Aus der Rubrik “Gerichtsentscheidungen”:

Berliner Zeitung am 07.04.2022 – Keine Mieterhöhung: Amtsgericht Spandau erklärt Mietspiegel 2021 für nichtig
Eine Erhöhung, die der Vermieter mit dem Mietspiegel begründet hat, sei unzulässig, so das Gericht. Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben.
Im Rechtsstreit um eine Mieterhöhung hat das Amtsgericht Spandau den Mietspiegel 2021 für nichtig erklärt und das Mieterhöhungsverlangen eines Vermieters, der sich auf den Mietspiegel berufen hatte, zurückgewiesen. Sollte sich die Rechtsauffassung durchsetzen, was offen ist, hätte dies weitreichende Folgen für laufende und geplante Mieterhöhungsverlangen. Denn diese werden in der Regel mit dem Mietspiegel begründet.
Das Amtsgericht Spandau entschied, dass der Berliner Mietspiegel 2021 kein qualifizierter Mietspiegel ist. Denn qualifizierte Mietspiegel, die nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt werden, dürften nur einmal nach zwei Jahren fortgeschrieben werden – zum Beispiel anhand der Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Da aber bereits der Mietspiegel 2019 auf einer Fortschreibung des Mietspiegels 2017 beruht habe, sei eine erneute Fortschreibung 2021 „rechtlich unzulässig“ gewesen, so das Amtsgericht (AZ 6 C 395/21). „Vielmehr hätte der Mietspiegel neu erstellt werden müssen“, heißt es in dem Urteil. Es stammt vom 10. Januar 2022, wurde aber erst jetzt bekannt.
Das Amtsgericht erklärte zugleich, dass der Mietspiegel 2021 auch „kein einfacher Mietspiegel“ sei. Denn er sei nicht aus den Mieten gebildet worden, die in den vergangenen sechs Jahren geändert oder neu vereinbart wurden. Grundlage des Mietspiegels von 2019 waren noch Mieten aus den vergangenen vier Jahren. Im vorliegenden Fall wurde das Mieterhöhungsverlangen deswegen abgewiesen. Der Vermieter hatte die Miete für eine knapp 39 Quadratmeter große Wohnung im Pillnitzer Weg in Spandau zum 1. September 2021 um 35,70 Euro auf 273,73 Euro erhöhen wollen.

 

Benennung von Vergleichswohnungen möglich

Der Mietspiegel gibt Auskunft über die ortsübliche Vergleichsmiete für Wohnungen je nach Baualter, Größe, Lage und Ausstattung. Vermietern dient der Mietspiegel dazu, Mieterhöhungen zu begründen und die korrekte Miethöhe beim Abschluss neuer Verträge zu ermitteln. Mieter können anhand des Mietspiegels prüfen, ob die Forderungen der Vermieter berechtigt sind. Außer mit dem Mietspiegel können Mieterhöhungen mit der Benennung von drei Vergleichswohnungen, einem Sachverständigengutachten oder mit Angaben aus einer Mietdatenbank begründet werden.
Der Mietspiegel 2021 wurde auf Basis des Mietspiegels 2019 fortgeschrieben, weil sich die Mieten in Berlin zuvor wegen des Mietendeckels nicht frei am Markt bilden konnten. Die jetzige Situation ist also eine späte Folge des Mietendeckels. Dass es Probleme mit dem Mietspiegel 2021 geben könnte, war kurz nach Veröffentlichung des Mietspiegels 2021 publik geworden. So hatte Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität Regensburg, den Mietspiegel als nicht anwendbar bezeichnet, weil es sich um eine zweite Fortschreibung des Werks handele. Sebastian warnte vor „weitreichenden Folgen“. Etwa, dass „gut organisierte Großvermieter, die drei passende Vergleichsmieten finden“, damit „Mieterhöhungen weit über dem Niveau des Mietspiegels begründen“ können. Ohne gültigen Mietspiegel laufe die Mietpreisbremse de facto ins Leere.
Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) verweist darauf, dass es sich bei dem Urteil aus Spandau „um die Einzelfallentscheidung einer Abteilung eines Amtsgerichtes“ handele. „Wir teilen diese Rechtsauffassung nicht und verweisen in diesem Zusammenhang auf andere Urteile zu dieser Thematik“, erklärte BBU-Sprecher David Eberhart. Das Amtsgericht Neukölln und das Amtsgericht Lichtenberg seien mit Entscheidungen vom 7. Juli 2021 (Az. 13 C 43/21) und vom 5. November 2021 (AZ. 10 C 553/21) zum Schluss gekommen, dass der Mietspiegel 2021 anwendbar sei. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verweist wie der BBU auf die Urteile aus Neukölln und Lichtenberg. „Es bleiben die Entscheidungen der höheren Instanzen abzuwarten“, so die Behörde. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass der Mietspiegel 2021 ein qualifizierter Mietspiegel ist.“

 

Beratung empfohlen

Der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund (AMV) empfiehlt Mietern, die eine Mieterhöhung erhalten, „fachlichen Rat einzuholen“. Bei bereits anhängigen Klagen sowie zukünftigen Klagen bestehe für Vermieter zumindest in Spandau das Risiko, dass ihre Klagen unter Berufung auf das Urteil des Amtsgerichts Spandau abgewiesen werden und ihre Mieterhöhung damit nicht zum Tragen komme, so AMV-Chef Marcel Eupen. In Anbetracht der Massenmieterhöhungen der Vonovia sowie der Deutsche Wohnen zum 1. April sei dies „äußerst praxisrelevant“. Denn die Unternehmen müssten in all jenen Fällen, in denen Mieter dem Erhöhungsverlangen nicht zugestimmt haben, bis zum 30. Juni Klage erheben.

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