Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Liegt eine erhebliche Verschlechterung des Immissionsniveaus vor, was zu einem Mietmangel führt, wenn eine Baustelle Störungen mit sich bringt, die zu einer ungünstigeren Einordnung der Wohnung in die immissionsbezogenen Kategorien der Orientierunghilfe (“besonders ruhig”, “durchschnittlich belastet”, “besonders lärmbelastet”) führen würde?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 64 S 190/18, Urteil vom 21.08.2019) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. 2. wie folgt aus: „Die Berufung der Kläger ist teilweise begründet, soweit sie sich gegen die vollständige Abweisung der Zahlungsklage wenden. Die Miete war gemäß § 536BGB auch im Zeitraum November 2017 bis einschließlich Mai 2018 um 15 % gemindert, sodass die Kläger gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB Anspruch auf Rückzahlung der insoweit rechtsgrundlos geleisteten Miete in Höhe von insgesamt 816,77 Euro (7 x 15 % x 777,88 Euro) nebst Prozesszinsen haben. Die Voraussetzungen des §814 BGB liegen entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht vor, denn es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger im Zeitpunkt der jeweiligen Mietzahlung um ihren Minderungseinwand wussten. Die weiter gehende Berufung der Kläger ist zurückzuweisen, denn das Amtsgericht hat den Grad der Gebrauchsbeeinträchtigung zutreffend mit 15 % bemessen.

Die Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferin ist begründet, soweit sich das Feststellungsbegehren auf die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung bezieht. Da ungewiss ist, wann zukünftig welche Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück stattfinden und welche Störungen von diesen ausgehen werden, lässt sich eine Mietminderung für die Zukunft nicht sicher feststellen, sodass das auf die Zeit nach der mündlichen Verhandlung bezogene Feststellungsbegehren unbegründet ist. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferin zurückzuweisen, da das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat, dass die Miete im Zeitraum bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung um 15 % gemindert gewesen ist.

a) Minderung dem Grunde nach

Dem Grunde nach zu Recht hat das Amtsgericht darauf erkannt, dass die Miete wegen der von der Großbaustelle ausgehenden Störungen im Klagezeitraum nach § 536 BGB gemindert gewesen ist. Die Kammer nimmt auf ihre bisherigen Entscheidungen in vergleichbaren Fällen (vgl. Urteil vom 7. Juni 2017 – 18 S 211/16 -, vgl. GE 2017, 1550 f. = WuM 2018, 15 ff. und Urteil vom 17. Januar 2018 – 64 S 87/17 -, n. V., Revision anhängig zu BGH – VIII ZR 31/18 -) Bezug und folgt nunmehr der Zivilkammer 67 dahin, dass die Freiheit der Wohnung von Baulärm – mangels Existenz einer benachbarten Baustelle bei Abschluss des Mietvertrages, sonstiger beidseitiger Kenntnis eines entsprechenden Vorhabens oder ausdrücklicher abweichender Absprachen – regelmäßig stillschweigend Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung wird, da “im großstädtischen Kontext Baumaßnahmen zwar nicht unüblich sind, aber selbst dort – und auch in Berlin – die ganz überwiegende Mehrzahl der Mietwohnungen von entsprechenden Maßnahmen und den damit verbundenen erheblichen zusätzlichen Immissionen nicht betroffen ist” (vgl. LG Berlin, Urteil vom 16. Juni 2016 – 67 S 76/16 -, GE 2016, 486 ff., Rn. 5 m. w. N.).

Für eine solche Auslegung der gegenseitigen Vertragserklärungen spricht, dass sowohl auf die Wohnung einwirkende Immissionen als auch deren Abwesenheit typischerweise Auswirkungen auf die Höhe der ortsüblichen Miete haben. Die Orientierungshilfe zum Berliner Mietspiegel sieht die negativen Wohnwertmerkmale “besonders lärmbelastete Lage” und “besonders geruchsbelastete Lage” sowie das positive Wohnwertmerkmal “besonders ruhige Lage” vor. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Höhe der vereinbarten Miete regelmäßig davon abhängt, welches Immissionsniveau die Parteien bei Abschluss des Mietverhältnisses zu Grunde legen. Stellt sich das Maß der auf eine Mietwohnung einwirkenden Immissionen mithin als verkehrswesentliche Eigenschaft der Wohnung dar, wird diese übereinstimmend, wenn auch stillschweigend, angenommene Eigenschaft der Wohnung Gegenstand der vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung und stellt sich eine erhebliche Verschlechterung des Immissionsniveaus als Mangel dar.

Zu einer erheblichen Verschlechterung des Immissionsniveaus wird dabei nicht jegliche Baumaßnahme in der Nachbarschaft führen. Wenn aber die Baustelle Störungen mit sich bringt, die zu einer ungünstigeren Einordnung der Wohnung in die immissionsbezogenen Kategorien der Orientierunghilfe (“besonders ruhig“, “durchschnittlich belastet“, “besonders lärmbelastet“) führen würde, liegt eine erhebliche Verschlechterung des Immissionsniveaus vor. Davon ist bei einem Bauvorhaben des hier vorliegenden Ausmaßes ohne weiteres auszugehen, sodass die Kläger dem Grunde nach zu Recht eine Mietminderung geltend machen.

Nach den Vorgaben der “Bolzplatzentscheidung” (vgl. BGH – VIII ZR 197/14 -, Urteil vom 29. April 2015, BGHZ 205, 177 ff.), wonach das bei Mietvertragsabschluss erkennbare Immissionsniveau nicht Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung werde und Ausgleichsansprüche des Mieters nach Maßgabe einer ergänzenden Vertragsauslegung davon abhängen sollen, ob dem Vermieter seinerseits Ansprüche nach § 906 BGB gegen den Eigentümer das Nachbargrundstücks zustehen, auf dem die Baumaßnahmen stattfinden, könnten die Kläger hingegen vorliegend keine Mietminderung einwenden. Es ist nicht feststellbar, dass der Beklagten gegenüber ihrer Streithelferin Unterlassungsansprüche oder Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach § 906 BGB zustünden. Die Beklagte und ihre Streithelferin haben vorgetragen, dass sich die durch das Bauvorhaben verursachten Störungen im ortsüblichen Rahmen hielten, insbesondere die Vorgaben der AVV Baulärm eingehalten würden. Jedenfalls in zeitlicher Hinsicht ist dies unstreitig, da in der AVV Baulärm als Nachtzeit die Zeit von 20:00 Uhr bis 7:00 Uhr definiert ist und die Kläger nicht mehr behaupten, dass auf der Baustelle morgens vor 7:00 Uhr oder abends nach 20:00 Uhr gearbeitet werde. Die hier tagsüber konkret einzuhaltenden Richtwerte legen weder die Kläger noch die Beklagte und ihre Streithelferin dar. Die Kläger machen jedoch im Wesentlichen Verkehrslärm sowie Piepsgeräusche von rangierenden Baumaschinen geltend und verweisen daneben auf gelegentlich eingesetzte Baumaschinen wie beispielsweise Presslufthämmer. Auf Grundlage ihres Vortrages ist nicht erkennbar, dass der Immissionsrichtwert (tagsüber) von 55 dB(A), den die AVV Baulärm für Gebiete vorsieht, in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht sind, überschritten sein könnte. Die Kläger tragen im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast auch nicht vor, dass die Streithelferin besonders rücksichtslos vorgehe, indem sie die in der AVV Baulärm für einzelne Baumaßnahmen sowie den Einsatz bestimmter Baumaschinen und Geräte empfohlenen Schutzmaßnahmen missachte.

Die Kammer hält aber die Ratio der “Bolzplatzentscheidung” aus den Gründen ihrer bereits zitierten Entscheidungen (vgl. LG Berlin, Urteile vom 7. Juni 2017 – 18 S 211/16 -, a. a. O. und vom 17. Januar 2018 – 64 S 87/17 -) nicht für überzeugend. Das tragende Argument, der Vermieter habe regelmäßig keinen Einfluss darauf, dass die zu Mietbeginn bestehenden Verhältnisse während der gesamten Dauer des Mietvertrages unverändert fortbestehen und wolle deswegen erkennbar keine Haftung für den Fortbestand derartiger “Umweltbedingungen” übernehmen (vgl. BGHZ 205, 177ff., Rn. 21) geht insofern fehl, als die Mietvertragsparteien die Höhe der Miete typischerweise gleichwohl an Hand der Lage der Wohnung und der auf die Wohnung einwirkenden Umweltbedingungen aushandeln und vereinbaren werden. Entsprechend ist etwa für das Reiserecht anerkannt, dass auf eine Ferienunterkunft einwirkender Baulärm sich als gravierender Reisemangel darstellen kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2016 – X ZR 123/15 -), und zwar selbst dann, wenn die Baumaßnahmen für den Reiseveranstalter bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren und im Zeitraum der Reise auch nicht unterbunden werden konnten (vgl. Staudinger/Staudinger (2016) BGB § 651c, Rn. 82 m. w. N.).

Selbst wenn entsprechend der “Bolzplatzentscheidung” nachträgliche Veränderungen der “Umweltbedingungen” nicht unter die gesetzlichen Regelungen über die mietrechtliche Gewährleistung fielen, sondern nach Maßgabe einer ergänzenden Vertragsauslegung auszugleichen wären, entspräche es jedenfalls nicht der Billigkeit, Ausgleichsansprüche des Mieters davon abhängig zu machen, ob dem Vermieter seinerseits Ansprüche gegen den durch Baumaßnahmen störenden Nachbarn zustehen (so auch LG Berlin, Urteil vom 16. Juni 2016 – 67 S 76/16 -, GE 2016, 915ff.). Der Maßstab des § 906 BGB passt für den Wohnungsmieter, der – anders als der vermietende Eigentümer – selbst kein auch nur abstraktes Interesse daran hat, seinerseits auf dem beeinträchtigten Grundstück Baumaßnahmen vornehmen zu dürfen, auch deswegen nicht, weil im Rahmen des § 906 BGB auf die Beeinträchtigung des Gesamtgrundstücks abzustellen ist, während es für den Wohnungsmieter entscheidend nur auf die Beeinträchtigung der von ihm gemieteten Wohnung ankommt. So mag es etwa dem Eigentümer eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks nach § 906 BGB zuzumuten sein, ortsübliche Störungen entschädigungslos hinzunehmen, die den Gesamtnutzen des Grundstücks um 5 % mindern; so wenn etwa nur fünf Wohnungen im Vorderhaus erheblich durch Baulärm betroffen werden, aber nicht die übrigen fünfzehn Wohnungen, die sich zum Innenhof orientieren oder sich im Seitenflügel und im Hinterhaus befinden. Das bedeutet in dem Beispielsfall aber nicht, dass die Störungen auch den Mietern der erheblich durch Baulärm betroffenen fünf Wohnungen im Vorderhaus ausgleichslos zuzumuten wären.

Soweit die Beklagte bei Abschluss des Mietvertrages um die Planung des Bauvorhabens wusste, die Kläger aber nicht entsprechend informierte, könnte eine ergänzende Vertragsauslegung hier ohnehin nicht zum Ausschluss einer Mietminderung führen. Stellt sich das auf sie einwirkende Immissionsniveau als verkehrswesentliche Eigenschaft einer Mietwohnung dar, so darf der Vermieter ihm bekannte Umstände nicht verschweigen, die in absehbarer Zukunft einen erheblichen Anstieg der Immissionen befürchten lassen. Tut er das doch, handelt er arglistig und kann sich nicht darauf berufen, dass der Mieter ohnehin jederzeit mit dem Beginn von Baumaßnahmen habe rechnen müssen. Es wäre unter solchen Umständen jedenfalls grob unbillig, eine ergänzende Vertragsauslegung zu Gunsten des Vermieters vorzunehmen (vgl. LG Berlin, Urteil vom 7. Juni 2017 – 18 S 211/16 -, a. a. O.; so im Ergebnis auch Selk, NZM 2019, 113 ff., 127).

Mit dem Argument, die Kläger hätten auf Grund der Presseveröffentlichungen ab 2010 ebenfalls Kenntnis von den Planungen haben müssen, der angebliche Mangel sei ihnen im Sinne des § 536b BGB nur wegen grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen, können die Beklagte und ihre Streithelferin hingegen nicht durchdringen. Das Unterlassen einer Presserecherche kann allenfalls den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit begründen. Einen Beweis dafür, dass den Klägern die Bauplanungen bei Abschluss des Mietvertrages tatsächlich bekannt waren, haben die Beklagte und ihre Streithelferin nicht angetreten.

b) Minderung der Höhe nach

Angesichts der typischerweise mit den durch eine Großbaustelle der hier unstreitigen Qualität verbundenen Lärm- und Schmutzimmissionen ist die Höhe der von Seiten des Amtsgerichts zuerkannten Minderung von 15 % angemessen. Dabei sind die Beklagte und ihre Streithelferin an ihrem erstinstanzlichen Vorbringen festzuhalten, wonach der Abstand zwischen der von den Klägern gemieteten Wohnung und dem Baufeld “mindestens 30 m” betrage. Soweit sie davon abweichend nunmehr im zweiten Rechtszug behaupten, der Abstand betrage mindestens 50 m bis 100 m, sind sie damit nach §§ 529531 ZPO präkludiert. Zudem ist zwischen den Parteien unstreitig, dass im Klagezeitraum unmittelbar vor dem von den Klägern bewohnten Miethaus eine Baustraße hergestellt und weitere Erdarbeiten zur Verlegung von Versorgungsleitungen durchgeführt wurden.

Eine noch weiter gehende Minderung der Miete steht den Klägern nicht zu. Wie bereits ausgeführt, tragen sie im Wesentlichen zu baubedingtem Verkehrslärm sowie Piepsgeräuschen von rangierenden Baumaschinen vor und verweisen daneben auf gelegentlich eingesetzte Baumaschinen wie beispielsweise Presslufthämmer. Die nur tagsüber aufgetretenen Beeinträchtigungen des vertragsgemäßen Nutzens der Wohnung werden auch unter Berücksichtigung der mit den Baumaßnahmen verbundenen Staubentwicklung mit der zuerkannten Minderung von 15 % angemessen kompensiert.”