschnur zur Ermittlung des für die Schließung einer Vertragslücke maßgeblichen hypothetischen Parteiwillens (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v 4. März 2004 – III ZR 96/03NJW 2004, 1590). Auch das hat das Amtsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.

Davon ausgehend ist die Kammer nicht gehindert, im Beschlussverfahren gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zu entscheiden, da selbst das Ergebnis einer – hier ohnehin nicht gebotenen – ergänzenden Vertragsauslegung zu Lasten des Klägers ausfällt. Die Auslegung eines Vertrages im Einzelfall aber obliegt dem Tatrichter und ist – von hier nicht einschlägigen Einzelfällen abgesehen – wegen ihrer eingeschränkten Revisibilität kein geeigneter Gegenstand für die Zulassung einer Revision (vgl. BGH, Beschl. v. 16. März 2010 – X ZR 41/08; Urt. v. 15. Februar 2017 – VIII ZR 59/16NJW 2017, 1660, Tz. 19). Bereits deshalb liegen die Negativvoraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht vor. Davon abgesehen erachtet auch der VIII. Zivilsenat des BGH bei einer dauerhaften nachteiligen Veränderung des Wohnumfelds eine ergänzende Vertragsauslegung zu Lasten des Mieters im gegebenen Kontext ohnehin nicht ausnahmslos, sondern lediglich grundsätzlich für geboten (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 2015 – VIII ZR 197/14NJW 2015, 2177, Tz. 35). Jedenfalls einen nach diesem Verständnis gegebenen Ausnahmefall können die Beklagten allein aufgrund der Dauer und der Intensität der streitgegenständlichen Beeinträchtigungen für sich reklamieren (vgl. Kammer, a.a.O.).”