Aus der Rubrik “Mieterinformationen”:

Berliner Zeitung am 05.04.2022: Teurer Stromliefervertrag – Mieter zahlen die Zeche

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben für ihre Bestände schlechtere Konditionen ausgehandelt als ein viel kleinerer privater Vermieter.
Eigentlich sollten die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin mit ihren mehr als 300.000 Wohnungen eine Marktmacht darstellen und zum Beispiel Strom zu den besten Konditionen einkaufen. Doch nach hohen Heizkostennachzahlungen für Mieter der landeseigenen Gewobag im Wohngebiet Heerstraße Nord in Staaken muss bezweifelt werden, ob die Marktmacht tatsächlich immer genutzt wird.
Die Gewobag räumte auf Anfrage ein, dass in Staaken hohe Betriebskostennachzahlungen der Mieter für das Abrechnungsjahr 2020 zum Teil darauf zurückzuführen sind, dass ein alter und günstigerer Stromliefervertrag des privaten Vorbesitzers der Wohnungen, der ADO Properties, nach dem Erwerb der Wohnungen durch die Gewobag nicht fortgeführt werden konnte. „ADO hat denselben Tarif Klima Natur zu günstigeren Konditionen eingekauft als die Gewobag im Wege der öffentlichen Ausschreibung“, teilte eine Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft wörtlich mit.
Im Klartext: Die Konditionen, zu denen die landeseigene Gewobag den Hausstrom von Vattenfall erwarb, waren schlechter als bei der ADO. Und da die höheren Ausgaben über die Betriebskosten auf die Mieter umgelegt werden können, müssen diese den höheren Einkaufspreis bezahlen. Das Überraschende dabei: Die ADO, die inzwischen in der Adler Group aufgegangen ist, verfügte anders als die landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht etwa über eine Marktmacht von mehreren Hunderttausend Wohnungen, sondern lediglich über eine fünfstellige Zahl an Wohnungen.

Wohnungen wurden rekommunalisiert

Die Wohnungen in Staaken waren durch die Gewobag Ende 2019 im Rahmen eines Paketverkaufs von insgesamt rund 5900 Wohnungen in Spandau und Reinickendorf von der ADO erworben worden. Der alte Stromliefervertrag, den noch die ADO für die Häuser abgeschlossen hatte, konnte nach Darstellung der Gewobag aber angeblich nicht fortgeführt werden. Der Rahmenvertrag der ADO mit Vattenfall habe vorgesehen, „dass die Belieferung automatisch endet, sobald die Verwaltung durch die ADO endet“, teilte die Gewobag dazu mit.
Bei dem Vertrag, der für die Mieter in Spandau höhere Stromkosten mit sich brachte, handelt es sich laut Gewobag um einen Rahmenvertrag, der von Vattenfall „im Januar 2019 gemeinsam mit allen landeseignen Wohnungsbaugesellschaften als gemeinsamer Dienstleistungsvertrag abgeschlossen“ wurde. Soll heißen: Der Vertrag gilt für die Wohnungen aller landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, mithin für mehr als 300.000 Wohnungen in Berlin.
Der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund (AMV) übt Kritik. „Der enorme Preisunterschied zwischen dem Vertrag der ADO mit Vattenfall und dem Vertrag der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit Vattenfall zeigt plastisch, dass es keinen einheitlichen Marktpreis als gegebene Konstante gibt, sondern die Konditionen mit Vattenfall in einem gewissen Rahmen verhandelbar sind“, so AMV-Chef Marcel Eupen.

Kritik vom Mieterberater

„Bedenkt man die enorme Marktmacht der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit mehr als 300.000 Wohnungen, so hätte man zwingend erwarten können, dass sich diese wirtschaftlich in den Konditionen mit Vattenfall niederschlägt.“ Unverständlicherweise sei jedoch das Gegenteil der Fall. „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften stehen hier in der Verantwortung, für eine transparente Aufklärung zu sorgen, wie es sein kann, dass ihre Preise derart höher liegen als bei der ADO“, fordert Eupen.
Die Gewobag verweist auf Anfrage auf das Vergaberecht. Als landeseigenes Unternehmen sei sie ein öffentlicher Auftraggeber und „damit bei der Beschaffung von Lieferungen und Leistungen an die geltende Vergabeordnung gebunden“. Die Ausschreibung zur Strombelieferung sei „im Rahmen eines europaweiten offenen Verfahrens“ erfolgt. Die beteiligten Landesunternehmen müssen dann das günstigste Angebot unter den teilnehmenden Energielieferanten auswählen.
Zu berücksichtigen sei, dass der ADO-Vertrag mit Vattenfall im Jahr 2017 abgeschlossen wurde und sich „die Tarifbedingungen im Zuge der gängigen Marktpreisentwicklung zum Jahr 2019 verändert haben“, führt die Gewobag an. Sie verweist zudem darauf, dass sich in dem Wohngebiet in Spandau „rund drei Viertel der höheren Kosten durch die Erhöhung von Steuern und Abgaben“ erklären. Der Rest sei neben dem höheren Preis pro Einheit Energie auf „den erhöhten Energieverbrauch in Zeiten der Pandemie“ zurückzuführen. Weil in dem Gebiet an der Heerstraße viele Wohnungen die Wärme über Nachstromspeicherheizungen beziehen, schlagen die Kosten hier besonders durch.

Aufklärung gefordert

Die Gewobag zieht aber lieber einen anderen Vergleich. So habe der Strompreis bei der Gewobag im Jahr 2019 bei 25,58 Cent je Kilowattstunde gelegen, während der Durchschnitt bei den Mitgliedsunternehmen des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen in Berlin bei 33,37 Cent gelegen habe. Die Ausschreibung des Hausstrom-Auftrags war federführend von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte begleitet worden. Diese erklärte stellvertretend für alle sechs Unternehmen, dass die Kostensteigerung des Hausstroms bei ihr „nur geringe Effekte auf die Betriebskostenabrechnungen“ gehabt habe.
Die Gewobag hatte in ihrer Betriebskostenabrechnung für 2020 die höheren Nachzahlungen gegenüber den Mietern zunächst mit einer kuriosen Erklärung begründet. Die Kostenerhöhung resultiere „daraus, dass in dem neuen Vertrag von Stromerzeugung aus Kernenergie auf Ökostrom gewechselt wurde“, hieß es unter anderem. Jetzt rudert die Gewobag zurück. Die Erläuterung sei „in der Betriebskostenabrechnung fehlerhaft“ gewesen, aber die Abrechnung sei trotz „dieses Versehens formal richtig“.
Mieterberater Marcel Eupen gibt sich damit nicht zufrieden. „Obwohl ich mich seit Mitte November 2021 um Aufklärung bezüglich der exorbitanten Kostensteigerung bemühe, ist mir dies bis heute nicht gelungen“, sagt er. „Eine fundierte Erklärung habe ich letztmalig Anfang März verlangt und dabei der Gewobag nicht nur ihre verschiedenen Begründungen vorgehalten, sondern explizit gefragt, welche der verschiedenen Begründungen denn nun die zutreffende sei.“ Eine Antwort habe er bis heute nicht erhalten.

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