Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Trifft einen Mieter an der Nichtzahlung seiner Miete ein Verschulden, wenn er aufgrund einer Depression erheblich und nahezu vollständig an der Bewältigung seines Alltags und auch an der Klärung seiner finanziellen Angelegenheiten einschließlich der Bezahlung der Miete gehindert ist und er fortlaufend intensiver ärztlicher und psychologischer Betreuung bedarf?

Die Antwort des Landgerichts Kassel (LG Kassel – 1 S 170/15, Urteil vom 26.01.2017) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Landgericht Kassel in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: “Die angefochtene Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Das Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO. Auch die Berufungsangriffe rechtfertigen eine abweichende Entscheidung zugunsten des Klägers nicht.

Zutreffend hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zunächst ausgeführt, dass die ausgesprochenen fristlosen Kündigungen vom 27.01.2015 und vom 06.02.2015 infolge der erklärten Mietübernahme durch die Stadt “…..” gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden sind, nachdem die genannte Erklärung noch innerhalb der bestimmten Frist dem Kläger zugegangen ist. Nach der genannten Vorschrift wird eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB wegen Zahlungsverzuges dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Das lag hier vor. Hiergegen wendet sich die Berufung auch nicht.

Soweit der Kläger mit seiner Berufung beanstandet, dass das Amtsgericht auch die zugleich hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen vom 27.01.2015 und vom 06.02.2015 für nicht durchgreifend erachtet hat, vermag er hiermit keinen Erfolg zu haben. Aufgrund des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme vermag auch die Kammer einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB im Ergebnis nicht festzustellen.

Zwar kommt vorliegend eine Kündigung nach Maßgabe von § 573Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich in Betracht. Danach liegt ein zur Kündigung berechtigendes Interesse des Vermieters insbesondere vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Die Nichtzahlung der geschuldeten Miete über einen Zeitraum von fünf bzw. sechs Monaten stellt grundsätzlich eine nicht unerhebliche Verletzung der vertraglichen Pflichten dar.

Auch ist das Amtsgericht in Übereinstimmung mit der Ansicht des Klägers zutreffend davon ausgegangen, dass die o.g. Bestimmung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nicht, auch nicht entsprechend angewendet werden kann. Mit der herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2005 – VIII ZR 6/04) erachtet auch die Kammer den Regelungsgehalt der genannten Vorschrift auf andere Kündigungsgründe, insbesondere diejenigen nach § 573 BGB, für nicht übertragbar.

Allerdings fehlt es vorliegend an einem Verschulden hinsichtlich der Pflichtverletzung, wie dies Voraussetzung von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist. Dabei kann dahinstehen, ob das Verschulden entsprechend § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet wird. Es steht nämlich zur Überzeugung der Kammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Nichtzahlung des Mietzinses seit September 2014 bis einschließlich Februar 2015 für den Beklagten unverschuldet war.

Der Mieter hat Zahlungsverzögerungen aufgrund unverschuldeter wirtschaftlicher Schwierigkeiten, wie z.B. aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Krankheit, nicht zu vertreten (vgl. Schmidt/Futterer/Blank, § 573 BGB Rn. 30). Allerdings kann sich der Mieter nur auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe berufen. Er ist verpflichtet, unmittelbar nach dem Auftreten unvorhersehbarer wirtschaftlicher Engpässe anderweitig für die Einhaltung seiner Verpflichtungen zu sorgen, beispielsweise rechtzeitig Sozialleistungen zu beantragen. Im Rahmen des Verschuldens kann zudem eine nachträgliche Zahlung des Mieters zu seinen Gunsten schuldmindernd berücksichtigt werden, weil sie ein etwaiges Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheinen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2005 – VIII ZR 6/04). Zum Teil wird vertreten, dass dies nur dann gelten soll, wenn der Rückstand binnen kurzer Zeit ausgeglichen wird (vgl. KG, Urteil vom 24.07.2008, Az. 8 U 26/08).

Die Kammer konnte insoweit ergänzend feststellen, dass sich der Beklagte im gesamten Jahr 2014 und auch jedenfalls noch im ersten Halbjahr 2015 in einer psychischen Ausnahmesituation dergestalt befand, dass ihn die bereits seit Jahren bekannte und behandelte Erkrankung in Form einer Depression erheblich und nahezu vollständig an der Bewältigung seines Alltages und auch der Klärung der finanziellen Angelegenheiten einschließlich der Bezahlung der Miete hinderte. Der Beklagte befand sich zunächst bis einschließlich 25.03.2014 in einer Reha-Maßnahme. Der anschließend gestattete dritte Wiedereingliederungsversuch in seinen zuvor ausgeübten Beruf scheiterte aufgrund einer erneuten erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes aufgrund der genannten Erkrankungen bereits nach fünf Tagen. Dies stürzte den Beklagten noch mehr in die Depression, so dass er fortlaufend intensiv ärztlich und psychologisch betreut werden musste. Aufgrund unmittelbarer Gefahr eines drohenden Suizids war die stationäre Behandlung des Beklagten in einer Psychiatrie angezeigt, die jedoch am entgegenstehenden Willen des Beklagten scheiterte. Von einer zwangsweisen Unterbringung des Beklagten wurde allein deshalb abgesehen, weil aufgrund der guten Behandlungsbeziehungen zu seiner Behandlerin “…..” sowie dem behandelnden Psychologen “…..” des “…..”-Krankenhauses in “…..” im Rahmen eines so bezeichneten “Anti-Suizid-Paktes” eine verlässliche Basis dahingehend erreicht werden konnte, dass der Beklagte jeweils zusicherte, jedenfalls bis zum nächsten vereinbarten Behandlungstermin keinen Suizid zu begehen. In dieser Weise wurde der Beklagte über das gesamte Jahr 2014 engmaschig betreut und in der Regel ein bis zwei Mal wöchentlich vorstellig. Die Behandlung des Beklagten gestaltete sich aber auch in diesem engmaschigen Rahmen schwierig. Hinzu kam, dass sodann absehbar war, dass der Krankengeldbezug im August 2014 auslaufen würde und damit zusätzlich finanzielle Schwierigkeiten drohen würden. Diesem versuchte man zu begegnen, wobei der Beklagte selbst krankheitsbedingt durch die mit der Depression verbundene Rückzugstendenz aus dem gesamten sozialen Umfeld und Antriebsschwäche nicht in der Lage war, die Angelegenheit allein zu regeln. Vielmehr wurde unter Einschaltung der zuständigen Mitarbeiterin des “…..” -Krankenhauses der Beklagte dazu angehalten, eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Dabei musste der Beklagte zunächst von den Behandlern und der Mitarbeiterin des Krankenhauses von der Notwendigkeit dieses für ihn nicht leichten Schrittes überzeugt und anschließend hinsichtlich der notwendigen Schritte der Antragstellung angeleitet werden. Im Ergebnis wurde dem Beklagten das notwendige Antragsformular besorgt. Anschließend musste er mehrfach aufgefordert werden, das Antragsformular auszufüllen, was ihm letztendlich dann auch gelang. Die Klärung der finanziellen Basis konnte erst im Februar 2015 erreicht werden, nachdem im Widerspruchsverfahren die Erwerbsunfähigkeitsrente durch den Rentenversicherungsträger bewilligt wurde. In dieser Zeit konnte indes nur eine geringfügige Besserung seines Gesundheitszustandes erreicht werden Die Besserung machte sich auch allein darin bemerkbar, dass der Beklagte für die Behandler zugänglicher wurde. Zur Bewältigung seines Alltages und eigenständigen Erledigung von sonstigen Angelegenheiten war er noch immer nicht in der Lage. Auch Aufforderungen der Mitarbeiterin Born des “…..” -Krankenhauses, sich wegen der Mietrückstände mit der Fachstelle Wohnen der Stadt “…..” in Verbindung zu setzen, vermochte der Beklagte krankheitsbedingt zunächst nicht in die Tat umzusetzen. Dies gelang ihm erst im März 2015. Bereits im April 2015 kam es zu einer erneuten erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes.

Das Vorgenannte steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Aussage der Zeugin “…..” . Diese hat nachvollziehbar, lückenlos und, ohne dass Anhaltspunkte dafür ersichtlich geworden wären, dass die Angaben nicht oder nicht vollständig der Wahrheit entsprächen, den Behandlungsverlauf und den Zustand des Beklagten im fraglichen Zeitraum beschrieben und insgesamt überzeugende Angaben getätigt, die mit den vorgelegten Behandlungsunterlagen in Übereinstimmung stehen.

Damit kann von einem Verschulden hinsichtlich des zwischenzeitlichen Auflaufens der Mietrückstände nicht ausgegangen werden. Für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nach Maßgabe von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB fehlt es folglich an einem hinreichenden Grund.

Damit ist die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung war zurückzuweisen.”