Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Kann ein Vermieter eine Eigenbedarfskündigung für die Tochter seiner Lebensgefährtin aussprechen?

Die Antwort des Amtsgerichts Siegburg (AG Siegburg – 105 C 97/18, Urteil vom 17.10.2018) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Siegburg in seiner vorgenannten Entscheidung unter I. wie folgt aus: „Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Denn dem Kläger steht aus §§ 546985 BGB kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gegen die Beklagte zu.

Die Kündigung vom 08.09.2017 hat das Mietverhältnis nicht beendet. Die Kündigung ist unwirksam, weil ein Kündigungsgrund nicht vorliegt. Gem. § 573 Abs. 1 BGB kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. (2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt gem. §573 Abs. 2 Nr. 2 BGB insbesondere vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

1. Der Kläger hat die Kündigung mit dem Wohnbedarf der Zeugin T begründet. Da die Zeugin – was unstreitig ist – weder im Zeitpunkt der Kündigung noch aktuell in der vom Kläger selbst bewohnten Wohnung wohnt, ist sie keine “Angehörige seines Haushalts” i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

2. Die Zeugin T ist auch nicht “Familienangehörige” i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Begriff des Familienangehörigen ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Dabei besteht Einigkeit, dass der allgemeine Familienbegriff des BGB, wonach zur Familie alle Personen zählen, die mit dem Vermieter verwandt oder verschwägert sind, keine praktikable Grundlage für die Bestimmung des privilegierten Personenkreises darstellt. Vielmehr bedarf es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB – dem Kündigungsschutz des Mieters – einer Einschränkung des weiten Familienbegriffs (Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 573 Rn. 54; BGH, Urteil vom 27. Januar 2010 – VIII ZR 159/09 -, BGHZ 184, 138-148, Rn. 19). Wird demnach eine Kündigung nicht zugunsten eines engen, sondern eines entfernten Verwandten ausgesprochen, so hängt deren Privilegierung im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB davon ab, ob im konkreten Fall eine persönliche oder soziale Bindung zwischen dem Vermieter und diesem Angehörigen besteht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2010 –VIII ZR 159/09 -, BGHZ 184, 138-148, Rn. 19 m.w.N.). Je weitläufiger der Grad der Verwandtschaft oder Schwägerschaft ist, umso enger muss die über die bloße Tatsache der Verwandtschaft oder Schwägerschaft hinausgehende persönliche oder soziale Bindung zwischen dem Vermieter und dem Angehörigen im konkreten Einzelfall sein, um eine Kündigung wegen des Wohnbedarfs eines Angehörigen zu rechtfertigen (BGH a.a.O. m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist die Zeugin T mit dem Kläger weder verwandt noch verschwägert: Weder ist sie das leibliche Kind des Klägers (§ 1589 Abs. 1 Satz 1) noch ist sie mit diesem im Sinne von §1590 BGB verschwägert. Denn unstreitig sind der Kläger und die Mutter der Zeugin im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht verheiratet gewesen. Aus diesem Grund scheidet die Zeugin T aus dem nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Kreis der “Familienangehörigen” aus. Soweit in der Rechtsprechung etwa des LG Hamburg, (Urteil vom 12. Dezember 1996 – 307 S 206/96) der Eigenbedarf von Stiefkindern anerkannt worden ist, beruhte dies auf der Einordnung dieser Kinder als “Angehörige” aufgrund von Verschwägerung. Denn der leibliche Elternteil des Stiefkindes war in diesem Fall mit dem Kündigenden verheiratet. Damit bestand eine Schwägerschaft gem. § 1590 BGB, was hier nicht der Fall ist. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sich der Begriff und das Verständnis von “Familie” über die letzten Jahre und Jahrzehnte durchgreifend geändert hat. Heutzutage leben vielfach Eltern und Kinder gemeinsam in Familien, ohne dass die Eltern miteinander verheiratet wären und ohne dass notwendigerweise zwischen allen Mitgliedern der “Familie” verwandtschaftliche Verhältnisse bestehen. Die sog. Patchworkfamilie ist gesellschaftlich weit verbreitete Realität. Aus diesem Grund und vor dem Hintergrund dass auch das Grundgesetz selbstverständlich den Schutz der Familie nicht an den Status der Ehe knüpft, mag es nicht unmittelbar einleuchten, nur den durch Heirat Verschwägerten sowie den tatsächlich “Verwandten” zum Kreis der “Familie” i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu zählen. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass das Begriffsmerkmal “Familienangehöriger” hier dem Schutzzweck entsprechend eng auszulegen ist und im Sinne der Rechtssicherheit auch für den Mieter erkennbar sein muss, welcher Personenkreis diesem privilegierten Status unterfällt. Mit diesem Gesetzeszweck unvereinbar wäre es, wenn sich die Auslegung des Begriffs “Familienangehöriger” gänzlich von dem Merkmal der Verwandtschaft und Schwägerschaft lösen und nur noch auf die enge soziale oder persönliche Bindung zwischen Vermieter und dem Dritten abstellen würde. Wäre dies die Intention des Gesetzgebers gewesen, hätte er jedenfalls auf das Merkmal des “Angehörigen” verzichten und nur Familienzugehörige privilegieren können (vgl. auch LG Weiden, Urt. vom 05.11.2002 – 2 S 101/02). Dass er sich der Existenz dieses weiteren Personenkreises bewusst war, zeigt, dass er mit dem Begriff der “Haushaltsangehörigen” auch weitere, nicht zur Familie gehörende Personen unter bestimmten Voraussetzungen in den Schutzbereich des Eigenbedarfs einbezogen hat. Obwohl daher für das Gericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme, namentlich der glaubhaften Aussage der Zeugin T, keine Zweifel an der engen persönlichen Bindung zwischen dieser und dem Kläger bestehen, genügt dies alleine nicht, um die Zeugin als “Familienangehörige” i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu qualifizieren (vgl. auch LG Weiden, Urt. vom 05.11.2002 – 2 S 101/02).

Das stimmt auch mit der Wertung der § 383 ZPO, § 52 StPO überein. Denn diese Vorschriften, die der engen persönlichen Bindung zwischen engen Verwandten, aber auch zwischen Verlobten und Geschiedenen Rechnung tragen und diesen Personengruppen untereinander daher ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumen, berücksichtigen die Kinder des (noch) nicht verheirateten Verlobten nicht. Diese Personengruppe ist im Rahmen des § 573 Abs. 2 BGB auch nicht vollkommen schutzlos gestellt. Gehören sie dem Haushalt des Vermieters an, rechtfertigt ihr Wohnbedarf eine Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ohne Rücksicht auf etwaige verwandtschaftliche Bindungen.

Die Kündigung ist auch nicht wegen Vorliegens eines anderen “berechtigten Interesses” i.S.v. § 573 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Der Wohnbedarf von nicht unter § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB fallenden Dritten kann im Einzelfall ein sonstiges berechtigtes Interesse im Sinne von § 573 Abs. 1 BGB begründen, etwa wenn der Vermieter beabsichtigt, Pflegepersonal, das nicht zu seinem Hausstand gehört, in einer ihm gehörenden Wohnung unterzubringen (vgl. Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 573 Rn. 53 m.w.N.). Ein derartiges Interesse liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor. Soweit der Kläger vorgetragen hat, die Zeugin T solle auch deshalb in die Wohnung der Beklagten einziehen, um ihm “rund um den Haushalt und das Ladenlokal” zur Hand zu gehen, dies auch vor dem Hintergrund eines verschlechterten Gesundheitszustandes, so ist dieser (weitere) Grund in der Kündigung vom 08.09.2017 überhaupt nicht aufgeführt. Nach dem gesamten Inhalt der Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht dies auch nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Vortrag zum verschlechterten Gesundheitszustand ist bereits für sich genommen zu vage und unsubstantiiert. Ein konkreter zukünftiger Pflegebedarf geht aus dem Vortrag nicht hervor. Die Zeugin selbst hat zwar bekundet, sie und ihr Ehemann sollten dem Kläger auch in der von ihm geführten Gastronomie zur Hand gehen und ihr Ehemann sich dort einarbeiten. Dass es hierzu aber der Unterbringung in der Wohnung der Beklagten bedarf, ist weder dargetan noch geht dies aus der Aussage der Zeugin T hervor. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Gastronomiebetrieb des Klägers nicht in dem streitgegenständlichen Mehrfamilienhaus in P, sondern in Köln befindet. Ein besonderer Grund für die Unterbringung im eigenen Haus des Klägers ist daher nicht ersichtlich. Soweit der Kläger gesundheitliche Bedürfnisse geltend gemacht hat, sind diese von der Zeugin nicht als Grund für den geplanten Umzug nach P angeführt worden.”