Aus der Rubrik “Mieterinformationen”:

Spandauer Volksblatt am 02.09.2020 – Spandau: “Mietendeckel-Warteschleife”

Mieterhöhung trotz “Mietendeckel”?

Spandaus Mieterinnen und Mieter in der “Mietendeckel-Warteschleife”
Mieterhöhungen sind doch aufgrund des “Mietendeckels” in Berlin zurzeit verboten oder?

Obwohl in Berlin am 23.02.2020 das Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung (MietenWoG Bln) und damit der sog. “Mietendeckel” in Kraft getreten ist, erhöhen Vermieterinnen und Vermieter munter die Miete weiter, so als ob ein Mietendeckel in Berlin nicht existiere.
Sind derartige Mieterhöhungen wirksam?

Kernpunkte des MietenWoG Bln (Mietendeckel) in der Theorie

Der Mietendeckel ist eine allgemeine Mietpreisbegrenzung für fünf Jahre
Kern des Gesetzes ist die öffentlich-rechtliche Begrenzung der Mieten in Berlin für fünf Jahre.
Ausgenommen vom Mietendeckel sind:
– Wohnungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus,
– mit Mitteln aus öffentlichen Haushalten zur Modernisierung und Instandsetzung geförderte Wohnungen mit Mietpreisbindung,
– Wohnheime,
– Trägerwohnungen
– sowie alle ab Anfang 2014 erstmals bezugsfertigen Neubauten oder Wohnungen, die mit einem dem Neubau entsprechendem Aufwand aus dauerhaft unbewohnbarem Wohnraum wiederhergestellt wurden (bspw. in einer ehemaligen Bauruine).
Verstöße durch die Vermietenden gegen die Anforderungen des Berliner Mietengesetzes können als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 € geahndet werden.
Doch wie sieht die Praxis aus?

Mieterhöhungen nach Inkraftreten des MietenWoG Bln

Ein Beispiel:
Die Covivio Immobilien GmbH wandte sich mit Schreiben vom 27.07.2020 namens und in Vollmacht der Vermieterin, der Covivio Quadriga 40 GmbH, an ihren Mieter in der Spandauer Wilhelmstadt und teilte diesem mit, dass sie beauftragt sei, eine Mieterhöhung zum 01.10.2020 vorzunehmen. Sodann erfolgte die Neuberechnung der Miete für die 52 m² große Wohnung von bisher 324,64 € um 26,36 € auf 351,00 €. Dies entspricht einer Nettokaltmiete von 6,75 €/m².
In dem Mieterhöhungsschreiben heißt es u.a. wie folgt:
Einverständniserklärung zur Mieterhöhung

“Wir bitten Sie uns Ihre gesetzlich erforderliche vorbehaltslose Zustimmung zur Mieterhöhung bis spätestens zum 30.09.2020 (Ablauf der Zustimmungsfrist) mittels Unterzeichnung und Rücksendung der beiliegenden Durchschrift im frankierten Umschlag zu erteilen.
Rechtliche Aufklärung insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzgebung in Berlin
Aufgrund des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln), siehe Anlage 1, können wir gemäß §§ 558 BGB die Zustimmung zur Erhöhung der Grundmiete verlangen. Wenngleich wir den Betrag während der Geltungsdauer des Gesetzes weder fordern noch entgegennehmen dürden.
Sofern das MietenWoG Bln ganz oder in Teilen für verfassungswidrig erklärt wird, werden wir entsprechend der dann gültigen Rechtslage rückwirkend die Zahlung der Mieterhöhung verlangen.”
Das vorstehende Mieterhöhungsverlangen der Covivio Immobilien GmbH dient lediglich als Beispiel uns steht stellvertretend für andere Mieterhöhungen. Inzwischen werden derartige Mieterhöhungen als “Schattenmieterhöhungen” betitelt.

Wie sollen Spandauer Mieterinnen und Mieter auf eine derartige Mieterhöhung reagieren?

Die Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin, die u.a. für Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Amtsgerichts Spandau (aber auch für Entscheidungen des Amtsgerichts Mitte und damit für Mieterinnen und Mieter aus Mitte, Prenzlauer Berg und Tiergarten) zuständig ist, hält die in § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln landesrechtlich angeordnete Mietpreisbegrenzung und damit den Mietendeckel für verfassungswidrig (LG Berlin – 67 S 274/19, Beschluss vom 12.03.2020; LG Berlin – 67 S 109/20, Beschluss vom 06.08.2020). Dem Land Berlin fehle insoweit jede Gesetzgebungskompetenz, da der Bund in Ausfüllung der umfassend auch das Mietrecht für preisfreien Wohnraum umgreifenden Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 BGB das Recht zur Mieterhöhung und Mietpreisvereinbarung in den §§ 556 d ff., 557, 558 ff., 559 ff. BGB abschließend geregelt habe. Diese Regelungen entfalteten Sperrwirkung für jeden Landesgesetzgeber und damit auch für das Land Berlin.
Die Zivilkammer 67 setzt aus diesem Grund Berufungsverfahren zu Mieterhöhungen zurzeit aus und legt die Frage, ob Art. 1 § 3 MietenWoG Bln in der Fassung vom 11. Februar 2020 (GVBl. 2020, 50) mit Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m §§ 557 Abs. 1, 558 Abs. 1 und 2 BGB unvereinbar und deshalb nichtig sei, dem Bundesverfassungsgericht  zur Beantwortung und Entscheidung vor. Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts steht aus und wird wohl nicht vor Frühsommer 2021 erfolgen.
Spandaus Mieterinnen und Mieter befinden sich damit bei “Schattenmieterhöhungen” in der “Mietendeckel-Warteschleife”, und zwar so lange, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Sollte das Bundesverfassungsgericht sich der Rechtsauffassung der Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin anschließen und den Mietendeckel für verfassungswidrig erachten, wären Mieterhöhungen zurzeit möglich. Wenn hingegen das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel für verfassungsgemäß halten sollte, würden Mieterhöhungen zurzeit gegen den Mietendeckel verstoßen.

Fazit:

Für Spandaus Mieterinnen und Mieter besteht im Falle des Erhalts einer Mieterhöhung ein großes Prozess- und Kostenrisiko, wenn sie der Mieterhöhung nicht zustimmen sollten, da nicht vorausgesagt werden kann, wie das Bundesverfassungsgericht letztendlich entscheiden wird.
Bei Erhalt einer Mieterhöhung sollte auf jeden Fall eine juristische Beratung in Anspruch genommen werden.
https://www.berliner-woche.de/spandau/c-soziales/mieterhoehung-trotz-mietendeckel_a285736