Archiv für den Monat: Dezember 2020

Aus der Rubrik “Gerichtsentscheidungen”:

BGH – VIII ZR 123/20, Urteil vom 18.11.2020: Sachverständigengutachten schlägt Berliner Mietspiegel
Der Ber­li­ner Miet­spie­gel ist eine ge­eig­ne­te Schät­zungs­grund­la­ge, um die orts­üb­li­che Ver­gleichs­mie­te für eine Woh­nung zu er­mit­teln. Bie­tet eine Ver­mie­te­rin aber ein Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten für diese Frage an, steht es dem Ge­richt frei, die­ses an­zu­neh­men, so der Bun­des­ge­richts­hof. Das gelte auch für ein Be­ru­fungs­ge­richt, des­sen Vor­in­stanz sein Ur­teil auf den Miet­spie­gel ge­stützt hat.

Mieterhöhung in Berlin-Spandau

Eine Vermieterin hatte 2017 von der Mieterin ihrer Dreizimmer-Wohnung die Zustimmung zur Nettomieterhöhung um rund 50 Euro pro Monat gefordert, womit diese nicht einverstanden war. Das Amtsgericht Berlin-Spandau zog den Berliner Mietspiegel als Schätzungsgrundlage heran und befand, dass die dort inbegriffene “Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung” keine Erhöhung der von der Mieterin bereits gezahlten Miete begründet habe. Die Vermieterin verfolgte ihr Ziel vor dem Landgericht Berlin weiter. Dieses holte ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein und beschied auf dessen Grundlage, dass das Mieterhöhungsverlangen berechtigt war. Die Mieterin zog nun vor den Bundesgerichtshof, um das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen – jedoch ohne Erfolg.

Landgericht durfte Sachverständigengutachten einholen

Das Berufungsgericht darf dem BGH zufolge von der Einschätzung des Amtsgerichts abweichen und die ortsübliche Vergleichsmiete durch einen Sachverständigen ermitteln lassen. Die Schätzungsgrundlage nach § 287 Abs. 2 ZPO bindet die zweite Instanz nicht: Zwar handele es sich um Feststellungen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sie beruhten aber nur auf einer Schätzung nach § 287 ZPO. Ein Berufungsgericht ist nicht an eine Schätzung gebunden, vielmehr kann es nach den allgemeinen Beweisregeln der Zivilprozessordnung ein Gutachten einholen, wenn es Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen hat.

Sachverständigengutachten ist auf Einzelfall zugeschnitten

Für die betreffende Wohnung sah der Mietspiegel eine Nettokaltmiete zwischen 4,90 und 7,56 Euro/qm vor. Die Vermieterin forderte eine Erhöhung der damaligen 5,03 auf 5,65 Euro/qm ein. Das Amtsgericht hatte alle fünf nach dem Mietspiegel benannten Merkmale, die eine Mieterhöhung begründen, verneint und darauf seine Klageabweisung gestützt. Die Vermieterin bot nun dem Landgericht ein Sachverständigengutachten über die ortsübliche Miete an, welches nicht nur die bezeichneten wohnwerterhöhenden, sondern noch weitere Merkmale berücksichtigte. Die Ermittlung der Vergleichsmiete durch ein Gutachten versprach demnach mehr Erfolg als die Orientierungshilfen für die Spanneneinordnung des Berliner Mietspiegels. Dieser Teil des Mietspiegels unterfalle zudem nicht der Einordnung als “qualifiziert” – hiervon seien nur die Unter- und Obergrenzen der Kaltmiete betroffen.

Das Gericht ist frei

Der Bundesgerichtshof verkennt nicht, dass der Kostenaufwand eines Sachverständigengutachtens zum Streitwert des gerichtlichen Verfahrens außer Verhältnis stehen kann. Die auf dem Mietspiegel beruhende Schätzung wäre für die Entscheidung auch ausreichend gewesen, insbesondere soweit es sich um einen qualifizierten Mietspiegel nach § 558d BGB handele. Biete aber die beweisbelastete Partei – hier die Vermieterin – ein Gutachten an und biete dieses ein höheres Beweismaß als die Schätzung, stehe es dem Gericht frei, es anzunehmen.
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-sachverstaendigengutachten-schlaegt-berliner-mietspiegel

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Fällt ein vor dem gesetzlich festgelegten Stichtag des 18.06.2019 erklärtes Mieterhöhungsbegehren unter den zeitlichen Anwendungsbereich des MietenWoG Bln?
Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 64 T 45/20, Beschluss vom 29.06.2020) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. a) wie folgt aus: „Hier sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO nicht gegeben. Es liegt kein Aussetzungsgrund vor. Auf die Verfassungsmäßigkeit des MietenWoG Bln kommt es im hier zu entscheidenden Fall nicht an, weil das MietenWoG Bln in der hiesigen Sachverhaltskonstellation nicht anwendbar ist.

Das erst am 11.02.2020 in Kraft getretene Gesetz über den “Mietendeckel” (MietenWoG Bln) steht dem klägerischen Anspruch nicht entgegen. Die von der Zivilkammer 67 in ihrem Vorlagebeschluss vom 12.03.2020 vertretene Gesetzesauslegung (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 12.03.2020 – 67 S 274119, GE 2020, 468 ff.) misst dem MietenWoG Bln eine echte Rückwirkung bei, die vorliegend zur Folge hätte, dass der Klägerin eine bereits zur Anwartschaft erstarkte Rechtsposition entschädigungslos entzogen würde. Die Klägerin hatte formwirksam und fristgerecht den Anspruch auf Erhöhung der Miete geltend gemacht, dem sich die Beklagte nach den geltenden Gesetzen nicht mehr entziehen konnte und zwar mit Wirkung auf einen Zeitpunkt, der nicht nur lange vor Inkrafttreten des Gesetzes liegt, an dem Eckpunkte des Gesetzesvorhabens bekannt gemacht wurden. Eine solche echte Rückwirkung hat aber der Berliner Landesgesetzgeber, schon wegen des allein daraus fließenden zusätzlichen Risikos, dass das Gesetz einer verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht standhalten werde, ganz sicher nicht beabsichtigt: Vielmehr hat der Landesgesetzgeber nur nach dem “Stichtag” ausgebrachten MieterhöhungsverIangen entgegen wirken wollen, ohne bereits erworbene Eigentumspositionen zu entziehen oder in schon zu deren Durchsetzung laufende Gerichtsverfahren einzugreifen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 355/18 – Rn. 70 ff. m.w.N. und Rn. 75; LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 25.06.2020 – 64 S 95/20).

Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs folgt weiterhin, dass auch ein vor dem gesetzlich festgelegten Stichtag des 18.06.2019 erklärtes Mieterhöhungsbegehren nicht unter den zeitlichen Anwendungsbereich des MietenWoG Bln fällt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 75; LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 25.06.2020 – 64 S 95/20).”

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist die Kostenposition “Notdienst” in einer Betriebskostenabrechnung umlagefähig?
Die Antwort des Amtsgerichts Hamburg (AG Hamburg – 49 C 363/19, Urteil vom 20.11.2020) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das Amtsgericht Hamburg in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: „Jedoch ergibt sich unter Berücksichtigung des vorgelegten Hausmeistervertrages ein Abzug für nicht umlagefähige Tätigkeiten, die das Gericht unter Berücksichtigung des Leistungsverzeichnisses mit 20 Prozent ansetzt. Dies entspricht einem Abschlag von Euro 327,13 ((222,89 + 1.412,77) x 20%; vgl. Bl. 29 d.A.) bezogen auf die Wohnung des Beklagten. Diese 20 Prozent ergeben sich aus der bedarfsabhängigen Umlage der Kosten des Notdienstes sowie der Concierge-Betreuung. Bei letzterer handelt es sich um “sonstige Betriebskosten“, die vorliegend jedoch nicht als umlagefähig vereinbart worden sind (vgl. LG Berlin WuM 2019, 584), bei ersteren um allgemeine Verwaltungskosten (vgl. LG Berlin GE 2019, 1639; BGH MDR 2020, 339). Letztlich ist insoweit unklar, welchen Umfang die genannten Tätigkeiten der Sache nach ausmachen, wobei beide Parteien ohne weiteres in der Lage sind, hierzu näher vorzutragen. Insgesamt ist ein Abzug von 20 Prozent der Sache nach, nach Aktenlage gerechtfertigt.”

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist die Kostenposition “Allgemeinstrom” in einer Betriebskostenabrechnung umlagefähig?
Die Antwort des Amtsgerichts Hamburg (AG Hamburg – 49 C 363/19, Urteil vom 20.11.2020) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das Amtsgericht Hamburg in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: „Ferner sind die Kosten “Allgemeinstrom“, die in der Abrechnung mit Euro 340,38 zu Buche schlagen, nicht umlagefähig, da es eine derartige Kostenposition nach der Betriebskostenverordnung nicht gibt (vgl. Langenberg/Zähler, Betriebs- und Heizkostenrecht, 9. Aufl., Rn. A172). Umlagefähig sind danach allenfalls die Kosten für die Beleuchtung, die unter “Allgemeinstrom” zwar fallen mögen, daneben beinhaltet die Kostenposition “Allgemeinstrom” aber etwa auch die Kosten des Stroms einer Entlüftungsanlage. Für die Erfassung von Stromkosten, die unabhängig von der Beleuchtung sind, spricht vorliegend die Höhe der Kostenposition, die schwerlich nur mit reinen Beleuchtungskosten für Allgemeinflächen zu Stande zu kommen vermag.”

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist die Kostenposition “Wartungskosten” in einer Betriebskostenabrechnung umlagefähig?
Die Antwort des Amtsgerichts Hamburg (AG Hamburg – 49 C 363/19, Urteil vom 20.11.2020) lautet: Nein!
Zur Begründung führt das Amtsgericht Hamburg in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: „Zum einen ist die Kostenposition “Wartungskosten“, die in der Abrechnung mit Euro 31,27 angesetzt werden, so nicht umlagefähig, da nicht erkennbar ist, um was für Wartungskosten es sich handeln soll. Im Übrigen fehlt es auch an einer Umlagevereinbarung im Mietvertrag.”