Archiv für den Monat: April 2017

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Ist nach dem Berliner Mietspiegel 2015 für das wohnwerterhöhende Merkmal einer gepflegten Müllstandfläche mit sichtbegrenzender Gestaltung ein völliger Ausschluss der Einsicht in die Müllstandsfläche erforderlich?

Die Antwort des Amtsgerichts Lichtenberg (AG Lichtenberg – 4 C 169/16, Urteil vom 02.02.2017) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Lichtenberg in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Hier wirkt sich wohnwerterhöhend aus, dass eine gepflegte Müllstandfläche mit sichtbegrenzender Gestaltung; nur den Mietern zugänglich vorliegt. Ein völliger Ausschluss der Einsicht in die Müllstandsfläche ist nicht erforderlich, vielmehr reicht eine erkennbar sichtbegrenzende Funktion aus. Dem wird die hier im unteren und mittleren Bereich blickdichte und im oberen Bereich gitterartige Gestaltung des Sichtzauns, wie er den Fotos (Blatt 49-52 d. A.) zu entnehmen ist, gerecht.”

Aus der Rubrik “Mieterproteste”:


Berliner Morgenpost am 18.04.2017: Kampf im Kiez

Immer mehr Mieter in Berlin wehren sich gegen Verdrängung

Krasse Mieterhöhungen und Zwangsräumungen bringen immer mehr Mieter auf die Barrikaden. Ganze Nachbarschaften schließen sich zusammen.

http://www.morgenpost.de/berlin/article210283421/Immer-mehr-Mieter-in-Berlin-wehren-sich-gegen-Verdraengung.html

Aus der Rubrik “Mietenpolitik”:

welt.de am 17.04.2017: FDP will Gesetze in Berlin mit “Mieten-TÜV” überprüfen

Zur Dämpfung der Wohnkosten in Berlin schlägt die FDP ein «Mieten-TÜV» vor. «Alle neuen und bestehenden Gesetze sollten einer sogenannten Wohnkostenfolgeschätzung unterzogen werden», forderte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja der Deutschen Presse-Agentur. «Jedes Gesetz hat reale Auswirkungen auf Mietsteigerungen, auf Nebenkosten, auf Baukosten, auf Genehmigungsprozesse», erläuterte er. «All das sind entscheidende Stellschrauben, die am Ende des Tages zu mehr oder weniger Mietbelastung führen.»

https://www.welt.de/regionales/berlin/article163752663/FDP-will-Gesetze-in-Berlin-mit-Mieten-TUEV-ueberpruefen.html

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kann eine Verweigerung der Duldung einer Modernisierung grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen?

Die Antwort des Amtsgerichts Wedding (AG Wedding – 18 C 152/16, Urteil vom 05.10.2016) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Wedding in seiner vorgenannten Entscheidung wie folgt aus: “Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung nicht zu, § 546 Abs. 1 BGB. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Mietverhältnis durch die Kündigung vom 29.02.2016 beendet worden ist. Weder als fristlose noch als fristgerechte Kündigung hat das klägerische Schreiben vom 29.02.2016 das Mietverhältnis beendet, § 543 Abs. 1, 573 BGB.

Als fristlose Kündigung wäre das Beendigungsverlangen nur dann berechtigt, wenn ein wichtiger Grund vorläge, der den Klägern unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Beklagten und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen, die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht als zumutbar erscheinen ließe, § 543 Abs. 1 BGB. Eine gerechtfertigte fristgerechte Kündigung würde voraussetzen, dass dem Kläger ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses zustünde, wobei wegen der sozialen Bedeutung der Wohnung für die Beklagte als Lebensmittelpunkt ein Interesse von Gewicht notwendig wäre, § 573 Abs. 1 BGB (vgl. Palandt/Weidenkaff , BGB, 71. Auflage, § 573, Rn 12). Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Die im Rahmen von § 543 Abs. 1 BGB anzustellende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bedeutet eine umfassende Würdigung aller maßgeblichen Tatsachen, zum Beispiel die bisherige und künftige Dauer des Vertragsverhältnisses, das bisherige Verhalten der Parteien, die Art, Dauer, Häufigkeit und Auswirkung einer Störung oder Pflichtverletzung, eine eventuelle Wiederholungsgefahr, ein Verursachen, auch Mitverursachung der Beeinträchtigung durch den Kündigenden sowie ein Verschulden des Kündigungsempfängers (Palandt-Weidenkaff, BGB, 71. Auflage, § 543, Rn 33).

Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses ist objektiv zu beurteilen. Sie bezieht sich auf den Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses durch ordentliche Kündigung oder Zeitablauf und muss auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs vorliegen. Eine bloße Zerrüttung des Vertragsverhältnisses reicht nicht aus (Palandt, a.a.O., § 543, Rn 35).

Dabei kann eine Verweigerung der Duldung einer Modernisierung eine Kündigung rechtfertigen. Zwar schließen einige Meinungen in der Literatur eine Kündigung wegen der Verletzung nicht titulierter Duldungspflichten generell ab (so Schüller, a.a.O. Seite 832 unter Hinweis auf LG Saarbrücken ZMR 2008, 975; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Auflage, § 543 BGB, Rn 210). Dabei wird gefordert, dass das Verhalten des Mieters die Tatbestandsmerkmale einer erheblichen und schuldhaften Pflichtverletzung erfüllt. Hierbei werden zum Teil sehr hohe Anforderungen an das Verschulden des Mieters gestellt (Schüller u.a., GE 2015, 830 (832)). Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Mieter auch nach einer rechtskräftigen Verurteilung zur Duldung und der Androhung eines Zwangsgeldes sich immer noch weigert, die Modernisierungsarbeiten zuzulassen (Schüller, a.a.O., Seite 832 unter Hinweis auf LG Berlin ZMR 2011,550).

Demgegenüber kann nach der Entscheidung des BGH VIII ZR 281/13 vom 15.04.2015 einem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses auch schon vor Erhebung einer Duldungsklage und Erwirkung eines Titels unzumutbar sein, so dass eine fristlose oder/ und ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein kann (BGH a.a.O., Rn 20).

Auch nach dieser Entscheidung ist aber eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen entscheidend (BGH a.a.O., Rn 20).

In eine solche Einzelfallprüfung ist etwa einzubeziehen, um welche Arbeiten es im Einzelnen geht, wie umfangreich und dringend sie sind, welche Beeinträchtigungen sich hieraus für den Mieter ergeben, welche Bedeutung die alsbaldige Durchführung der Arbeiten aus wirtschaftlicher Sicht für den Vermieter hat und welche Schäden und Unannehmlichkeiten dem Vermieter durch einen verzögerten Zutritt entstehen (Schüller, a.a.O., Seite 832).

Diese Abwägung ergibt vorliegend, dass auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte die Modernisierungsarbeiten verweigert hat, die Vertragsfortsetzung für die Kläger nicht unzumutbar ist und ein berechtigtes, ausreichend gewichtiges Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht besteht.

Dabei berücksichtigt das Gericht zunächst, dass sich die verweigernde Haltung der Beklagten lediglich auf die Durchführung und von Modernisierungsarbeiten und nicht auch eine Instandsetzung der Trinkwasserleitungen bezieht. Unstreitig haben die Handwerker die Wohnung der Beklagten am 01.02.2016 nicht nur wegen der Maßnahmen an der Wasserleitung aufgesucht, sondern haben bei ihrer Begehung auch den Heizungseinbau thematisiert und sich von dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 28.01.2016 (Verweigerung der Modernisierungsarbeiten, aber Bereitschaft zur Duldung der Instandsetzungsarbeiten) uninformiert gezeigt.

Dass die Beklagte in der Folgezeit weitere lediglich auf die Instandsetzung bezogene Termine hätte scheitern lassen, haben die Kläger, die bei ihrem folgenden Vorgehen eine Differenzierung zwischen Modernisierungsmaßnahmen und Instandsetzung nicht vorgenommen haben, nicht vorgetragen. Insofern hat die Beklagte keine für den Erhalt der Mietsache unbedingt nötigen Maßnahmen unterbunden. Es kommt hinzu, dass die Kläger – etwa im Schreiben vom 18.01.2016 – keinerlei Zeitplan bezüglich der Ersetzung der Bleirohre mitgeteilt haben. Vielmehr haben sie die Notwendigkeit dieser Maßnahme lediglich lapidar als Begleiterscheinung zu dem beabsichtigten Modernisierungen angeführt und mitgeteilt, diese “im Zuge der anstehenden (gemeint: Modernisierungs-) Arbeiten durchführen” lassen zu wollen.

Gegen eine Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung und ein begründetes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses spricht auch der bisherige Ablauf des Mietverhältnisses: Bei dem im Jahre 1999 begonnen Mietverhältnis handelt es sich um ein länger dauerndes Mietverhältnis, welches bei der Ankündigung der Modernisierungsmaßnahmen seit 16 Jahren bestanden hat. Dabei ist mangels jeglichen anderweitigen Vortrags davon auszugehen, dass es sich um ein völlig unauffälliges Mietverhältnis handelte, bei dem weder Mietrückstände noch sonstige Verstöße von Seiten der Beklagten stattgefunden haben. Dieses Mietverhältnis bestand zudem ganz lange Zeit nicht zwischen der Beklagten und den Klägern, weil die Kläger erst am 09.12.2014 als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wurden. Bereits sieben Monate nach dieser Eintragung haben die Kläger ihren (zwangsläufig einige Zeit davor gefassten) Plan zur grundlegenden Umgestaltung des Hauses umgesetzt. Dies macht deutlich, dass die Kläger das Haus offensichtlich von vornherein mit der Absicht einer sofortigen grundlegenden Modernisierung erworben haben, ohne Rücksicht auf den bestehenden Charakter des Anwesens und die Bedürfnisse der aktuellen Mieterschaft zu nehmen. So mussten sie von Anfang an damit rechnen, dass sich ein Teil der Mieter gegen die – gegebenenfalls mit hohen Mietsteigerungen verbundenen — massiven Modernisierungsarbeiten wehren würde. Zumindest mit einer gewissen Verzögerung mussten die Kläger angesichts dessen von vornherein rechnen. Dies rechtfertigt eine geringere Gewichtung ihrer Modernisierungsabsichten als derartige Pläne eines langjährigen Vermieters, der im Laufe langer Jahre der Tatsache gewärtig wird, dass sich in Bezug auf sein Grundeigentum mittlerweile grundlegende Modernisierungsmaßnahmen aufdrängen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auf Grund der gewünschten Modernisierung zulasten der Beklagten eine ganz erhebliche Mietsteigerung droht. So macht die angekündigte Erhöhung der Nettokaltmiete einen Betrag von 206,49 € (434,01 € – 227,52 €) aus, was eine 90%-ige Anhebung der (Nettokalt-) Miete bedeutet. Dabei kommt es nicht darauf an, inwiefern die gesamte Mietsteigerung letztlich gemäß § 559 BGB für die Kläger realisierbar wäre, wobei der Beklagten immerhin drohen würde, dass ein (möglicherweise: teilweiser) Ausschluss der Mieterhöhung gemäß § 559 Abs. 4 BGB deswegen nicht stattfinden könnte, weil es sich um Maßnahmen handeln könnte, die die Mietsache lediglich in einen allgemein üblichen Zustand versetzen. Jedenfalls lassen die im Raum stehenden erheblichen wirtschaftlichen Folgen die Weigerung der Beklagten, Modernisierungsmaßnahmen durchführen zu lassen, als weniger schwerwiegend erscheinen, so dass den Klägern das Mittel der Kündigung des Mietverhältnisses zum Zwecke der Durchsetzung ihrer Modernisierungsabsichten vorliegend nicht zuzubilligen ist.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kläger naturgemäß ein Interesse daran haben, nicht allein durch die Beklagte daran gehindert zu werden, Modernisierungsmaßnahmen in Ihrem Hause durchführen zu können. Denn zum einen haben mehrere Mieter diesen Maßnahmen widersprochen, so dass nicht die Beklagte allein es wäre, der etwaige Verzögerungen der beabsichtigten Maßnahmen anzulasten wären. Es kommt hinzu, dass nicht ersichtlich ist, dass die Kläger allein durch die Weigerungshaltung der Beklagten an einer grundsätzlichen Durchführung von Modernisierungsarbeiten im Hause gehindert wären. Andere derzeit ebenfalls noch mit Ofenheizung versorgte Wohnungen an die bereits bestehende Heizungsanlage anzuschließen sind die Kläger nicht gehindert. Es ist gerichtsbekannt, dass in derartigen Fällen eine Installation von Heizungen auch lediglich in Teilen des Hauses vorgenommen werden kann und einzelne Wohnungen zunächst von einem Anschluss an die Hauptstränge ausgenommen werden können. Dass die Kläger gehindert würden, den – nicht an die Wohnung der Beklagten anzuschließen Aufzug an der Außenwand des Gebäudes anzubauen und über das Treppenhaus zu betreiben, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Insofern blockiert die Beklagte nicht grundliegend die gesamten beabsichtigten Maßnahmen.

Aufgrund dieser Erwägungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das gemäß § 573 Abs. 1 BGB nötige gewichtige Interesse der Kläger an einer Beendigung des Mietverhältnisses gegeben ist, so dass auch die fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses nicht beendet hat.

Angesichts des Fehlens eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses haben die Kläger vorrangig im Rahmen eines Duldungsprozesses gerichtlich klären zu lassen, inwiefern die Beklagte dazu verpflichtet ist, diesem klägerischen Verlangen zu entsprechen und eine entsprechende Umgestaltung der Mietsache hinzunehmen.”

AMV im Lichte der Presse:

Correctiv.org am 07.04.2017 – Vermieter müsste man sein: In ganz Deutschland klettern die Mietpreise rasant

Von 2012 bis 2016 sind die Mieten in Deutschland um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen. In Ballungszentren sieht die Lage noch schlimmer aus: In Stuttgart legten die Preise für Mietwohnungen um 19 Prozent zu, in München um 21 Prozent und in Berlin um 28 Prozent.

In Berlin lässt sich das Problem gut beobachten. Um fast acht Prozent ist die Bevölkerung in den letzten sechs Jahren gewachsen. Neue Wohnungen aber wurden kaum gebaut, vor allem nicht solche, die sich Menschen mit niedrigem Einkommen leisten können. „Die städtischen Wohnbaugenossenschaften haben die Entwicklung verschlafen“, sagt Marcel Eupen vom Alternativen Mieterverband Berlin. In den 1990er Jahren war die Stadt knapp bei Kasse und verkaufte nicht nur ihre große Wohnbaugenossenschaft GSW, sondern auch zahlreiche Immobilien und Grundstücke. Damit gab sie die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt aus der Hand. Für Bauherren seien die bürokratischen Hürden hoch, Neubauten würden nur schleppend angegangen.

https://correctiv.org/recherchen/stories/2017/04/07/so-sind-die-mieten-in-deiner-stadt-gestiegen/

AMV im Lichte der Presse:

Spandauer Volksblatt am 17.04.2017 – Wohnen wird teurer: Mieten im Bezirk stiegen seit 2014 um fast zehn Prozent

Die Mieten ziehen an. Für Spandauer wird es immer schwerer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Trotzdem wohnt es sich hier noch günstiger als anderswo.In Spandau sind die Mieten gestiegen. Wer 2016 hier eine Wohnung bezog, musste im Schnitt 7,35 Euro kalt pro Quadratmeter zahlen. Im Jahr zuvor waren es noch 6,99 Euro. Das ist einer Steigerung von mehr als fünf Prozent. Berlinweit stiegen die Mieten dagegen nur um gut drei Prozent. Das zeigt der Wohnungsmarktbericht 2016 der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB), der jetzt vorliegt. Die IBB hat dafür die Angebotsmieten von rund 70.000 Wohnungen bei ImmobilienScout24 verglichen.

„Die Mieten werden in Spandau weiter steigen. Wir nähern uns rasant der Zehn-Euro-Marke“, warnt Uwe Piper vom Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbundes AMV.

Berlin brauche unter anderem mehr staatlich subventionierte Mietwohnungen. Neubau allein reiche nicht aus. In Spandau setzt man beim Wohnungsneubau auf eine sozialverträgliche Mischung in den Kiezen. Neben bezahlbarem Wohnraum müsse es auch Angebote für den Mittelstand und Wohneigentum geben, sagt Baustadtrat Frank Bewig (CDU), und zwar auch, um den Verdrängungsprozess aus der Innenstadt nach Spandau nicht weiter zu fördern.

http://www.berliner-woche.de/spandau/wirtschaft/wohnen-wird-teurer-mieten-im-bezirk-stiegen-seit-2014-um-fast-zehn-prozent-d123027.html

Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

Kommt es für die Anwendbarkeit der KündigungsschutzklauselVO des Senats von Berlin vom 13.08.2013 auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Eigentumswohnung an?

Die Antwort des Landgerichts Berlin (LG Berlin – 63 S 71/16, Urteil vom 10.02.2017) lautet: Nein!

Zur Begründung führt das Landgericht Berlin in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: “Jedenfalls ist die Kündigung gemäß § 577 a Abs. 2 BGB in Verbindung mit der KündigungsschutzklauselVO des Senats von Berlin vom 13.08.2013 (GVBl. 2013, 488) ausgeschlossen.

Die Kläger können sich nicht auf ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 577 Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen, da an der streitgegenständlichen Wohnung nach ihrer Überlassung an den Beklagten Wohnungseigentum begründet wurde und dieses unstreitig erstmals im Jahr 2011 an die Kläger veräußert wurde.

Das Land Berlin hat durch Verordnung vom 13.08.2013 von seinem Recht aus § 577 a Abs. 2 BGB Gebrauch gemacht und die Kündigungssperrfrist für das gesamte Stadtgebiet auf 10 Jahre verlängert (GVBl. 2013, 488).

Sofern die Kläger der Auffassung sind, es komme für die Anwendbarkeit der KündigungsschutzklauselVO auf den Zeitpunkt des Erwerbs, nicht auf den der Kündigung an, widerspricht dies der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Verordnung erfasst ausweislich ihres Wortlauts und nach ihrem Sinn und Zweck jeweils nach Inkrafttreten auch alle bereits bestehenden Mietverhältnisse (vgl. BGH, 15.11.2000 – VIII ZR 2/00).

Sofern sich die Kläger auf einen Vertrauensschutz dahingehend berufen, dass der Bezirk Steglitz-Zehlendorf in der hier maßgeblichen KündigungsschutzklauselVO vom 13.08.2013 erstmals erfasst ist und unter Berufung auf einen einer Entscheidung des LG Berlin, 17.03.2016 – 67 S 30/16 (dazu IMR 2016, 237) zugrundeliegenden Sachverhalt anführen, ein etwaiger Vertrauensschutz würde unterlaufen, da dann jedem Vermieter auch in ländlichen Gegenden bei erstmaliger Einführung einer KündigungsschutzklauselVO nach § 577a Abs. 2 BGB entgegengehalten werden könnte, dass der Mieterschutz überwiege, greift diese Argumentation nach Auffassung der Kammer zu kurz.

Zwar ist den Klägern zuzugeben, dass, wie auch in der genannten Entscheidung ausführt wird, eine Erstreckung auf Sachverhalte, bei denen der Erwerb vor der Erfassung der streitgegenständlichen Wohnung durch die KündigungsschutzklauselVO, einer unzulässigen Rückwirkung gleichkäme, jedoch liegt auch hier der Fall hier anders.

Auch für Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, können sich zwar, obgleich sie grundsätzlich zulässig sind, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes je nach Lage der Verhältnisse verfassungsrechtliche Grenzen ergeben. Hierbei ist zwischen dem Vertrauen auf den Fortbestand des Rechtszustands nach der bisherigen gesetzlichen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen. Der Vertrauensschutz geht allerdings nicht so weit, den Betroffenen vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BGH, 24.07.2013 – XII ZB 340/11).

Die Erwartung des Erwerbers, die zum Zeitpunkt des Erwerbs bestehenden Einschränkungen der Verfügungsbefugnis über Wohneigentum an vermieteten Wohnräumen würden jedenfalls im Großen und Ganzen unverändert bleiben, ist abzuwägen gegen das durch die Beschränkung seiner Kündigungsmöglichkeiten verfolgte sozialpolitische Ziel, die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen zu gewährleisten. Bei dieser Güterabwägung ist dem Anliegen des Mieterschutzes wegen seiner überragenden Bedeutung für das allgemeine Wohl grundsätzlich der Vorzug zu geben (vgl. BGH, 15.11.2000 – VIII ARZ 2/00)

Zum Zeitpunkt des Erwerbs war durch § 577a BGB bereits die Ermächtigungsgrundlage für den Verordnungsgeber geschaffen worden. Gerade in städtischen Ballungsgebieten wie in Berlin war auch mit dem Gebrauch von der Ermächtigungsgrundlage durch den Verordnungsgeber zu rechnen. Dass die Kündigungsschutzfrist dann durch den Gebrauch sowohl zeitlichen als auch örtlichen Schwankungen unterworfen ist, liegt gerade in städtischen Ballungsräumen auf der Hand und ist nicht vergleichbar mit dem Vertrauen eines Erwerbers in ländlichen Gebieten. Insofern können die Kläger den durch sie angeführten Vertrauensschutz nicht isoliert auf den Bezirk Steglitz-Zehlendorf stützen, sondern es ist vielmehr das gesamte Stadtgebiet nach Sinn und Zweck der Ermächtigungsgrundlage des § 577 a BGB zu betrachten. Dass der Wohnungsmarkt in den verschiedenen Bezirken Berlins immer wieder Schwankungen unterworfen ist und durch eine ständige Fluktuation geprägt ist, ist einer Großstadt immanent und gerade der Grund für den Verordnungsgeber auf derartige Veränderungen durch Erlass einer neuen Rechtsverordnung zu reagieren.”