AMV im Lichte der Presse:

 

Berliner Zeitung am 18.06.2020: Stadtentwicklung Spandau erhält zwei Milieuschutzgebiete

Die Gefahr, dass Mieter durch teure Sanierungen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, besteht nicht nur in der City. Deswegen sollen nun auch die Haushalte im westlichsten Bezirk der Stadt besser geschützt werden.

Nach Spandau zogen in den vergangenen Jahren viele Mieter, die aus der Innenstadt verdrängt wurden. Doch jetzt drohen in den bisher noch preisgünstigen Altbauvierteln des Bezirks auch teure Sanierungen und Verdrängung. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat deswegen am Mittwoch die ersten beiden Milieuschutzgebiete für Spandau beschlossen – unter maßgeblicher Mitwirkung eines Stadtrats der CDU. Dabei steht die Partei Regulierungen auf dem Immobilienmarkt sonst eher kritisch gegenüber.

„Die Ausweisung der beiden Milieuschutzgebiete ist notwendig geworden, um städtebaulich unverträgliche Aufwertungsmaßnahmen zu vermeiden und die Mieter vor Verdrängung zu schützen“, sagt Baustadtrat Frank Bewig (CDU). Die rechtlichen Voraussetzungen dafür lägen vor. Das habe eine Untersuchung ergeben, die das Bezirksamt in Auftrag gegeben hat. „Danach unterliegt mittlerweile auch Spandau aufgrund der steigenden Nachfrage nach gut ausgestatteten Miet- und Eigentumswohnungen einem wachsenden Aufwertungsdruck – vor allem in den Altbaugebieten“, sagt Bewig.

Für zwei Altbaugebiete des Bezirks, die Wilhelmstadt sowie die Spandauer Neustadt, wurde jetzt der Milieuschutz beschlossen. Das Milieuschutzgebiet der Spandauer Neustadt erstreckt sich nördlich vom Falkenseer Platz rund um die Schönwalder Straße bis zum Askanierring. Dort leben etwa 18.800 Menschen in zirka 9.800 Wohnungen. Etwa 89 Prozent der Wohnungen sind einfach, aber zeitgemäß ausgestattet. Die Miete beläuft sich im Mittel auf 6,80 Euro je Quadratmeter (kalt). 17 Prozent der Haushalte haben ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze. Zum Milieuschutzgebiet der Wilhelmstadt gehören die Wohnquartiere rund um Pichelsdorfer Straße und Klosterstraße – von der Heerstraße im Süden bis zum Brunsbütteler Damm im Norden. Hier leben rund 23.000 Menschen in rund 14.500 Wohnungen. Rund 84 Prozent der Wohnungen sind einfach, aber zeitgemäß ausgestattet. Die mittlere Miete beläuft sich auf 7,17 Euro je Quadratmeter (kalt). Hier haben sogar 23 Prozent der Haushalte ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze.

Viele Menschen leben teilweise schon 30 Jahre lang in ihrer Wohnung. Mit der Ausweisung der beiden Milieuschutzgebiete sind Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen in den Quartieren künftig genehmigungspflichtig. Erteilt werden Genehmigungen nur in bestimmten Fällen. Bauliche Veränderungen bedürfen ebenfalls einer Zustimmung. „Wir wollen erreichen, dass die städtebaulichen Strukturen erhalten bleiben und die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Wohnquartier nicht verlassen müssen, nur weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können“, sagt Baustadtrat Bewig. „Ich habe immer gesagt, ich verschließe mich dem Instrument des Milieuschutzes nicht“, so Bewig. „Aber es muss auch gerichtsfest sein.“ Das sei nun tatsächlich gelungen. „Klar ist aber auch: Der Milieuschutz ist kein Allheilmittel“, sagt Bewig. Der Neubau preiswerter Wohnungen sei genauso nötig, um für eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen.

„Gleichzeitig wollen wir durch den Milieuschutz sinnvolle Modernisierungen nicht grundsätzlich verhindern“, so der Stadtrat. „Ich will schließlich keine Käseglocke über die Quartiere stülpen.“ Welche Umbauten in den Milieuschutzgebieten künftig noch möglich sind und welche untersagt bleiben, werde in einem Kriterienkatalog festgelegt. „Ich tendiere beispielsweise dazu, den Anbau von Aufzügen zu genehmigen, um den barrierefreien Zugang zu Wohnungen zu ermöglichen“, sagt Bewig. Der Einbau einer zweiten oder dritten Toilette müsse aber nicht sein. „Den Ausbau von Dachgeschossen halte ich für sinnvoll, um neuen Wohnraum zu schaffen, eine Zusammenlegung von Wohnungen dagegen nicht”, so der Baustadtrat.

Mietervertreter loben den besseren Schutz der Mieter. „Die Auswirkungen der wachsenden Stadt Berlin sind bereits seit längerem in Spandau deutlich spürbar“, sagt Marcel Eupen, Chef des Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbundes (AMV). „Von daher begrüßen wir es sehr, dass Spandau nun seine ersten beiden Milieuschutzgebiete bekommt.“ Eupen hatte als Leiter des parteiübergreifenden Runden Tischs „Milieuschutzgebiete in Spandau“ die Entscheidung mit vorbereitet. Zwar sei Milieuschutz kein Instrument, um Mieterhöhungen zu verhindern, doch biete er Mietern einen Schutz vor sozialer Verdrängung, vor Luxussanierungen und der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum, so Eupen.

Zufrieden zeigt sich auch die Linke, die bereits im März 2017 für Milieuschutzgebiete in der Havel-Stadt geworben hatte. „Endlich kommt der Milieuschutz auch nach Spandau und genau dorthin, wo er benötigt wird“, sagt die Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer. Die Neustadt sei durch die bevorstehende Schließung des Flughafens Tegel besonders davon bedroht, dass Wohnungen baulich aufgewertet und in Eigentum umgewandelt werden. Das könnte genau wie in der Wilhelmstadt zur Verdrängung der dortigen Bevölkerung führen. Für Lars Leschewitz, den Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion in der BVV, ist das aber erst der Anfang. Er kündigt an, „auch die anderen Ortsteile Spandaus genau im Blick“ zu behalten und bei Bedarf weitere Milieuschutzgebiete auszuweisen. Eines davon dürfte die Siemensstadt sein, die von Siemens zu einem Zukunftscampus umgestaltet werden soll. Unter dem Strich erhöht sich die Zahl der Milieuschutzgebiete in Berlin durch den Zuwachs in Spandau von 61 auf 63. In ihnen leben insgesamt rund 955.800 Menschen in 506.300 Wohnungen.

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/spandau-erhaelt-zwei-milieuschutzgebiete-li.88154