Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Steht § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bin einem vor dem Senatsbe­schluss vom 18.06.2019 zugegangen Mieterhöhungsverlangen, dessen Wirkung der Vertragsänderung erst nach dem Stichtag eintritt, entgegen?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 65 S 99/20, Urteil vom 30.07.2020) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 1. c) wie folgt aus: „§ 3 Abs. 1 MietenWoG steht dem Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten nicht entgegen.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln ist – vorbehaltlich hier nicht gegebener weiterer Regelungen – eine Miete verboten, die die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet.

Das hier gegenständliche Mieterhöhungsverlangen datiert vom 12. Juni 2019.

Die Kammer hat bereits entschieden, dass § 3 Abs. 1 MietenWoG einem Mieterhöhungsverlangen nicht entgegenstehen kann, dessen Wirkungen nach § 558bAbs. 1, 2 BGB (iVm § 894 ZPO) vor dem definierten Stichtag eintreten (vgl. LG Berlin [ZK 65], Urt. v. 27.05.2020 – 65 S 233/19, zVv; vgl. ebenso: AG Charlottenburg, Urt. v. 04.03.2020 – 213 C 136/19, Schultz, Grundeigentum 2020, 168, [172]; wohl auch: Tietzsch, WuM 2020, 121, [129]; aA LG Berlin [ZK 67], Beschluss vom 12.03.2020 – 67 S 274/19, für eine Mieterhöhung mit Wirkung zum 01.06.2020). Die Kammer hat in dem vorgenannten Verfahren (65 S 233/19) wegen der abweichenden Auffassung einer anderen Kammer des LG (noch) die Revision zugelassen. Inzwischen ist die Entscheidung des BGH vom 29. April 2020 (VIII ZR 355/18) veröffentlicht, aus der sich ergibt, dass der für Wohnraummietsachen zuständige VIII. ZS des BGH die Rechtsfrage wie vorstehend dargestellt beantwortet hat.

Dem Ansatz zugrunde liegt, dass der Landesgesetzgeber mit dem in § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln definierten Stichtag ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. zuletzt: Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, Begründung der Beschlussempfehlung v. 21.01.2020, S. 6) verhindern wollte, dass die Umsetzung der (geplanten) Vorschrift bereits vor ihrem Inkrafttreten durch Ausnutzung der bisherigen Rechtslage vereitelt wird. Er sah die Gefahr, dass Vermieter die lange Dauer der politischen Diskussion und des sich anschließenden Gesetzgebungsverfahrens nutzen könnten, um noch vor Inkrafttreten des Gesetzes eine Mieterhöhung zu erwirken.

Aus Sicht der Kammer greifen die den o. g. Entscheidungen des BGH und der Kammer zugrunde liegenden Erwägungen auch, wenn das Mieterhöhungsverlangen vor dem Stichtag erstellt worden ist, die Wirkung der Vertragsänderung – wegen § 558b Abs. 1 BGB (iVm § 894 ZPO) aber erst nach dem Stichtag eintritt (vgl. Kammer, Urt. v. 10. Juni 2020 – 65 S 55/20).

Ein Mieterhöhungsverlangen, das vor dem Senatsbeschluss vom 18. Juni 2019 abgefasst wurde, begründet die vom Landesgesetzgeber beschriebene Gefahrenlage ebenso wenig wie ein solches, dessen Wirkungszeitpunkt (zusätzlich) vor dem Stichtag liegt, denn es ist – in beiden Fällen – in Unkenntnis des Senatsbeschlusses an den Mieter gerichtet worden.

Der Landesgesetzgeber geht in der Begründung des Gesetzentwurfes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung davon aus, dass (erst) ab dem 18. Juni 2019 mit dem Beschluss der “Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz (Mietendeckel)” durch den Senat und dessen – eben deshalb veranlasster – Veröffentlichung öffentlich bekannt war, dass der Tag des Senatsbeschlusses als Anknüpfungspunkt für das künftige in § 3 Abs. 1 MietenWoG geregelte Verbot dienen soll. Frühestens ab diesem Zeitpunkt waren Inhalte der beabsichtigten Regelungen in ihren Umrissen vorhersehbar (vgl. LT-Drs. 18/2347, S. 24).

Die zuständige Senatsverwaltung wurde auch erst mit dem Senatsbeschluss mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes beauftragt und damit die Einleitung des (förmlichen) Gesetzgebungsverfahrens für einen “Mietendeckel” konkret in Aussicht gestellt. Im Zeitpunkt des Senatsbeschlusses vom 18. Juni 2019 gab es noch nicht einmal einen Referentenentwurf; dieser lag erst Ende August 2019 vor.

Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es nicht vertretbar, an den Beginn der allgemeinen (politischen) Diskussion eines Regelungsthemas so weitreichende Rechtsfolgen zu knüpfen – wie hier – ein an den Vermieter gerichtetes Verbot, seinen Anspruch aus geltenden Vorschriften des sozialen Wohnraummietrechts des BGB zu verfolgen. Eben dies war – den Gesetzesmaterialien zufolge – auch nicht der Sinn und Zweck der Stichtagsregelung. Zudem hat der Landesgesetzgeber sich ausdrücklich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen bewegen wollen, die der Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Verhältnismaßigkeitsprinzip ihm auch bei unterstellter Annahme einer unechten Rückwirkung setzen (vgl. Änderungsantrag v. 21. Januar 2020, aaO, S. 6).”