Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

 
Ist 3 § MietenWoG Bln verfassungswidrig?

Die Antwort des Amtsgerichts Mitte (AG Mitte – 113 C 5055/19, Beschluss vom 18.05.2020) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Mitte in seiner vorgenannten Entscheidung unter IV. bis VI. wie folgt aus: „Die hier relevante Vorschrift des MietenWoG Berlin – das Verbot, eine höhere Miete zu fordern, als die am Stichtag vereinbarte – ist verfassungswidrig.

Dem Land Berlin fehlt es bereits an der Gesetzgebungskompetenz zum Erlass eines derartigen generellen Mieterhöhungsverbotes. Die Regelung unterfällt dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Bürgerliches Recht), damit der konkurrierenden Gesetzgebung. Da der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz hier umfassend Gebrauch gemacht hat, scheiden ergänzende oder gar abweichende landesgesetzliche Regelungen aus. Der frühere Kompetenztitel Wohnungswesen, der seit der “Föderalismusreform” nicht mehr insgesamt der konkurrierenden, sondern größtenteils der Ländergesetzgebung unterfällt, kann als Kompetenzgrundlage nicht herangezogen werden (im Ergebnis ebenso: Abramenko, AnwBI Bln 2019, 418; Beuermann, GE 2019, 841; Feldmann, GE 2019, 1469; Knauthe, ZfIR 2019, 509; Papier, Rechtsgutachten – Landeskompetenz zur Einführung eines sogenannten Mietendeckels, 16; ders., DRiZ 2019, 380, 381; Pickert, GE 2019, 954; Schede/Schuldt, NVwZ 2019, 1572; dies., AnwBI BIn 2019, 414; Stelzer, GE 2019, 1473; Wichert, GE 2019, 1356; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Gutachterliche Stellungnahme, WD 3 – 3000 – 149/19, 3 ff.; Wolfers/Opper, DVBI. 2019, 1446; 1447; LG Berlin aaO).

Das Mietpreisrecht ist grundsätzlich Teil des sozialen Mietrechts, das nach ganz allgemeiner Auffassung traditionell eine Materie des bürgerlichen Rechts ist. Das Wohnungswesen demgegenüber umfasst öffentlich-rechtliche Maßnahmen zur Wohnraumbeschaffung und zur Wohnraumnutzung. Die hier relevante Norm ist eindeutig eine solche des Mietpreisrechts, auch wenn das MietenWoG versucht, sich durch Formulierungen, die von den parallelen Formulierungen des BGB teilweise absetzen, das Mäntelchen des Verwaltungsrechts überzuwerfen.

Mietverhältnisse sind Vertragsverhältnisse unter Privaten. Wohnungen werden nicht durch Verwaltungsakt zugewiesen. In Vertragsverhältnissen sind Leistung und Gegenleistung primäre Vertragspflichten. Die Vereinbarung der Miethöhe ist deshalb untrennbar mit dem Mietverhältnis und damit mit dem bürgerlichen Recht verbunden.

Im Rahmen des sozialen Mietrechts – gegründet auf der Sozialbindung des Eigentums – beschränkt das BGB selbst die ansonsten zwischen den Parteien bestehende Vertragsfreiheit, wobei das BGB einen sozial ausgewogenen Interessenausgleich zwischen den naturgemäß widerstreitenden Interessen sowohl des Mieters als auch des Vermieters versucht. So verschließt das BGB dem Vermieter die ansonsten in Dauerschuldverhältnissen gegebenen Möglichkeiten, die Gegenleistung zu erhöhen, weitestgehend. Weder können in Mietverträgen Preissteigerungen frei vereinbart werden, noch sind Änderungskündigungen möglich. Die Möglichkeiten für zeitlich befristete Verträge sind ebenso wie die Möglichkeiten zur Kündigung erheblich eingeschränkt. Als Ausgleich sieht das BGB eine Verpflichtung des Mieters vor, einer vertraglichen Vereinbarung zur Änderung der Miethöhe unter bestimmten Voraussetzungen zuzustimmen. Zu diesen Voraussetzungen gehören im bürgerlichen Recht auch Fristen. § 558 Abs. 1 BGB enthält gesetzliche Fristen für Erhöhungen oder andersherum: § 558 Abs. 1 BGB verbietet dem Vermieter, vor Ablauf der Fristen des § 558 BGB eine Zustimmung zur Mieterhöhung zu verlangen.

Wenn nun § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln faktisch dem Vermieter versagt, ohne Rücksicht auf die Fristen des BGB eine Mieterhöhung zu verlangen, so steckt dahinter im Zusammenspiel mit Art. 4 Abs. 2 des Berliner Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 11. Februar 2020 – diese Vorschrift regelt das Außerkrafttreten des MietenWoG fünf Jahre nach Inkrafttreten – letztlich nichts anderes als eine Verlängerung der durch das BGB in § 558 Abs. 1 enthaltenen Frist um fünf Jahre. Genau das ist der Regelungsinhalt, genau das ist mit dem Gesetz auch gewollt. Die Überschrift des Paragrafen “Mietenstopp” ist bezeichnend. Die Vorschrift greift damit direkt in das Mietpreisrecht des BGB ein, durchbricht den im BGB vorgenommene Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter und ist damit dem Mietpreisrecht und folglich dem bürgerlichen Recht zuzuordnen. Dafür fehlt dem Land die Gesetzgebungskompetenz.

Die Kompetenzüberschreitung des Landesgesetzgebers lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass das MietenWoG einige in der Tat rein öffentlich-rechtliche Regelungen enthält. Tatsächlich sind diese öffentlich-rechtlichen Normen nämlich marginal und wirken nicht lediglich quasi bei Gelegenheit der Regelung des Wohnungswesens auf das Bürgerliche Recht. Der zentrale Schwerpunkt des Gesetzes liegt ganz eindeutig darin, die Regelungen des BGB zur Miethöhe und Mieterhöhung zu verschärfen.

Weder enthält das Gesetz irgendwelche ernsthaften Regelungen zu öffentlich gefördertem Wohnraum oder Wohnraumbewirtschaftung, was üblicherweise ein zentraler Aspekt von Regelungen im Wohnungswesen wäre. Die Zuschussmöglichkeit des § 9 bei genehmigter Überschreitung des Miethöchstbetrages verweist letztlich nur auf andere Gesetze. Noch enthält das Gesetz abgesehen von der Verhängung von Bußgeldern – ernsthafte Tätigkeitsfelder für die Verwaltung. Selbst die in dem ursprünglichen Gesetzentwurf enthaltene Möglichkeit, Bestandsmieten durch Verwaltungsakt abzusenken (§ 2 Abs. 2 Satz 3 des Entwurfes ermächtigte die Bezirksämter noch, überhöhte Mieten zu untersagen), enthält das Gesetz nicht, sondern überantwortet dies dem Zivilrecht. Der verwaltungsrechtliche Gehalt beschränkt sich im Wesentlichen darauf, Bußgelder für etwas verhängen zu können, was das BGB erlaubt, Auskünfte einzuholen, zu Überwachen und Daten zu verwalten.

Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt also sehr eindeutig auf der Regulierung der Miethöhe und der Verhinderung von Mieterhöhungen, wobei weitestgehend das Instrumentarium des BGB – Fristen für Mieterhöhungen, Beschränkung der Höhe von Mieterhöhungen durch die Regelungen zur ortsüblichen Vergleichsmiete, Indexmiete und Staffelmiete, Begrenzung der Miethöhe bei Neuvermietungen – aufgegriffen und verschärft wird. Lediglich die in §§ 5 ff MietenWoG ermöglichte Absenkung von Bestandsmieten sieht das BGB – außer bei Neuvermietungen – bislang nicht vor. Auch das ist aber nicht Verwaltungsrecht – zumal der Mieter dies nach den Vorschriften des Zivilrechts selbst vor den Zivilgerichten durchzusetzen hätte – sondern Bürgerliches Recht. Und auch da ist die Regelung des BGB als umfassend und die Gesetzgebungskompetenz des Landes als nicht gegeben anzusehen.

An diesem Befund ändert auch nichts der Umstand, dass das MietenWoG krampfhaft, die Formulierungen des BGB zu vermeiden und andere wählt. Im hier interessierenden Fall werden nicht etwa Mieterhöhungen verboten, sondern nur “eine Miete”. Bei Neuvermietungen wird wörtlich keineswegs der Abschluss eines Mietvertrages mit höheren Miete verboten, wohl aber das Fordern höherer Mieten. Selbst die Ausnahmeregelungen für den Anwendungsbereich des Gesetzes für neugeschaffenen Wohnraum (§ 1 Nr. 3 MietenWoG) bildet man zwar der Ausnahmevorschrift des § 556 f BGB nach, formuliert aber etwas anders, um das zu maskieren. Auch Bezugnahmen auf BGB-Vorschriften meidet man im Gesetzestext und versteckt sie in der Begründung. Inhaltlich und vor allem wirtschaftlich ist das schlicht das Gleiche.

Tatsächlich eröffnet das BGB selbst an einigen Stellen dem Landesgesetzgeber Möglichkeiten der Regelung – § 556d Abs. 2 BGB, § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB – und macht damit deutlich, dass die Regelungen ansonsten abschließend und der Landesgesetzgebung nicht zugänglich sind (was im Übrigen auch allgemein so anerkannt ist und nie Gegenstand der Begründungsversuche des Landesgesetzgebers war- siehe Beschlussvorlage des Senats an das Abgeordnetenhauses – Seite 14)

Damit scheidet aber auch die von einigen Autoren und vom Landesgesetzgeber bemühte Gesetzgebungskompetenz “Wohnungswesen” zur Rechtfertigung aus (so Fischer-Lescano/Guttmann/Schmid, Rechtsgutachten – Landeskompetenzen für Maßnahmen der Mietpreisregulierung, 20; Mayer, DRiZ 2019, 380; Mayer/Artz, Rechtsgutachten – Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Aspekte eines “Mietendeckels” für das Land Berlin, 36; Putzer, NVwZ 2019, 283; Weber ZMR 2019, 389 Gather/v.RestorffRRödl im “Verfassungsblog” 26.11.2019). Die fraglichen Normen sind der Sache nach keine Normen zur Regelung des Wohnungswesens, sondern es sind Mietpreisnormen und damit bürgerlich-rechtliche Normen.

Schon ein Blick in die amtliche Begründung zur “Föderalismusreform” zeigt, was mit “Wohnungswesen” gemeint und was eben nicht gemeint ist: Beim Bund sollten die jetzt in Art 74 Nr. 18 GG geregelten Aspekte verbleiben, also städtebaulicher Grundstücksverkehr, Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht. Den Ländern wurden lediglich noch die – wie es in der Begründung (BT-Drucksache 16/813, S. 13) deutlich heißt – “übrigen Bereiche des Wohnungswesens”, nämlich die Regelung des Wohngeld-, Altschuldenhilfe-, Wohnungsbauprämien-, des Bergarbeiterwohnungsbau- und Bergmannsiedlungsrechtes sowie des Rechts der sozialen Wohnraumförderung, den Abbau von Fehlsubventionierungen im Wohnungswesen, das Wohnungsbindungs- und das Zweckentfremdungsrecht im Wohnungswesen sowie das Wohnungsgenossenschaftsvermögensrecht überlassen.

Das Mietpreisrecht als Ganzes ist nicht erwähnt und kann deshalb allenfalls dann als Teil der Kompetenz “Wohnungswesen” begriffen werden, wenn es im Zusammenhang mit der Wohnbauförderung steht, also bei vom Land in dem Rahmen geförderten Wohnraum, evtl auch bei städtischen Immobilien und solchen der städtischen Wohnungsbaugenossenschaften, wenn man diese als Instrument der Wohnraumförderung begreift, nicht aber beim gesamten Wohnungsmarkt (siehe Papier, a.a.O., 14; Schede/Schuldt, a.a.O., 1576; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, a.a.O., 4). Interessanterweise ist nun gerade der geförderte Wohnraum, bei dem das Land wohl mit Recht preisgestaltende Normen treffen könnte, vom Geltungsbereich des MietenWoG ausgenommen (§ Nr. 1 MietenWoG).

Auch ein Blick in die amtliche Begründung eines weiteren Gesetzes hilft weiter: Laut amtlicher Begründung zur Einführung der “Mietpreisbremse” (= Bürgerliches Recht) sollen die §§ 556 d ff BGB der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus nachgefragten Quartieren entgegen wirken, Wohnraum bezahlbar erhalten und Verdrängungsmaßnahmen vermindern (BT-Drucks. 447/14, S.11). Das sind just in weiten Teilen die Punkte, die der Landesgesetzgeber jetzt heranzieht, um zu begründen, dass seine Regelungen andere Gründe, als die dem bürgerlichen Recht zugrunde liegenden haben

Selbst wenn man das Verbot des § 3 Abs. 1 Mieten WoG nicht ausschließlich dem bürgerlichen Recht zuordnen wollte, sondern eine Einordnung unter den Bereich “Wohnungswesen” für möglich hielte, hätte das Land Berlin hier unter dem Gesichtspunkt der bundesstaatlichen Rücksichtnahme und dem Gebot der Widerspruchsfreiheit von Bundes- und Landesrechts seine Gesetzgebungskompetenz überschritten. Diese Grundsätze setzten der Kompetenzausübung der Länder Schranken, indem sie es dem Landesgesetzgeber verwehren, konzeptionelle Entscheidungen des Bundesgesetzgebers durch eine auf einer landeseigenen Spezialkompetenz gründende Einzelentscheidung zu verfälschen. Es ist untersagt, inhaltlich gegenläufige Regelungen an den Normadressaten zu richten, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen (vgl. BVerfG, Urt. v. 27. Oktober 1998 – 1 BvR 2306/96, BVerfGE 98, 265). Der Bundesgesetzgeber hat ein einheitliches System zur Regelung von Mieterhöhungen in laufenden Mietverhältnissen geschaffen. Der Landesgesetzgeber greift genau in dieses System ein und hebelt es – und zwar nicht bloß “zufällig” und in Einzelfällen, sondern ganz bewusst und umfassend – aus (s.o.).

V.

Selbst wenn man im Übrigen im Prinzip eine Kompetenz des Landes für das MietenWoG bejahen wollte, bliebe noch immer ein Normkonflikt zwischen dem BGB einerseits, das dem Kläger hier einen Anspruch auf Zustimmung zur Mieterhöhung gibt, und dem MietenWoG, das die Mieterhöhung verbietet, andererseits, festzustellen. Diesen Konflikt löst Art. 31 GG. Das Bundesrecht geht vor (was gem. Art 100 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. ebenfalls dem BBVerfG vorzulegen wäre).

Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass über § 134 BGB das Bundesrecht selbst Möglichkeiten aufzeigt, durch Verbotsnormen das Miethöherecht zu beeinflussen.

Grundsätzlich entspricht es zwar dem Wertesystem des BGB, dass öffentlich-rechtliche Normen (Bundesrecht wie Landesrecht) auch Wirkungen im Zivilrecht entfalten. § 903 Satz 1 BGB wäre eine Beispielsnorm, die einen solchen Eingang von Verbotsnormen ermöglicht, §§ 134, 135, 136 und 138 BGB sind weitere. Rein systematisch bestehen also keine Bedenken, über § 134 BGB auch einem landesgesetzlichen Verbot im Zivilrecht Geltung zu verschaffen. Tatsächlich beschäftigt sich aber das MietenWoG inhaltlich nicht nur mit einem Thema, das das BGB selbst umfassend und abschließend regelt, sondern das MietenWoG enthält auch ein Verbot, das nicht in manchen Einzelfällen andere Ergebnisse bringt, als die Regelungen des BGB, wie dies bei gesetzlichen Verboten, die über § 134 wirken, sonst der Fall ist, sondern das MietenWoG enthält ein Verbot, das generell die Regelungen des BGB für nahezu alle Fälle aushebelt.

Anders als andere Verbotsgesetze, die im Einzelfall wirken, enthält das MietenWoG auch keine Regelungen für drastische Einzelfälle, sondern das MietenWoG betrifft – von geringen Ausnahme abgesehen – fast den gesamten Wohnungsbestand der Stadt. Ein solches Verbot fügt sich nicht über § 134 BGB harmonisch in das Regelungssystem des BGB ein, sondern es unterläuft die eindeutigen Regelungen des BGB.

Würde man Verbotsnormen der Länder, die ganz konkret und gezielt zivilrechtliche Regelungen des Bundesgesetzgebers außer Kraft setzen oder abändern, nicht über Art 31 GG als “gebrochen” ansehen, würde den Ländern über diesen Weg letztendlich eingeräumt, die Bundeskompetenz in Zivilsachen zu unterlaufen.

VI.

Eine verfassungskonforme Auslegung des Verbotes aus § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG ist nicht möglich.

Jede Auslegung, die versucht, den verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Wege zu gehen – siehe die Versuche einiger Berliner Amtsgerichte – muss dazu führen, zwei verschiedene Regelwerke unabhängig voneinander nebenher laufen zu lassen, was aber zu völlig divergierenden Ergebnissen führt – s.o. – die Einheit der Rechtsordnung zerstört und insbesondere entweder den wirtschaftlichen Sinn und Zweck der BGB-Regelungen aushebelt oder den Sinn und Zweck des MietenWoG negiert. Beide Gesetze sind – bewusst vom Landesgesetzgeber so gestaltet – so miteinander verzahnt, dass eine die Verfassungsmäßigkeit rettende Auslegung ausscheidet.”