Aus der Rubrik “Mietenpolitik”:

 

Berliner Zeitung am 07.07.2020: Mietendeckel Schattenmieten: Vermieter in Berlin behalten sich höhere Miete vor

Seitdem der Mietendeckel gilt, vereinbaren viele Vermieter in Berlin beim Abschluss eines neuen Mietvertrages zwei Mietpreise. Einen niedrigen, der dem Mietendeckel entspricht. Und einen höheren – für den Fall, dass der Mietendeckel vor Gericht gekippt wird. Gegen solche „Schattenmieten“ regt sich Protest.

Montagmittag, 13 Uhr. Ein rund 35 Quadratmeter großes „Singleapartment“ in Schöneberg wird im Internet für eine Kaltmiete von 327 Euro angeboten. Ein stattlicher Preis für eine Stadt, in der seit 23. Februar der Mietendeckel gilt. Aber zahlen muss der Mieter diese Miete nicht, erfährt er bei der weiteren Lektüre – jedenfalls vorerst nicht. „Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die im Inserat angegebene Miete diejenige Miete ist, welche im Mietvertrag vereinbart werden wird“, heißt es. Während der Geltungsdauer des Berliner Mietendeckels werde „als Zahlbetrag bis auf weiteres“ lediglich die Nettokaltmiete gemäß Mietendeckel in Höhe von 224,33 Euro von dem Vermieter entgegengenommen. Für den Fall, dass der Mietendeckel vor Gericht gekippt wird oder endet, behält sich der Vermieter allerdings vor, die höhere Miete zu verlangen.

So oder ähnlich lesen sich derzeit viele Wohnungsangebote in Berlin.

nennt der Berliner Mieterverein (BMV) die höhere Miete. Brisant daran: Etliche Vermieter behalten sich vor, die Differenz zwischen Mietendeckel-Miete und der höheren Vertragsmiete rückwirkend einzufordern.

Ob Schattenmieten erlaubt sind, ist umstritten. Der Mieterverein hält sie für nicht zulässig, „weil damit dem Mieter eine nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzumutbare Vertragsklausel aufgezwungen wird“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Außerdem werde mit der Schattenmiete dem Sinn und Zweck des Mietendeckels nicht entsprochen, argumentiert Wild. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) hält Schattenmieten dagegen für „rechtlich zulässig“. Geschäftsführer und Vorstände müssten „ordnungsgemäß agieren“ und wirtschaftliche Schäden von ihren Unternehmen abwenden, so BBU-Chefin Maren Kern. In diesem Rahmen würden für den Fall, dass der Mietendeckel gekippt werde, die höheren Mieten vereinbart.

Die Deutsche Wohnen, der größte private Vermieter in Berlin, vereinbart beim Abschluss neuer Verträge ebenfalls Schattenmieten. An der Rechtmäßigkeit des Mietendeckels bestünden „bekanntermaßen Zweifel“, argumentiert eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage. Das Bundesverfassungsgericht sei aufgerufen, hier eine Entscheidung herbeizuführen. Bis dahin gelte es, „mit dieser anhaltenden Unsicherheit verantwortungsvoll umzugehen“. Hierzu gehöre auch, „Regelungen für den Fall zu finden, dass sich der Mietendeckel als nicht verfassungskonform herausstellen sollte“.

Vor diesem Hintergrund vereinbare die Deutsche Wohnen bei Neuvermietungen auch die nach den Vorschriften des BGB zulässige Miete. Die Deutsche Wohnen verlangt von Hartz-IV-Empfängern eine Bescheinigung vom Jobcenter, dass es neben der Mietendeckel-konformen Miete eine höhere Miete übernimmt und gegebenenfalls sogar für nachzuzahlende Differenzen aufkommt. „Bestätigt das Jobcenter in der Bescheinigung die Übernahme des Differenzbetrages nicht, können wir leider keinen Mietvertrag mit Ihnen abschließen“, heißt es in einem Schreiben der Deutsche Wohnen an einen Interessenten, das der Berliner Zeitung vorliegt. „Diese Übernahmebestätigung ist gerade deshalb so wichtig für unsere Mietinteressentinnen und Mietinteressenten, da diese nicht eigenständig in der Lage sind, finanzielle Rücklagen zu bilden, um eventuell entstehende Nachzahlungen zu bedienen“, argumentiert die Deutsche Wohnen. „In keinem Fall ist bei der Deutsche Wohnen bisher eine Vermietung infolge dieses Vorgehens gescheitert.“

Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, die für die Kosten der Unterkunft zuständig ist, zeigt sich unterdessen hart. Das Jobcenter übernehme nur die Unterkunftskosten, die der Mieter dem Vermieter schulde „und die auch angemessen“ seien.  Das Jobcenter übernehme keine nach dem Mietendeckel unzulässige Mieterhöhung. Wenn nach dem 23. November 2020 eine überhöhte Miete abgesenkt wird, was dann möglich ist, übernehme das Jobcenter nur die abgesenkte Miete.

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/schattenmieten-vermieter-in-berlin-behalten-sich-hoehere-miete-vor-li.91581