Aus der Rubrik “Wissenswertes”:             

Stellt sich eine Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses als Maßnahme ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung gemäß § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB dar, wenn der Mieter zahlungsfähig und eine Anschlussvermietung ungewiss ist?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 67 S 190/16, Urteil vom 11.10.2016) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das LG Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: “Das Amtsgericht hat die erhobene Räumungs- und Herausgabeklage zutreffend abgewiesen. Der – auch weiterhin ungeteilten – Erbengemeinschaft steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß den §§ 985, 546 Abs. 1 BGB nicht zu, da das mit den Beklagten im Jahre 2007 begründete Mietverhältnis über die streitgegenständliche und 68 qm große 3-Zimmer-Wohnung ungekündigt fortbesteht. Die von dem Kläger ausgesprochenen Kündigungen sind sämtlich unwirksam. Dagegen vermag seine Berufung nichts zu erinnern.

Es konnte dahinstehen, ob den ausgesprochenen Kündigungen bereits gemäß § 2040 Abs. 1 BGB der Erfolg versagt war, weil es sich dabei um eine Verfügung über den Nachlassgegenstand handelte, über die die Erben nur gemeinschaftlich hätten verfügen können, so dass bereits die fehlende Zustimmung der Beklagten zu 1) der Wirksamkeit der Kündigungen entgegengestanden hätte (vgl. Gergen, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 2038 Rz. 29, 53; § 2040 Rz. 5, jeweils m.w.N.). Denn selbst wenn es den Erben entgegen § 2040 Abs. 1 BGB möglich wäre, ein (Wohnraum-)Mietverhältnis über eine zum Nachlass gehörende Sache mit Stimmenmehrheit zu kündigen, müsste sich die Kündigung als Maßnahme ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung gemäß § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 11. November 2009 – XII ZR 210/05, NJW 2010, 765 Tz. 26; Beschl. v. Urt. v. 3. Dezember 2014 – IV ZA 22/14, FamRZ 2015, 497Tz. 2). Daran fehlt es hier.

Zur Nachlassverwaltung gehören alle Maßregeln zur Verwahrung, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzung und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten. Die Ordnungsmäßigkeit einer Maßnahme ist aus objektiver Sicht zu beurteilen. Entscheidend ist der Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers (vgl. BGH, Urt. v. 11. November 2009 – XII ZR 210/05, NJW 2010, 765 Tz. 32). Gemessen daran war der Ausspruch der Kündigungen weder vernünftig noch im wirtschaftlichen Interesse des Nachlasses:

Die vom Kläger und der – an diesem Rechtsstreit nicht beteiligten – gemeinsamen Schwester der Parteien geübte Nachlassverwaltung hat zu keinem Zeitpunkt berücksichtigt, dass die zur Beendigung des Mietverhältnisses getroffenen Maßnahmen nicht geeignet waren, eine für die Anwendung des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB erforderliche hinreichend verlässliche und nachhaltige Sicherung oder gar Vermehrung des Nachlasses herbeizuführen. Denn für den Fall der Räumung und Herausgabe der ihrer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage allenfalls durchschnittlich attraktiven Mietsache ist nicht nur eine Anschlussvermietung zu einer höheren als der bislang entrichteten Miete vollkommen ungewiss. Es bestehen darüber hinaus sogar berechtigte Zweifel, ob es überhaupt möglich sein wird, die Mietsache umgehend und dauerhaft weiter zu vermieten, da das streitgegenständliche Grundstück nicht nur Gegenstand einer zwischen den Parteien – mittlerweile seit Jahren – streitig geführten Erbauseinandersetzung, sondern die Beklagte zu 1) zudem Begünstigte einer das nämliche Grundstück betreffenden Teilungsanordnung nach § 2048 BGB, wenn nicht sogar eines Vorvermächtnisses nach § 2050 BGB ist. Dass ein Dritter in Kenntnis dieser Gesamtumstände die von den Beklagten innegehaltenen Räume dauerhaft anmieten würde – und noch dazu in einer den bisherigen Mietzins übersteigenden Höhe – war und ist nach allgemeiner Lebenserfahrung unwahrscheinlich, jedenfalls aber derart ungewiss, dass im Falle der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses nicht nur eine Weitervermietung zu ungünstigeren wirtschaftlichen Bedingungen, sondern sogar der vollständige Ausfall weiterer Mietzahlungen aufgrund unterbleibender Anschlussvermietung zu besorgen ist. Das hat das Amtsgericht zutreffend erkannt.

Eine dem Kläger günstigere Beurteilung wäre nur in Betracht gekommen, wenn der geltend gemachte Kündigungsrückstand zum Zeitpunkt des jeweiligen Kündigungsausspruchs aus vernünftiger und objektiver Sicht offensichtlich uneinbringlich und auch mit einem fortdauernden Ausbleiben von Mietzahlungen durch die Beklagten zu rechnen gewesen wäre. Denn in diesem Falle wäre bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung die Inkaufnahme des nicht hinreichend sicher kalkulierbaren Risikos einer Anschlussvermietung der eines fortdauernden Zahlungsausfalls bei gleichzeitigem Verbleib der Beklagten in der Wohnung vorzuziehen gewesen. Die Voraussetzungen für eine derartige Risikoabwägung lagen aber weder zum Zeitpunkt der bereits eine Woche nach dem Ableben der Erblasserin ausgesprochenen Kündigung vom 5. Dezember 2014 noch bei der Schriftsatzkündigung vom 27. Januar 2015 vor, da die Beklagte zu 1) bereits mit Schreiben vom 15. November 2014 keine wirtschaftlichen, sondern vornehmlich rechtliche Erwägungen gegen die vom Kläger angemeldeten Zahlungsansprüche ins Feld geführt hatte; letzteren indes vermochten die ernsthafte Besorgnis eines dauerhaften Zahlungsausfalls nicht zu begründen. Diese Besorgnis bestand bei Ausspruch der Kündigung vom 20. Juli 2015 aufgrund der von den Beklagten in der Zwischenzeit geleisteten Zahlungen erst recht nicht.

Nichts anderes folgt daraus, dass die wirksame Kündigung des Mietverhältnisses auch Auswirkungen auf den Beklagten zustehende Gewährleistungsrechte gehabt und damit einhergehend nach Auffassung der Berufung zu einer Entlastung des Nachlasses geführt hätte. Das greift zu kurz. Denn ein im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bestehender Mangel berührt nicht nur die dem Vermieter gemäß § 546a Abs. 1 BGB zustehenden Nutzungsentschädigungsansprüche negativ (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2015 – XII ZR 66/13, NJW 2015, 2795 Tz. 13), sondern kann ihn auch noch im Abwicklungsverhältnis gemäß § 242 BGB zur Beseitigung verpflichten (vgl. BGH, a.a.O. Tz. 23). Selbst wenn aber eine rechtliche Verpflichtung zur Mangelbeseitigung nicht bestünde, käme ihre Durchführung dem Erhalt der Gebäudesubstanz zu Gute und diente damit der Sicherung, Erhaltung und Vermehrung des Nachlasses. Ihre kündigungsbedingte Suspendierung zum Zwecke ihres zeitweiligen oder sogar dauerhaften Aufschubs ist bei objektiver Betrachtung demnach weder vernünftig noch wirtschaftlich. Das gilt auch für die klägerseits mit dem Ausspruch der Kündigungen verbundene Hoffnung auf die Begründung und Durchsetzung von Nutzungsentschädigungsansprüchen nach § 546a Abs. 1 BGB gegenüber den Beklagten. Es ist zwar zutreffend, dass Ansprüche aus § 546a Abs. 1 BGB den von den Beklagten zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung geschuldeten Mietzins nicht unter-, sondern womöglich sogar überschreiten; allerdings bestehen sie nur für die Dauer der Vorenthaltung und entfallen im Moment der Räumung und Herausgabe. Da die Bedingungen einer – zudem nahtlosen – Anschlussvermietung hier jedoch ebenso in Frage standen und stehen wie die Möglichkeit zur Anschlussvermietung als solche, beruht die dadurch motivierte Kündigung des Mietverhältnisses vornehmlich auf einer tatsächlich nicht hinreichend begründeten Erwartungshaltung des Klägers und seiner nicht an diesem Rechtsstreit beteiligten Schwester. Eine derart spekulative Verwertungserwartung ist bei objektiver Betrachtung weder vernünftig noch wirtschaftlich sinnvoll; damit vermag auch sie die ausgesprochenen Kündigungen als Maßnahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung nicht zu rechtfertigen.

Ob der Ausspruch der Kündigungen und das Festhalten an dem darauf gestützten Räumungsanspruch nicht ohnehin wegen der dem Kläger und seiner Schwester von den Beklagten zur Last gelegten Pflichtverletzungen und der das streitgegenständliche Grundstück betreffenden erbrechtlichen Ansprüche der Beklagte zu 1) treuwidrig war, bedurfte davon ausgehend keiner abschließenden Entscheidung der Kammer, ebensowenig, ob die bloße Miterbenstellung der Beklagten zu 1) und der daraus abgeleitete Besitz – den amtsgerichtlichen Erwägungen entsprechend – dem geltend gemachten Räumungs- und Herausgabeanspruch nicht ohnehin entgegen stehen.

Vor diesem Hintergrund hatten auch der auf Zahlung der Nutzungsentschädigung gerichtete weitere Hauptantrag sowie der die Feststellung der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses betreffende Hilfsantrag keinen Erfolg.”