Aus der Rubrik “Wissenswertes”:                   

Betrifft der Kündigungsausschluss bei Wohnungsumwandlungen In Berlin alle seit dem 01.10.2013 erklärten Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen, auch wenn der Erwerb und die Veräußerung des Wohnungseigentums noch vor dem 01.10.2013 erfolgt sein sollten?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 67 S 30/16, Beschluss vom 17.03.2016) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter I. wie folgt aus: “Die am 21. April 2014 ausgesprochene Eigenbedarfskündigung hat das Mietverhältnis nicht zu beenden vermocht, ohne dass es darauf ankommt, ob der von den Klägern behauptete Eigenbedarf tatsächlich besteht.

Die Kläger konnten sich bei Ausspruch und Zugang der Kündigung gemäß § 577a Abs. 1 und 2 BGB nicht auf ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen, da an der streitgegenständlichen Wohnung nach ihrer Überlassung an die Beklagte Wohnungseigentum begründet und dieses erstmals im Jahr 2009 veräußert wurde. Zwar beschränkt § 577a Abs. 1 BGB die Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters lediglich auf einen Zeitraum von drei Jahren seit der Veräußerung, die hier bei Ausspruch der Kündigung bereits abgelaufen waren. Allerdings beträgt die Frist des § 577a Abs. 1 BGB gemäß § 577a Abs. 2 BGB bis zu zehn Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete nach Satz 2 bestimmt sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen ist nicht nur derzeit, sondern war bereits zum Zeitpunkt der Kündigung in der gesamten Gebietskulisse von Berlin besonders gefährdet. Das folgt, ohne dass die Kammer insoweit zu einer eigenständigen Tatsachenfeststellung befugt oder gehalten wäre, aus der vom Senat von Berlin am 13. August 2013 mit Wirkung zum 1. Oktober 2013 erlassenen Kündigungsschutzklausel-VO (GVBl. 2013, 488). Die Verordnung, die ausweislich ihres Wortlauts und nach ihrem Sinn und Zweck auch zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestehende Mietverhältnisse erfasst (vgl. BGH, Rechtsentscheid v. 15. November 2000 – VIII ARZ 2/00, NJW 2001, 1421 (zu Art. 14 InvErlWoBauldG)), bestimmt in § 1 die gesamte Gebietskulisse Berlins als besonders gefährdet und gestattet in ihrem § 2 die Kündigung wegen Eigenbedarfs im streitgegenständlichen Kontext nicht vor Ablauf von zehn Jahren nach dem Erwerb der Mietsache.

Durchgreifende (verfassungs-)rechtliche Bedenken bestehen weder gegenüber § 577a Abs. 2 BGB noch der Kündigungsschutzklausel-VO vom 13. August 2013: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 577aAbs. 2 BGB ist ebenso wirksam wie die auf ihrer Grundlage erlassene Verordnung des Senats (vgl. BGH, Urt v. 11. März 2009 – VIII ZR 127/08, NJW 2009, 1808 Tz. 14 (zu § 577a BGB); Urt. v. 4. November 2015 – VIII ZR 217/14, NJW 2016, 476 (zu § 558 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB und zur Berliner Kappungsgrenzen-VO); LG Berlin, Urt. v. 15. Mai 2009 – 63 S 410/08, GE 2009, 909 (zur Berliner Kündigungsschutzklausel-VO vom 20. Juli 2004)).

Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) berufen:

Zwar war die Kündigung wegen Eigenbedarfs zum Zeitpunkt des Erwerbs der Wohnung durch die Kläger im Jahre 2009 über den aus § 577a Abs. 1 BGB folgenden dreijährigen Zeitraum hinaus noch nicht beschränkt, da der Senat von Berlin eine die gesamte Gebietskulisse – und damit auch das Hansaviertel – erfassende Kündigungsschutzklausel-VO erstmals im Jahre 2013 erlassen hat. Die vorhergehenden Kündigungsschutzklauselverordnungen vom 20. Juli 2004 (GVBl. 2004, 294) und 16. August 2011 (GVBl. 2011, 442, 466) hatten eine Sperrfrist von lediglich sieben Jahren angeordnet und die im Hansaviertel gelegenen Wohnungen jeweils noch nicht umfasst.

Eine Rechtsnorm entfaltet indes nur dann Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2013 – XII ZB 340/11,BGHZ 198, 91 Tz. 32 m.w.N.). Die hier maßgebliche Kündigungsschutzklausel-VO ist zum 1. Oktober 2013 in Kraft getreten. Eine Rückwirkung im vorgenannten Sinne liegt für zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestehende Mietverhältnisse wie das der Beklagten nicht vor.

Zwar führt die Anwendung der Verordnung zu einer Veränderung der vor ihrem Inkrafttreten bestehenden Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB. Während sich die Kläger vor dem 1. Oktober 2013 noch erfolgreich auf das Vorliegen von Eigenbedarf für die streitgegenständliche Wohnung und den Ausspruch einer darauf gestützten Kündigung hätten berufen können, ist ihnen dies nunmehr bis zum Ablauf der Kündigungssperrfrist verwehrt. Diese Auswirkungen beruhen jedoch nicht auf einer Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Verordnung, sondern darauf, dass die Verordnung auch Geltung für die Kündigung von Bestandsmietverhältnissen beansprucht und damit notwendigerweise auch an in der Vergangenheit liegende Umstände anknüpft.

Allerdings können sich auch für Normen, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, obwohl sie grundsätzlich zulässig sind, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes je nach Lage der Verhältnisse verfassungsrechtliche Grenzen ergeben. Hierbei ist zwischen dem Vertrauen auf den Fortbestand des Rechtszustands nach der bisherigen gesetzlichen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen. Der Vertrauensschutz geht allerdings nicht so weit, den Betroffenen vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BGH, a.a.O. Tz. 34 m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen sind überwiegende Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht gegeben. Die Erwartung des Erwerbers, die zum Zeitpunkt des Erwerbs bestehenden Einschränkungen der Verfügungsbefugnis über Wohneigentum an vermieteten Wohnräumen würden jedenfalls im Großen und Ganzen unverändert bleiben, ist abzuwägen gegen das durch die Beschränkung seiner Kündigungsmöglichkeiten verfolgte sozialpolitische Ziel, die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen zu gewährleisten. Bei dieser Güterabwägung ist dem Anliegen des Mieterschutzes wegen seiner überragenden Bedeutung für das allgemeine Wohl grundsätzlich der Vorzug zu geben (vgl. BGH, Rechtsentscheid v. 15. November 2000 – VIII ARZ 2/00, NJW 2001, 1421 Tz. 35). Es tritt hinzu, dass es sich bei dem Erwerb der streitgegenständlichen Wohnung im Jahre 2009 um keine “Vertrauensinvestition” der Kläger handelte, bei der der Betroffene mit dem späteren Eingriff nicht zu rechnen brauchte (vgl. BGH, a.a.O.). Denn die Kläger hätten zum Zeitpunkt des Erwerbs der Wohnung aufgrund der zu diesem bereits existenten bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des seit dem 1. Januar 2002 gültigen § 577a Abs. 2 BGB a.F., der die Landesregierungen ebenfalls zur Anordnung einer bis zu zehnjährigen Kündigungssperrfrist im Verordnungswege ermächtigt hatte, damit rechnen können, dass der Senat von Berlin in Zukunft die bereits erlassenen Verordnungen durch Erlass einer neuen Verordnung zeitlich und räumlich abändern würde, um so tatsächlichen Entwicklungen des Berliner Wohnungsmarktes mit Auswirkungen auf die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen wirksam zu begegnen.

Da nach alldem die gemäß § 577a Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 2 der Kündigungsschutzklausel-VO vom 13. August 2013 geltende zehnjährige Kündigungssperrfrist zum Kündigungszeitpunkt noch nicht abgelaufen war, besteht das streitgegenständliche Mietverhältnis ungekündigt fort. Das hat das Amtsgericht zutreffend erkannt.”